Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 19. Januar 2005
Andreas Krutzsch in Thale (Sachsen-Anhalt) war ziemlich
überrascht über den Anruf aus Jerusalem: "Hat Ihre Firma vielleicht ein
Konto in Israel vergessen?" Krutzsch schluckte. Er arbeitet bei der
Schunk-Group. Die ist schon zweimal von der Treuhand verkauft worden.
Ursprünglich hieß die Metallwarenfabrik "Eisenhüttenwerke Thale AG". Sie
hatte im ersten und zweiten Weltkrieg die Stahlhelme für die Wehrmacht
produziert. Der Helm Modell M1935, in Thale entworfen, gehört zu den
bekanntesten Symbolen des Zweiten Weltkriegs.
Vor dem zweiten Weltkrieg hatte die Firma im britischen
Mandatsgebiet Palästina ein Konto eröffnet. Dieses wurde jetzt nach
vierjähriger Forschungsarbeit unabhängiger Rechnungsprüfer wiederentdeckt
und durch einem Untersuchungsausschuss der Knesset der Öffentlichkeit
übergeben. Nach 70.000 Arbeitsstunden wurden rund 9000 "schlummernde Konten"
in den Kellern israelischer Banken entdeckt, allein 2541 bei der Bank Leumi,
wo auch Jassir Arafat ein Privatkonto unterhielt. Das Ziel der rund 2
Millionen Euro teuren Untersuchung auf Initiative der Knessetabgeordneten
Colette Avital (Arbeitspartei) war die Aufdeckung von "vergessenen" Konten
von Holocaustopfern. Wie in der Schweiz hatten europäische Juden vor dem
Zweiten Weltkrieg auch im damaligen Palästina ihre Ersparnisse oder
Investitionen in Banken eingezahlt, um das zionistische Werk zur Schaffung
eines jüdischen Staates zu unterstützen oder schlicht, um ihr Vermögen vor
den Nazis zu retten. Als ganze jüdische Gemeinden in Europa ausgelöscht
wurden, verschwanden auch viele Kontoinhaber.
Im September 1939 befahlen die britischen Mandatsbehörden, alle
Konten von Bürgern aus "Feindstaaten" einzufrieren und den Briten zu
überlassen. Betroffen waren auch deutsche, österreichische oder polnische
Juden. Aus der damaligen britischen Sicht waren sie Bürger von Feindstaaten
und wurden genau so behandelt wie etwa christliche Templer, die in Tel Aviv
in Naziuniform und mit Hakenkreuzflaggen demonstrierten, bis die Briten sie
schließlich nach Australien deportierten. Für deren beschlagnahmtes Eigentum
und Konten hat Israel im Rahmen der Luxemburger Verträge von 1952
Wiedergutmachung an die Bundesrepublik Deutschland gezahlt.
Nach dem zweiten Weltkrieg erstattete London einen Teil der
eingezogenen Gelder an die "Anglo-Palestine Bank", heute Bank Leumi. Viele
Konten blieben unbeansprucht. Die israelischen Bankdirektoren wussten das
und verwendeten die Gelder als Eigenkapital, bemühten sich wie seinerzeit
ihre Schweizer Kollegen nicht ernsthaft, die Eigentümer auszumachen. Jetzt
werden die Banken bis zu 58 Millionen Euro und der Staat Israel bis zu 100
Millionen Euro herausrücken müssen. Die genaue Summe steht nicht fest, denn
ein Erbe wird zu der vor dem Krieg eingezahlten Summe neben drei Prozent
Zinsen auch einen Wertausgleich erhalten. Nicht abgerufene Gelder sollen
einem Gedenkfonds für den Holocaust zugute kommen. Doch da wird der Wert des
Guthabens erst ab 1948 berechnet.
Wie die Presse berichtet, werden es die Erben nicht leicht
haben, an ihre Gelder heranzukommen. Der 82 Jahre alte Michael Eisenbond
hofft, endlich den heutigen Gegenwert von 1000 Lira zu erhalten. Sein Vater,
ein litauischer Arzt, hatte das Geld 1936 in Haifa eingezahlt, um damit die
britische Einwanderungsgebühr zu entrichten. Er wurde krank, konnte nicht
nach Palästina reisen und wurde 1941 von den Nazis ermordet. Der 1973 aus
der Sowjetunion eingewanderte Sohn fragte bei der israelischen Treuhand an,
ob er die Gelder seines Vater erhalten könne. Die Treuhand antwortete ihm,
dass der heutige Wert der 1000 Lira nicht einmal die Bankgebühr für die
Auszahlung decke. Der Knessetausschuss bestimmte aber jetzt, dass 1000 Lira
von damals heute fast 55.000 Euro wert seien. Doch ob sich der 82-Jährige
auf seine alten Tage wirklich über das Geld seines Vaters erfreuen kann ist
fraglich. Israelische Richter halten sich strikt an das Gesetz und verlangen
einen Todesnachweis der Kontoinhaber. Ein Erbe, Gabriel Weiss, gab vor
Jahren seien Kampf um das Eigentum seiner Eltern auf, als ein Richter den
Nachweis verlangte, wer denn zuerst in Auschwitz vergast worden sei, sein
Vater oder die Mutter. "Diese unmenschliche Forderung eines Richters in
Israel ekelte mich an", sagte Jael Dagani aus Ramat Gan. Ihr war Ähnliches
wegen einer in der Ukraine ermordeten Tante widerfahren.
Die Richtlinien zur Berechnung des Geldwertes und die
Veröffentlichung aller 9000 Namen von Kontoinhabern im Internet, soll nun
auch in Israel regeln, wozu Schweizer Banken schon vor Jahren gezwungen
worden waren. Gelder der schlummernden Schweizer Konten dienten zur
Finanzierung einer digitalen Datenbank mit inzwischen rund 4 Millionen Namen
der insgesamt 6 Millionen Holocaustopfer.
Wie schwierig die Aufarbeitung der verstaubten Papiere aus den
dreißiger Jahre gewesen sein muss, zeigen einige Namen der mutmaßlich von
den Nazis ermordeten Juden, wie sie jetzt mit Angabe ihres Herkunftslandes
veröffentlicht wurden. Unter der Aktennummer 4603 hat die Kommission die
Kontoauszüge eines Juden namens Eisenhüttenwerke mit dem Vornamen Thale AG
gesammelt. Andreas Krutzsch aus Sachsen-Anhalt wird wohl kaum als
berechtigter Erbe anerkannt werden.
Auf Anfrage sagte der Rechnungsprüfer Jehuda Bar Lev, der die
Akte eingesehen hat, dass "nur ein paar hundert Dollar" nach heutigem Wert
auf dem Konto liegen. Höchstwahrscheinlich habe aber nicht der deutsche
Stahlhelmproduzent im August 1938, knapp ein Jahr vor dem Krieg das Konto
bei der damals britischen Bank eröffnet. Juden hätten damals vorgetäuschte
Firmennamen verwendet, um nach 1933 Gelder aus Nazideutschland ins Ausland
zu retten. Vermutlich habe ein unbekannter Jude so auch den Namen des
Herstellers der Stahlhelme der Waffen-SS und der Reichswehr als Deckung
benutzt.