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Von Motivationen und Tendenzen:
Gedenk- und Geschichtspolitik in Deutschland

Von Ingolf Seidel

Eine geschichtsvergessene Kultur und Politik würde an der Aufgabe, Gegenwart zu begreifen und auf dieser Basis die Zukunft zu gestalten scheitern, so äußerte sich Gerhard Schröder aus Anlass der Eröffnung einer Dauerausstellung im Haus der Geschichte in Bonn Mitte 2001. Der Kampf um die Geschichte und deren Interpretation ist, und das gilt nicht nur für Deutschland, ein Kampf um die Zukunft. Für diese ist, trotz der verbreiteten Diskurse über Globalisierung, eine Restauration des Nationalen im wiedervereinten Deutschland, wesentlich. Diese Restauration geschieht nur in scheinbar modernisierter Form und umschließt Bezüge auf Europa als quasi vergrößertes nationales Projekt.

Als irrig entpuppte sich die Annahme, dass das Thema Nationalsozialismus und die Vernichtung der europäischen Juden mit den Jahren aus der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion verschwinden würde. Vielmehr veränderte sich über die Jahrzehnte die Diskursstruktur, hin zu einer zunehmenden Individualisierung und Emotionalisierung, die zu weitgehender Beliebigkeit im Umgang mit der Erinnerung führen. Hierfür stehen auch kulturindustrielle Produkte und deren Rezeption, wie ‚Der Untergang’, oder ‚Napola’, die den Umgang mit den Tätern individualisieren und aus jeglichem gesellschaftlichen Kontext lösen.

Die kritische Theorie konstatiert dem autoritären Subjekt, jenem Idealtypus bürgerlicher Subjektkonstitution, dass ihm die Nation Ersatz für die eigene beschädigte Identität ist. Das Nationalgefühl gewährt Identität in einer Welt, in der Natur in Naturwüchsigkeit statt in Freiheit aufgelöst wird. Ebenso wenig wie der Antisemitismus war nach 1945 die Autoritätsbindung einfach verschwunden. Die Schuldgefühle gegenüber den Verfolgten wurden von der eigenen Person abgespalten und nicht verarbeitet. Dadurch geht auch die Fähigkeit verloren zu unterscheiden zwischen Verantwortung, Schuld und angeblich äußeren Vorwürfen.

Die Thematisierung der NS-Verbrechen scheint derart nur im Interesse anderer, scheinbar drohender Mächte zu stehen. Der daraus entstehenden sozialen Paranoia gelten die Juden als immerwährende äußere moralische Instanz, als ewige Mahner, die es zur Restauration des Kollektivsubjekts Nation zu bekämpfen gilt. Solcher Mechanismus rief den gleichen Sadismus und dieselbe Kälte gegenüber den Opfern hervor, die schon Auschwitz ermöglicht hatte.

Die Deutschen neiden den Opfern noch ihr Leiden, da es einer Identifikation mit der nationalen Identität im Wege steht. Daher müssen die Taten verkleinert, relativiert, affirmiert oder geleugnet werden. Hierbei sind auch Schuldabwehr und sogenannte Vergangenheitsaufarbeitung keine sich ausschließenden Prozesse.

Auschwitz ist den Deutschen noch immer der Hemmschuh bei einer unbefangenen Rekonstruktion des Nationalen und eben hier haben Erinnerungs- und Schuldabwehr, wie auch Umkehrungen des Opfer-Täter Verhältnisses, als Motivationen eines sekundären Antisemitismus,  Ursprung und Ziel zugleich.

Die gerne betriebene Scheidung zwischen einem pathischem Nationalismus und Verfassungspatriotismus, für die Linksintellektuelle wie Jürgen Habermas und das Rot-Grüne Milieu einstehen, ist letztlich ideologisch motiviert, zu „unaufhaltsam ist“ wie Adorno konstatierte, „die Dynamik des angeblich gesunden Nationalgefühls zum überwertigen, weil die Unwahrheit in der Identifikation der Person mit dem irrationalen Zusammenhang von Natur und Gesellschaft wurzelt, in dem die Person zufällig sich findet.“

