"Sich an die Vergangenheit erinnern,
die Zukunft gestalten"
Von Ron Prosor
Generaldirektor des israelischen Außenministeriums
Die guten Beziehungen zu Deutschland sind keine
Selbstverständlichkeit. 45 Jahre sind vergangen, seit sich im März 1960 der
israelische Ministerpräsident David Ben Gurion und der deutsche Kanzler
Konrad Adenauer im Hotel Waldorf Astoria in New York trafen. Bei dem
Treffen, das etwa zwei Stunden dauerte, sprachen sie über das neue Israel,
das neue Deutschland, über die Nazis und die Vernichtung der Juden.
"Ich weiß nicht, ob die Jugend in Deutschland heute darüber
Bescheid weiß, welches Unrecht das nationalsozialistische Deutschland
angerichtet hat", sagte Ben Gurion, aber "ich zweifle nicht daran, dass sie
eines Tages die entsetzliche Wahrheit erfahren wird". Ben Gurion wollte mit
Unterstützung Adenauers "in Israel wegbereitende Spitzenindustrien"
aufbauen, die der deutschen Jugend ein "Gefühl moralischer Genugtuung für
all das geben sollen, was Adenauer-Deutschland getan hat, um die Sünden
Hitler-Deutschlands zu sühnen".
Fünf Jahre später übergab Asher Ben Nathan, der erste
Botschafter Israels in Deutschland, dem deutschen Staatspräsidenten seine
Akkreditierungsurkunde und dieses Jahr verzeichnen wir 40 Jahre
diplomatische Beziehungen zwischen beiden Ländern.
"Die besonderen Beziehungen", die noch vor der Aufnahme der
diplomatischen Beziehungen begannen, entstanden aus einer Verknüpfung der
historischen Sicht und politischer Abwägungen. So sahen Ben Gurion und
Adenauer dies und so sehen dies auch ihre Nachfolger bis heute. Was 1952 mit
der Unterzeichnung des Wiedergutmachungsabkommens und 13 Jahre danach mit
der Aufnahme diplomatischer Beziehungen ganz und gar nicht
selbstverständlich erschien, wurde zu einem untrennbaren Teil der Realität
unseres Lebens. Doch auch heute liegt eine große Bedeutung in der Erziehung
der jungen Generation in Deutschland, sich zu erinnern und nicht zu
vergessen.
Die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland im Jahr 2005
sind verzweigt und umfassen die Zusammenarbeit in allen Bereichen und auf
allen Ebenen. Dies kommt zum Ausdruck durch den engen politischen Kontakt
zwischen den beiden Staaten, in den Kontakten im Bereich der Sicherheit, den
inter-parteilichen und inter-parlamentarischen Beziehungen, der kulturellen
Zusammenarbeit sowie in Austauschprogrammen in Bereichen wie Industrie und
Handel, Wissenschaft, Kultur, Partnerstädten, Jugend, Gewerkschaften, Sport.
Doch diese guten Beziehungen zwischen den beiden Staaten dürfen
nicht als selbstverständlich betrachtet werden. Die gegenseitige
Wahrnehmung, d.h. wie Israelis Deutschland und wie Deutsche Israel sehen,
ist noch immer sehr komplex und jeder kennt die bestehende Sensibilität und
Spannung vor dem Hintergrund der Vergangenheit. Hinzu kam in den vergangenen
Jahren eine weitere Herausforderung: die Verschlechterung der gegenseitigen
Wahrnehmung vor dem Hintergrund der Entwicklungen im Nahen Osten.
Dieses statuiert nur einen Teil unserer Herausforderungen in
den Beziehungen zu Deutschland. Die beiden Gesellschaften durchliefen in den
vergangenen Jahren Prozesse tiefer Veränderungen, die bis heute nicht
beendet sind und die den Charakter ihrer Beziehungen zu ihrer unmittelbaren
Umgebung und zueinander formten.
Israel sieht in Deutschland einen wichtigen und zentralen
Partner auf internationaler Ebene im Allgemeinen und in Europa im
Besonderen. Deutschland ist der größte Handelspartner Israels in Europa, es
nimmt eine ausgewogene Position auf diplomatischer Ebene ein und hilft
Israel im Sicherheitsbereich. Deutschland seinerseits erklärt wiederholt,
dass seine Beziehungen zu Israel der Grundpfeiler seiner Außenpolitik ist.
Jeder, dem die Beziehungen zwischen den Staaten und den
Gesellschaften beider Länder wichtig ist, muss die Vergangenheit, und nicht
weniger wichtig die Zukunft, im Auge behalten. Der Holocaust an den Juden
Europas im Zweiten Weltkrieg ist ein fundamentaler Bestandteil im
Bewusstsein eines jeden Israelis. Und er sollte Teil des Bewusstseins eines
jeden Menschen sein. Dies ist ein Imperativ, der abseits der Grenzen der
Tagesaktualität steht und als solcher ist es nur passend, dass er immer ein
Teil von uns bleiben wird. Gleichzeitig müssen wir die objektiven
Veränderungen im Bewusstsein tragen, die die Gesellschaften in Israel und
Deutschland beeinflussen, und welche eine wichtige Rolle bei der Gestaltung
der gegenwärtigen Realitäten einnehmen.
Daraus ergibt sich die wichtige Aufgabe, die besonderen
Beziehungen zwischen Israel und Deutschland auch in Zukunft zu erhalten und
auszubauen. Um diese Herausforderung anzugehen, haben die Außenministerien
der beiden Staaten, in Zusammenarbeit und gemeinsamen Bemühungen von
verschiedenen Regierungsministerien und weiteren Organisationen, eine lange
Reihe von Veranstaltungen und Aktionen im Zusammenhang mit dem 40-jährigen
Bestehen der diplomatischen Beziehungen initiiert und angeführt: der Besuch
des deutschen Staatspräsidenten Anfang Februar in Israel und der Besuch des
israelischen Staatspräsidenten im Mai in Deutschland, Kultur- und
Sportveranstaltungen, darunter die Eröffnung der Ausstellung „Die neuen
Hebräer“ in Berlin, die Teilnahme Israels an den Buchmessen in Leipzig und
Frankfurt, Wochen des israelischen Tanzes in ganz Deutschland, und vieles
mehr.
Das Gedenken an dieses wichtige historische Datum muss man als
eine Gelegenheit sehen, den Beziehungen zusätzliches Momentum zu verleihen,
die Augen in die Zukunft gerichtet. Diese Aufgaben erfordern gegenseitige
Investitionen auf beiden Seiten, kreatives Denken und anhaltende Bemühungen,
besonders was die Erziehung der jungen Generation angeht. Die
Herausforderung, zu bestimmen, wie die Beziehungen in 40 Jahren vom jetzigen
Zeitpunkt aussehen werden, ruht auf unseren Schultern.
MFA, Botschaft des Staates Israel