von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 22. Januar 2005
Der feste Glaube, mit "Druck von Außen" den Nahostkonflikt
beilegen zu können wird dieser Tage Lügen gestraft. Immer wieder versuchten
Israelis wie Palästinenser, mit Hilfe von Außenstehenden ihre Ziele zu
erreichen, ohne eigenes Zutun.
Die Palästinenser riefen den internationalen Gerichtshof an, in der
Hoffnung, Israel zum Abbau der "Mauer" zwingen zu können, ohne jedoch die
Ursache für den "Anti-Terror-Wall" zu beseitigen. Die Israelis forderten die
Europäer auf, Arafats Autonomie nicht zu finanzieren, bedachten jedoch
nicht, dass die Wirtschaftlage der Palästinenser nie ein Argument für Arafat
war, seinen ideologisch motivierten Kampf einzustellen. Eine Verbesserung
der humanitären Situation der Flüchtlinge interessierte ihn genau so wenig
wie ein Waffenstillstand für Bethlehem in den Weihnachtstagen. Der
Jahrzehnte lange Boykott Israels durch die Arabische Liga führte dazu, dass
Israel seine Waffen selber produzierte. Und die Hoffnung der Israelis, durch
den Druck amerikanischer Vermittler, die Palästinenser zum Ende der Intifada
zu zwingen, schlug fehl. Selbst als die Amerikaner ab Oktober 2003 ihre
Vermittler abzogen, nachdem das Schmugglerschiff Karine A entdeckt worden
ist und zwei amerikanische Diplomaten im Gazastreifen einem offenbar von
Arafat genehmigten Anschlag zum Opfer fielen, hinterließ das auf die
Palästinenser keinerlei Eindruck. Auch der eher subtile Druck der EU auf
Israel, Waren aus den besetzten Gebieten zu kennzeichnen, weil sie nicht
unter die vereinbarte Zollbefreiung israelischer Güter fallen, führte zu
keinem Abbau von Siedlungen, wie manche Palästinenser hofften.
Die Osloer Verträge von 1993 kamen durch direkte Gespräche zwischen Israel
und der PLO zustande, ohne das Wissen der Amerikaner. Ihr zeitweiliger
Erfolg, die gegenseitige Anerkennung und die Errichtung einer
palästinensischen Selbstverwaltung anstelle des israelischen
Besatzungsregimes über drei Millionen Palästinenser funktionierte nur, weil
sich die Interessen Israels und der PLO in einer gewandelten weltpolitischen
Lage trafen. Es war die Zeit nach dem ersten Irak-Krieg, durch den sich die
PLO ins Abseits manövriert hatte und das Ende des Kalten Krieges, was einen
Wegfall des engsten Verbündeten der PLO nach sich zog, der UDSSR. In Israel
fühlte sich die Linke unter Schimon Peres stark genug, für die jüdische
Mehrheit im Staat Israel anstatt für das Land Israel zu votieren.
Scharons Beschluss, die Siedlungen im Gazastreifen abzubauen, kam nur für
jene überraschend, die in ihm einen unverbesserlichen Ideologen sahen, was
er nie war. Scharon war immer schon ein Taktiker, der die Interessen Israels
-wie er sie sah - zur Priorität machte. Er räumte die Siedlungen im Sinai.
Er war der "Vater der Siedlungspolitik" und ist jetzt jener, der Siedlungen
abbaut, ohne Druck von Außen. Mit der Räumung des Gazastreifens verfolgt er
kühle taktische Ziele: die Palästinenser zur Selbstverantwortung zu zwingen,
die Ägypter einbeziehen, indem sie künftig den Waffenschmuggel nach Gaza
unterbinden müssen und schließlich, die "Fronten begradigen", wie es in der
Soldatensprache heißt. Scharon fasste den Beschluss, um die Intifada
"gewaltsam" zu stoppen. Seine Absicht, auch den Norden des Westjordanlandes
zu räumen, mitsamt der Ankündigung, weitere Siedlungen folgen zu lassen, ist
nach Angaben des ehemaligen Mossadchefs Efraim Halevy auch das Resultat der
gewandelten geostrategischen Lage: der Wegfall des Irak als größte Bedrohung
Israels aus dem Osten.
Taktiker war auch Arafat. Doch der hatte eher seinen eigenen Machterhalt und
seine persönliche Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft im Auge,
als das Wohl seines Volkes. Mit dem Tod Arafats, nachdem er 40 Jahre lang
der Diktator der Palästinenser gewesen war, wandelte sich die Lage
schlagartig. Sein Nachfolger Mahmoud Abbas verfolgt die gleichen
ideologischen Ziele wie sein Kampfgenosse Arafat, muss aber taktisch anders
vorgehen. Abbas benötigt eine demokratische Legitimierung. Für den "Vater
der Nation" war sie überflüssig. Abbas muss sich um das Volk kümmern, also
auch um die Bedürfnisse des täglichen Lebens. Abbas hat schon 2001 die
"bewaffnete Intifada" für einen Fehler gehalten, weil sie den Palästinensern
mehr schade denn nutze. Genau an diesem Punkt treffen sich israelische und
palästinensische Interessen. Ein Ende der israelischen Verfolgungsjagd gegen
Extremisten, der Zerstörungen durch Einmärsche, der Blockade mit Mauer und
Zaun kann Abbas nur erreichen, wenn es ihm gelingt, den "Terror" zu beenden.
Ohnehin kann er seine eigene Macht nur etablieren, wenn er das bewaffnete
Chaos in den Autonomiegebieten in den Griff bekommt. Arafat diente die
Anarchie zum eigenen Machterhalt, Abbas kann sie umgehend den Kragen kosten.
Deshalb darf er vorerst die Israelis nicht provozieren.
Sowie die Bedingungen für eine Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen
gekommen sind, dürften allerdings weder Scharon noch Abbas leichte Partner
sein. Wenn es um Frieden geht, hat Taktik ausgespielt. Dann müssen
strategische Ziele auf einen Nenner gebracht werden. Bei Kernfragen wie
Jerusalem, Grenzen und dem Schicksal der Flüchtlinge dürften sich beide
Politiker unnachgiebiger erweisen als ihre Vorgänger, Scharon mangels
Kompromissbereitschaft in Fragen der "Sicherheit" und Abbas, weil er nicht
die Legitimierung erhalten hat, von Arafats Zielen abzuweichen.