Nur ein dem linken Milieu entstammender Außenminister, respektive eine rot-grüne Regierung, dem Geschichtsrevisionismus scheinbar fernstehend, konnte auf eine spezielle Variante der Relativierung des deutschen Verbrechens im Rahmen des Normalisierungsdiskurses verfallen: Die Begründung militärischer Aggression und Intervention im ehemaligen Jugoslawien zur angeblichen „Verhinderung eines neuen Auschwitz im Kosovo“. Bei Joseph Fischers ehemaligen Staatssekretär Ludger Vollmer klang dann der Geschichtsrelativismus wie folgt: „Es war und ist Milosevics Absicht, einen Teil seines Staatsvolks zu vertreiben und auszurotten. Wer von dieser Analyse nicht ausgeht, ist für mich kein ernsthafter Gesprächspartner. Für mich steht fest: Das was Milosevic betreibt ist Völkermord. Und er bedient sich der gleichen Kategorien, derer Hitler sich bedient hat.“ Die propagierte spezielle Verantwortung Deutschlands im Angesicht von Auschwitz und nationalsozialistischer Vernichtungskriegspolitik ließ ‚Serbien’ erneut ‚sterbien’, wovon heute allerdings kaum mehr einer reden mag, zumal der ehemalige Verbündete in diesem Krieg, die USA, massiv zur Zielscheibe des antiamerikanischen Ressentiments seitens der ‚Nation Europa’ geworden ist, welches sich in der Regel mit der Rede von der angeblichen „Macht der Ostküste“ und anderen antisemitischen Wahnvorstellungen paart. Nur am Rande sei hier angemerkt, dass sehr wohl Antisemitismus ohne Antiamerikanismus zu haben ist, das antiamerikanische Ressentiment jedoch stets von antisemitischen Invektiven begleitet ist.

Die staatsoffizielle Erinnerungs- und Gedenkkultur soll aber nicht nur das Image Deutschlands im Ausland stärken. Die Orientierung an der Verwertungslogik trifft auch eine mögliche Aufarbeitung der Vergangenheit und zielt darauf ab, was Adorno in anderem Kontext als die am Tauschprinzip orientierte Spießbürgersorge beschrieb, die für das eigene Tun auch immer etwas bekommen will.

Für die eigene Läuterung, erwarten die Deutschen nicht nur internationale Anerkennung, sondern auch die Aufnahme in einen globalen Opferdiskurs. So war in einer Spiegel-Ausgabe vom März 2002 zu lesen, dass „die Zeiten, in denen es schlicht als ungebührlich galt, nicht allein das vom NS-Terror der Welt zugefügte, sondern auch das selbst erlittene Leid zu diskutieren“ offenkundig zu Ende gehen würden.

In den deutschen Normalitäts- und Opferdiskurs seit 1989 fügt sich auch die Rede Martin Walsers, jener teutonische Rundumschlag, anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den Schriftsteller am 11. Oktober 1998. Walser steht exemplarisch für die Versuche die deutsche Vergangenheit zu historisieren und einen Schlussstrich zu ziehen.

Das Hauptthema von Walsers Rede ist die Selbstversöhnung der Deutschen mit sich und ihrer Vergangenheit. Seine Motive sind Schuldabwehr und daraus resultierende Abwehraggressionen. Walser phantasiert dass die Verantwortung für Auschwitz „uns“, also den Deutschen mit Brutalität vorgehalten würde: „...die unvergängliche Schande, kein Tag, an dem sie uns nicht vorgehalten wird... Manchmal, wenn ich nirgends mehr hinschauen kann, ohne von einer Beschuldigung attackiert zu werden, muß ich mir zu meiner Entlastung einreden, in den Medien sei auch eine Routine des Beschuldigens entstanden.“ „Maßgebliche Intellektuelle“ (er zielt hier konkret auf Grass und Habermas) würden ihm und den Deutschen diese Entlastung verwehren. Walser will sich befreien von den „Meinungssoldaten“, die „mit vorgehaltener Moralpistole, den Schriftsteller in den Meinungsdienst zwingen. Die vage gehaltenen Intellektuellen grenzt er aus dem Kollektivkonstrukt Nation aus, um an anderer Stelle von „smarten Intellektuellen“ zu sprechen. Diese Bemerkung verweist auf das judenfeindliche Klischee von 'verschmitzten Juden'. Überhaupt spielt Walser mit Anti-Intellektualismus als antisemitischem Code, in welcher der Intellektuelle als gerissen, zu keiner produktiven Arbeit fähig, dem Volk gegenübersteht. Wer also die Mängel eines Systems oder die Problematik eines bestimmten Zustands benennt, wird für diesen Zustand verantwortlich gemacht. Auch ohne vom Juden selbst zu sprechen, wissen die Zuhörenden wer gemeint ist. Walser bedient sich aus dem Repertoire des Krypto-Antisemitismus, den „oft nur leise verschleierte(n) Stereotypen(n) des Antisemitismus“ (Theodor W. Adorno). Womit gemeint ist, dass Antisemitismus nicht erst beim Gröhlen von „Juden raus“, dem Schänden jüdischer Friedhöfe oder tätlichen Angriffen beginnt. Tradierte antisemitische Bilder wie das des verschmitzten oder auch das Stereotyp des raffenden jüdischen Kapitals  müssen nicht offen ausgesprochen werden, um die notwendige Resonanz bei den Zuhörenden zu finden.

