
Die CDU und der Genozid an den Armeniern:
Brandenburgische Wertegemeinschaft
Von Philipp Gessler
Was Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Matthias
Platzeck ordentlich vergeigt hat, zieht nun Kreise. Erst führt eine
türkische Intervention dazu, dass der Armenien-Genozid 1915/16,
verübt im Osmanischen Reich, als einziges Beispiel für einen
Völkermord aus dem Rahmenlehrplan für Geschichte gestrichen wird
(der Holocaust ist ein eigenes Thema).
Dann macht Platzeck, peinlich genug, das Ganze wieder
rückgängig, weil nun armenische Vertreter gegen die Streichung
protestierten. Und jetzt will der brandenburgische
CDU-Generalsekretär den Genozid an den Armeniern auch in den
Schulbüchern Berlins mit seinen vielen Kindern türkischer Herkunft
berücksichtigt sehen.
So wird Geschichtspolitik mit dem Holzhammer Genozid
zum Alltagsgeschäft. Dies war wohl absehbar, nachdem sich in den
letzten Jahren historische Debatten immer stärker in den politischen
Diskurs gedrängt haben. Erst recht bietet das Mega-Gedenkjahr 2005
mit "60 Jahre Auschwitz-Befreiung", "60 Jahre Kriegsende" und "15
Jahre deutsche Einheit" auch Provinzpolitikern gerne den Anlass,
einen kleinen gedenkpolitischen Skandal zu nutzen, um den
politischen Gegner vor sich herzutreiben.
Abstoßend wird die Angelegenheit vor allem dadurch,
dass Unionspolitiker auf diese Weise noch zwei andere Süppchen
kochen wollen. Zum einen wird hier wie bei dem latent
revisionistischen "Deutsche als Opfer"-Diskurs versucht, den
Holocaust zu relativieren, nach der Pseudologik: Wenn andere Völker
auch einen Genozid in ihrem Sündenregister haben, erscheint der
deutsche Völkermord nicht mehr singulär und ganz so schlimm.
Zum anderen ist die Versuchung gerade bei der Union
offenbar groß, den Völkermord an den Armeniern gegen einen
EU-Beitritt der Türkei zu funktionalisieren, mit dem schwachen
Argument: Wer vor 90 Jahren so etwas anstellte und sich bis heute
mit dieser Geschichte schwer tut, gehört nicht zur europäischen
Wertegemeinschaft. Mit solch einer Begründung aber würde wohl die
Hälfte der jetzigen EU-Mitglieder keinen Eintritt in den Staatenbund
erhalten haben. Vor allem aber instrumentalisiert sie die Opfer
eines Völkermords auf unerträgliche Weise.
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11-02-2005 |