Gaza:
Israel beschließt den Rückzug
von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 20. Februar 2005
"Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen", verriet Außenminister Silvan
Schalom, ursprünglich ein Gegner des Rückzugs aus dem Gazastreifen und dem
Norden des Westjordanlandes. Aber am Ende zählte er doch zu jenen 17
Ministern, die für Scharons Rückzugsplan stimmten, während Finanzminister
Benjamin Netanjahu zu den fünf Nein-Stimmen zählt. Damit ist der Rückzug zur
offiziellen Politik Israels geworden, zudem das Parlament mit großer
Mehrheit schon die gesetzliche wie finanzielle Grundlage für eine Abfindung
der Siedler geschaffen hat.
Mit der "historischen" Abstimmung im Kabinett hat Ministerpräsident Ariel
Scharon die vorletzte Hürde geschafft, ehe es mit dem Umzug der Gaza-Siedler
zurück ins Kernland Israels ernst werden kann. Eine letzte Hürde vor dem
geplanten Rückzug im kommenden Juli ist noch die Abstimmung über den
Staatshaushalt für das Jahr 2005. Da fehlen noch die Stimmen, wie etwa der
frommen Schasspartei. Die nutzt noch die Chance, einige Millionen Schekel
mehr für ihre Erziehungseinrichtungen herauszuschlagen. Aber die Einwände
gegen den Haushalt sind auch eine Methode der Rückzugsgegner, die
Abtrennungspolitik Scharons durch einen vorzeitigen Sturz seiner Regierung
zu Fall zu bringen. Sollte es Scharon bis zum 31. März nicht schaffen, sein
Budget von der Knesset absegnen zu lassen, würde es automatisch
Neuwahlen geben. Ein "traumatischer" Rückzug mitsamt der "Gefahr eines
"Bürgerkriegs", wie es die Schwarzseher prophezeien, wäre in Wahlkampfzeiten
undenkbar.
Scharon redete am Sonntag zu Beginn der Kabinettssitzung von einem
"schmerzhaften" Beschluss, den die Minister fassen müssten. Nach der
Abstimmung sagte Vizepremier Schimon Peres erleichtert: "In zehn Jahren wird
sich die palästinensische Bevölkerung in dem 300 Quadratkilometer großen
Gazastreifen auf 3 Millionen Menschen verdoppelt haben. Was haben wir da zu
suchen?"
Und während die Minister berieten, wurden in den Medien alle altbekannten
Argumente für und wider abgespult. Fast vierzig Jahre lang gibt es schon die
israelischen Siedlungen im Gazastreifen. Einige Siedler leben dort schon in
dritter Generation. Sie empfinden eine bevorstehende "Entwurzelung" und
reden von einer "bevorstehenden Deportation von Juden durch Juden".
Befürworter sehen die Chance einer friedlichen Abtrennung von den
Palästinenser. Der Machtwechsel bei den Palästinensern biete eine
Gelegenheit, die nicht verpasst werden dürfe. Scharon hatte den Rückzug als
"einseitigen" Schritt geplant, der erstmals seit Ausbruch der Intifada
wieder politische Bewegung in den Nahen Osten brachte. Jetzt, mit Mahmoud
Abbas an der Spitze der Autonomiebehörde, könnte der Rückzug doch in
Absprache geschehen.
Noch unentschieden ist, was mit den verlassenen Siedlerhäusern geschehen
soll. Am Wochenende traf sich ein Geschäftsmann aus Qatar mit Vizepremier
Peres und bot an, alle Siedlerhäuser zu kaufen. Der "starke Mann im
Gazastreifen", Muhammad Dahlan, hatte schon vor Monaten erklärt, dass er
einen Abriss aller Häuser vorziehen würde, "damit nichts mehr an die
traumatische Besatzungszeit Israels erinnert". Auch in der israelischen
Regierung tendiert man eher dazu, alles abzureißen, anstatt es den
Palästinensern zu überlassen. Das sei eine "wirtschaftliche und emotionale"
Frage. Widerspruch gegen den Abriss meldeten am Sonntag ausgerechnet
israelische Umweltschützer an. Es gebe keinen Ort in Israel, wohin die große
Menge Bauschutt abgelagert werden könne. Zudem müssten gefährliche Baustoffe
wie Asbest entsorgt werden.
hagalil.com
18-02-2005 |