Gleichzeitig verkehrt Walsers in aggressiver Abwehr Opfer und Schuldige. Die Deutschen sind in seiner Weltsicht nun die Verfolgten. Die Opfer der deutschen Todesfabriken, der Bombardements von Rotterdam oder Coventry und des Vernichtungskrieges der Wehrmacht im Osten finden bei Walser kein Mitgefühl.

Walsers Rede veranlasste die in der Paulskirche versammelte politische, kulturelle und intellektuelle ‚Elite’, mit Ausnahme des damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden Ignatz Bubis, zu stehenden Ovationen und Gerhard Schröder zu der frühen Reaktion, dass ein Schriftsteller sagen könne, was „ein deutscher Bundeskanzler nicht sagen darf.“

Zur gesellschaftlichen Debatte geriet die Walser-Rede in den Feuilletons erst, nachdem Ignatz Bubis Walser mehrfach als „geistigen Brandstifter“ kritisierte, zuletzt in seiner Rede zum Gedenken der Reichspogromnacht am 9. November 1998. Im Verlauf der wochenlangen sogenannten Walser Debatte spitzte sich Personalisierungen bezüglich der Person von Ignatz Bubis zu, welcher beispielsweise in der ‚Welt’ als besonders mächtiges „Sprachrohr einer der wichtigsten Interessenverbände im Lande“ bezeichnet wurde, der pathetisch mit „grotesken Wortungetüme(n)“ (FAZ) hantiere. Bis dato wurde Walser weder von Bubis, noch von anderen als Antisemit bezeichnet.

Bubis hingegen wurde allgemein als Störenfried der nationalen Selbstfindung empfunden, die  sich in der Walserschen Rede gegen den „Erinnerungszwang“ (so die FAZ am 10.11.98)  formulierte. Erst im weiteren Verlauf der Debatte wurden vermehrt Stimmen laut, die sich gegen die offenbar werdenden antijüdischen Ressentiments wandten und auch medial den Normalitätsdiskurs kritisierten oder von Missverständnissen sprachen. Zugleich eskalieren die antisemitischen Stimmungen.

Die Walser-Debatte findet vor allem in zwei Ereignissen ihren Abschluss:

1. Ein sogenanntes Versöhnungsgespräch mit Walser und Bubis am 14.12. 98 unter Beteiligung des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher und Salomon Korn. Im Verlauf dieses Gesprächs bricht Walsers dünne Decke des verschleierten Antisemitismus. Bezüglich der Judenvernichtung hält Walser Bubis entgegen, dass er sich schon früh, 1945 mit dem Holocaust auseinandergesetzt habe: „Herr Bubis, da muß ich Ihnen sagen, ich war in diesem Feld beschäftigt, da waren sie noch mit ganz anderen Dingen beschäftigt.“ Die Anspielung Walsers baut auf dem Wissen der Zuhörer auf, dass Bubis seinen Lebensunterhalt seit der Nachkriegszeit als Händler und Immobilienmakler verdiente. Walser konstruiert derart die eigene moralische Überlegenheit gegenüber dem Holocaust-Überlebenden Bubis, welcher nur in materiellen Dingen behaftet gewesen sei. Zumal sei, so Walser, seine Rede „ausschließlich an ein deutsches Publikum“ gerichtet sei und er würde nicht „über die Ansprüche von Zwangsarbeitern oder überhaupt für irgendein ausländisches Problem sprechen“. Die Abwehrhaltung Walsers definiert so nicht nur Bubis aus der Nation heraus, sondern exterritorialisiert gleich noch den gesamten Komplex der Ausbeutung und Vernichtung durch Arbeit als „ausländisches Problem“.

2. Am 19.Dezember 98 zerstört eine Bombe das Berliner Grab von Heinz Galinski, dem Vorgänger von Bubis in der Funktion als Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland. Die Tat, die dem Deutschen Ansehen schaden würde, wird weitestetgehend abgekoppelt von der vorherigen Debatte betrachtet. So fand es Eberhard Diepgen „ärgerlich“, „dass wir durch Taten von einzelnen Verrückten und Kriminellen immer wieder in Erklärungsbedarf gedrängt werden.“ Dabei sind es gerade derartige Diskurse, die dem sich gewalttätig äußernden Antisemitismus politische Gelegenheitsstrukturen schaffen und so seine Legitimationsgrundlage bilden. ( Sehr instruktiv hierzu: Lars Rensmann: Demokratie und Judenbild)

Noch die Erinnerung an Auschwitz kann als Teil von aggressiver Schuldabwehr und zur Normalisierung des Nationalis­mus fungieren.

