"Holocaust":
Gegen die Gefühlspanzerung
Die US-Serie "Holocaust" war ein
Ereignis: Sie machte den Deutschen in einfachen Bildern klar, wer
die wirklichen Opfer waren. Nun wiederholt Arte die Geschichte der
Familie Weiss (20.45 Uhr)
Von Stefan Reinecke
Die Ausstrahlung der US-TV-Vierteilers "Holocaust"
vor 26 Jahren war wahrscheinlich das bedeutendste Datum der
deutschen Fernsehgeschichte. Zehntausende aufgewühlter Zuschauer
riefen bei den Sendern an. Viele Leuten weinten, manche schimpften,
SS-Männer rechtfertigten sich. Die Serie hatte vermocht, was
hunderten von Romanen, Zeitungsberichten, NS-Prozessen und
Fernsehspielen offenbar nicht gelungen war: die Gefühlspanzerung
gegenüber der NS-Zeit wie ein Geschoss zu durchschlagen.
Dass eine triviale TV-Serie und auch noch aus den USA
diesen Effekt hatte, wurde als Kränkung verstanden. Die
professionellen Erinnerungs- und Geschichtsarbeiter waren
zerknirscht. Alles Kommerz, Effekthascherei, mit der man die Leute
zum Weinen, aber nicht zum Denken bringt, lautete die Kritik, die
angesichts des späteren Echos allerdings kapriziös wirkte. Elie
Wiesel fürchtete, dass die Macht der TV-Bilder die Geschichte
überwuchern und die Fiktion die realen Erinnerungen kolonisieren
würden.
Wenn man sich "Holocaust" heute anschaut, versteht
man diese Debatten noch - aber sie wirken wie eine verwackelte
Fotografie. Man erkennt noch, was darauf zu sehen ist, aber es ist
wie verwischt. "Holocaust" ist kein Effektfeuerwerk, die Musik eher
spärlich eingesetzt, Bilder und Schnitt sind so schlicht, dass jede
Guido-Knopp-Doku dagegen wie ein Bildersturm erscheint. Da ist keine
Überwältigungsdramaturgie am Werk, sondern ein solider Versuch,
Historie in die Form einer Familiengeschichte zu übersetzen. Die
Demütigungen, die die jüdische Familie Weiss zu ertragen hat,
illustriert keine omnipräsente Kamera wie in "Schindlers Liste". Man
sieht Grausamkeiten wie den Massenmord in Babi Jar, aber die Kamera
bleibt eher auf Distanz. Im Zentrum von "Holocaust" steht nicht das
schockierende Bild, sondern der ordentlich in Schuss und Gegenschuss
aufgelöste Dialog, was gegen den Naziterror zu tun wäre. Elie
Wiesels Furcht, dass "Holocaust" das Authentische übermalen würde,
dass Meryl Streep und James Woods Primo Levi im kollektiven
Bewusstsein verdrängen würden, hat sich erledigt. Die Bilderskepsis,
die darin zum Ausdruck kam, hatte vielleicht ohnehin weniger mit
Auschwitz als mit einem Kulturpessimismus älteren Datums zu tun.
"Holocaust" versucht ein historisches Panorama. Die
jüdische Familie Weiss und ihr Konterpart, der SS-Mann Dorf, sind
stets dabei, wo historisch Bedeutsames passiert: von der
Reichskristallnacht bis zur Wannseekonferenz, von Buchenwald über
Theresienstadt bis nach Auschwitz, vom Kampf der Partisanen in der
Sowjetunion bis zum Aufstand im Warschauer Ghetto. Vieles, wie der
Streit im Ghetto, ob man mit den Nazis kooperieren soll oder besser
mit der Waffe in Hand stirbt, bleibt angerissen. Nah am Klischee ist
die Figur des SS-Mannes Dorf, der sich vom schüchternen Versager in
einen eisigen Karrieristen der Vernichtung wandelt. So werden
historische Erkenntnisse in grob gestrickte psychologische Muster
übersetzt. Das wirkt reliefhaft - falsch ist es nicht.
Die ungeheure Wirkung von "Holocaust" gründete
weniger in den Bildern. Sie wurzelte in der Idee, Geschichte als
intime Familiengeschichte zu zeigen und einfache Identifikationen
anzubieten. Damals fanden das viele unlauter. Heute fällt eher ins
Auge, wie papieren die Dialoge wirken, weil das Personal stets
historisch Wichtiges zu erleben und zu kommentieren hat und wie
unvermeidlich kolportagehaft die Handlung ist, die das Schicksal der
Figuren nach den historischen Großereignissen ausrichtet. Dass die
Dramaturgie an allen Enden knirscht, fiel gar damals wenigen auf.
Irgendwie schien das deutsche Publikum schutzlos gegen einen Film,
der ihre zentrale Schuldabwehrstrategie außer Kraft setzte. Man
hatte sich als Familie als Opfer gefühlt - Opfer Hitlers, der
Bomben, der Vertreibungen. Das Gefühl, doch selbst Opfer zu sein,
imprägnierte gegen Schuld. Und genau diese Mechanik schien die
Geschichte der jüdischen Familie Weiss außer Kraft zu setzen.
"Holocaust" hat noch immer eine emotionale Wucht. Nur
wenig wirkt unfreiwillig komisch (am ehesten Meryl Streeps
overacting), das meiste ernsthaft bemüht. Anschaulich wird vor allem
die Infamie, den Juden langsam immer mehr alltägliche Normalität
wegzunehmen und ihnen so die Möglichkeit zu rauben, eine Antwort auf
den Terror zu finden. "Holocaust" wiederzusehen beantwortet eine
alte Frage - nämlich ob die Trivialkultur vom Schrecken erzählen
kann. Sie kann es - nicht ohne Ambivalenz, aber ohne bildermächtig
das Authentische zu überschreiben. Und es stellt eine neue Frage:
Nämlich ob wir, gefräßige Augentiere, nicht längst höhere Dosen an
Effekten, dramaturgischer Raffinesse und visuellem Spektakel
brauchen, um angerührt zu werden.
Nächste Folgen: 25. bis 27. 1. jeweils um 20.45 Uhr
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24-01-2005 |