Exemplarisch soll hier die Einrichtung der Berliner „Neuen Wache“ am Volkstrauertag des Novembers 1993 benannt werden. Mit der dort eingravierten Losung ‚Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft’ und der Einrichtung als zentrale Gedenkstätte der Bundes­republik Deutschland wird jegliche Spezifik des antisemitischen Wahns aufgelöst. Die Benutzung des Begriffs des ‚Opfers’ für alle „umgekommenen Soldaten und Zivilisten und alle ermordeten NS-Verfolgten sowie zugleich die vom kommunistischen Regime nach 1945 Ermordeten“ (Thomas Haury) abstrahiert im Zeichen einer nationalen Versöhnung von den realen Bedingungen der zu Tode gekommenen oder ermordeten Menschen.

Im Zeichen einer erzwungenen Versöhnung von Juden und nicht-jüdischen Deutschen im Tode gerät eine nachträglich aufgeblasene Pieta von Käthe Kollwitz zur „nationalen Kranzabwurfstelle“ (Eike Geisel). Die verschiedenen Ereignisse von der Einrichtung der „Neuen Wache“ als diffuser Gedenkort, über die Diskussionen um das Mahnmal zur Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden, der krypto-antisemitischen Friedenspreisrede des Martin Walser bis zu den populistischen Serien á la „Stalingrad“ des Fernsehhistorikers Guido Knopp zeigen, wie es Hajo Funke formulierte: „(E)ine neue Dimension von Versuchen, Auschwitz erinnerungspolitisch aus dem Gegenwartsbewusstsein und dem öffentlichen Raum auszusperren, in die Sphäre eines individualisierten schweigenden ‚Gewissens’ einzusperren und damit einen Schlussstrich unter die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust zu ziehen.“

Wie sich der Diskurs um den Bau eines Mahnmals zum Gedenken an die ermordeten europäischen Juden zur nationalen Selbstvergewisserung verdichtet, lässt sich exemplarisch in einem Spiegel-Interview, in der Nummer 28/1995, mit der Journalistin Lea Rosh von der  Stiftungsinitiative für das Mahnmal nachlesen, in dem sie berichtet: „Ich habe dem damaligen Vorsitzenden des Zentralrats, Heinz Galinski gesagt: ‚Halten sie sich da raus, die Nachkommen der Täter bauen das Mahnmal, nicht die Juden. Aber es wäre schön, wenn sie nicken könnten.“

Und nicht von ungefähr hieß es im Begleitheft der Ausschreibung für das Denkmal: „Wir Deutsche müssen ein weithin sichtbares Zeichen setzen, um in aller Öffentlichkeit zu dokumentieren, dass wir die Last dieser unserer Geschichte annehmen, dass wir aber ein neues Kapitel in dieser unserer Geschichte zu schreiben gedenken.“ Den Juden wird bei  einer solchen „Gemeinschaftsaktion der Deutschen“, wie sie Edzard Reuter nannte, wird die Rolle solcherart nationale Selbstfindung als Kronzeugen abzunicken, zugeschrieben.

So gerät das Mahnmal in Mitte, so Eike Geisel, zum „Monument der Vernichtungsgewinnler“,  die dort „dann die Messe eines neuen Kollektivs zelebrieren, das sich wahlweise Erinnerungsgemeinschaft, Verantwortungs- oder Wertgemeinschaft, vorzugsweise aber (...) Land der Täter nennt.“ Bis heute weigern sich die Deutschen, die der Tätergeneration, wie die der Nachfolgenden anzuerkennen, dass sie auch materielle Profiteure der zur Vernichtung vorgesehenen Juden waren und sind. „Durch von Eltern begangenes Unrecht leben heute viele der nicht schuldig gewordenen Arisierungserben ein weitaus besseres Leben als die meisten jener jüdischen Nachfahren, deren Eltern nach 1933 ihres Besitzes beraubt wurden.“ (Salomon Korn). Durch die Nichtanerkennung dieser Schuld und Verantwortung, verstricken sich auch die nachgeborenen nicht-jüdischen Deutschen noch in einen ‚sekundären Schuldzusammenhang’. Von daher ist sowohl das Mahnmal, als auch die Zahlung der deutschen Industrie in den Fonds zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter ein materielles, wie auch geschichtspolitisches Schnäppchen.

Im Vergleich zum Holocaust-Mahnmal hat die „Topographie des Terrors“ auf dem ehemaligen „Prinz-Albrecht Gelände“ solcherart Attraktion nicht zu bieten. Dort wo im Nebeneinander von Gestapo-Zentrale, Reichssicherheitshauptamt und SS-Führung die organisatorische Schaltstellen von nationalsozialistischer Verfolgung und Vernichtung lagen, besteht ein zentraler Ort und eine Freiluftausstellung zur Auseinandersetzung mit dem NS-System und den Tätern.

Der Ausbau des Provisoriums der „Topographie des Terrors“ wurde im selben Jahr beschlossen, wie der Bau des Holocaust-Mahnmals, 1989. Um den Entwurf des Ausbaus, der von dem Architekten Peter Zumthor stammt, gab es langjährige Kontroversen. Wie bei Berliner Großbauten üblich überschritt, aufgrund von Statikproblemen und dem Bankrott zweier Baufirmen, die Bausumme den Entwurf um ein Vielfaches und der Ausbau wurde nach Errichtung dreier Treppenhäuser gestoppt. Letztere werden derzeit zurückgebaut, sprich abgerissen, und ein neuer Architektenwettbewerb ausgeschrieben. Die Entscheidung selbst zeigt die Prioritätensetzung in dem was sich Umgang mit der Vergangenheit nennt. Die Zeiten sich mit den Tätern auseinander zusetzen scheinen vorbei, die Konjunktur des Gedenkens hat sich gewendet. Dem entsprechend wurde auch einem Vorschlag seitens der „Stiftung Topographie des Terrors“ nicht nachgegangen die drei Türme stehenzulassen, als Mahnmal für den Umgang mit dem „historischen Ort der Täter“.

Zukunftsweisender als solcherlei Gedenken scheint daher die von konservativer Seite betriebene Initiative „zur Förderung von Gedenkstätten zur Diktaturgeschichte in Deutschland“. Oder wie es der Initiator, der Berliner CDU-Abgeordnete Nooke in dem inzwischen, nach vielfältiger Kritik, zurückgezogenen Gedenkstättenkonzepts formulierte: “Beide deutsche Diktaturen waren von einer Gewaltherrschaft geprägt, die sich in der systematischen Verfolgung und Unterdrückung ganzer Bevölkerungsgruppen manifestiert hat.“

Ihr Vorbild findet diese Initiative im sächsischen Gedenkstättengesetz vom Februar 2003 zur Errichtung einer „Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft“, die, wie es in dem Gesetz heißt an „politische Gewaltverbrechen von überregionaler Tragweite, von besonderer historischer Bedeutung, an politische Verfolgung, an Staatsterror und staatliche Morde erinnern“ soll.

Die der Totalitarismustheorie entnommenen Gleichsetzungen von Nationalsozialismus und  stalinistisch geprägtem autoritären Sozialismus sind nicht nur das Ticket mit dem die Spezifik des NS, eben die Vernichtung des europäischen Judentums auf der Basis eines eliminatorischen Antisemitismus verwischt wird, sondern  stellen einen „Schritt zur teilweisen Leugnung“ der deutschen Verbrechen dar, wie es Efraim Zuroff, Leiter des Wiesenthal-Zentrums formulierte.

Die CDU-Initiative formuliert so auch implizit eine deutsche Opfergemeinschaft, die unter rotem und braunem Terror litt und trägt zur eigenen Exkulpierung bei. Dabei ist der Vorstoß der CDU kein Einzelfall. Seit 1990 gab es eine Vielzahl sogenannter Umwidmungen  von Mahnmalen und Gedenksteinen für die Opfer der NS-Verbrechen im Osten Deutschlands. Diese sind nun diffus den „Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“ oder dem „Faschismus und Stalinismus“ gewidmet. So scheint eingetreten zu sein,  was Jean Améry bereits 1966 in seinem Buch „Jenseits von Schuld und Sühne“ als Befürchtung äußerte:

„Was 1933 bis 1945 geschah, so wird man lehren und sagen, hätte sich unter ähnlichen Voraussetzungen überall ereignen können – und wird nicht weiter insistieren auf der Bagatelle, daß es sich eben gerade in Deutschland ereignet hat und nicht anderswo. [...] Alles wird untergehen in einem summarischen ‚Jahrhundert der Barbarei’.

Vom selben Autor:
Antisemitismus aus kritisch-theoretischer Sicht
Möglichkeiten und Grenzen politischer Bildungsarbeit in einem gesellschaftlichen Problemfeld

[ZUR DISKUSSION IM FORUM]

hagalil.com 21-01-2005

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