Bruno Gollnisch:
Holocaust-Äußerungen haben Folgen
Von Bernhard Schmid, Paris
Die Äußerungen des "Generalbeauftragten" (délégué général) des
rechtsextremen Front National (FN), Bruno Gollnisch, über die Shoah werden
nicht ohne Folgen bleiben. Anlässlich einer
Pressekonferenz am 11. Oktober 2004 in Lyon hatte Gollnisch unter
anderem die "Zahl der Toten" in Zweifel gezogen und vom notwendigen
"Diskussionsstoff für Historiker" über die Existenz der Gaskammern
gesprochen.
In der Folgezeit wurde vermutet, dass seine ungenierten und
"untaktischen" Auslassungen ein Ausdruck des innerparteilichen Machtkampfs
seien. In diesem stehen sich derzeit die Tochter und Wunsch-Nachfolgerin des
Parteichefs Jean-Marie Le Pen, Marine Le Pen, die als "Modernisiererin" der
Partei präsentiert wird, einerseits und die Altkader der extremen Rechten
auf der anderen Seite gegenüber. Durch seine Äußerungen wollte Gollnisch
sich mutmaßlich in den Augen der "Hardliner", die sich zur Zeit um den
FN-Bürgermeister von Orange - Jacques Bompard - scharen und eine in ihren
Augen "zu starke Mäßigung und Modernisierung" der Partei argwöhnisch
beäugen, günstig profilieren. Marine Le Pen hat sich Mitte Oktober zunächst
verbal von Gollnisch Vorstoß distanziert, doch waren ihr Fesseln dadurch
angelegt, dass ihr Rivale im innerparteilichen Machtkampf im Prinzip nur
Auslassungen ihres eigenen Vaters fast wörtlich wiederholt hatte: Jean-Marie
Le Pen selbst hatte anlässlich eines Fernsehauftritts im September 1987
einen Skandal ausgelöst, indem er die "Frage" der Existenz von Gaskammern
zum "Detail der Geschichte" erklärte und "Diskussionsfreiheit" für die
revisionistischen Pseudo-Historiker forderte. Dafür wurde Le Pen im März
1991 in Versailles, in zweiter Instanz, zu einer Geldstrage von insgesamt
rund 150.000 Euro verurteilt, zu zahlen an neun antifaschistische oder
antirassistische Vereinigungen, die als ZivilklägerInnen auftraten.
Le Pen hat sich in der jüngsten Affäre dann auch durch einen ironischen
Brief an den Präsidenten des Europaparlaments Josep Borell, der den
EP-Abgeordneten Gollnisch wegen seiner jüngsten Äußerungen rügte, hinter
seinen Parteikollegen als "Opfer einer Hexenjagd" gestellt. Dennoch
krittelte Jean-Marie Le Pen auch an den mutmaßlichen Absichten und
Hintergedanken Bruno Gollnischs herum: Warum habe dieser es denn nötig,
fragte er, sich jetzt auf solche Weise zu profilieren. Er selbst, Jean-Marie
Le Pen, sei doch damals (1987) Opfer eines "journalistischen Hinterhalts"
geworden, aber bei Gollnisch sähen die Dinge anders aus.
Gollnischs Suspendierung von der Universität
Bruno Gollnisch, der in den siebziger Jahren einmal Jura in Japan
studiert hat, wurde ab 1982 in Frankreich Juraprofessor und später, Ende der
achtziger Jahre, zum Dekan der Japanologie-Fakultät der Universität Lyon-III
ernannt. Dort lehrt er heute u.a. Internationales Recht und japanistische
juristische Fachterminologie. Die
Hochschule Lyon-III
ist eine alte Hochburg der akademischen extremen Rechten; dort
lehrten früher u.a. der notorische Auschwitzleugner Bernard Notin (der 1990
suspendiert wurde), der Historiker und faktische Rassenideologe Pierre Vial
mit seinem mittlerweile geschlossenen "Institut für indoeuropäische Studien"
oder der rechtsextreme Kolonialismus-Apologet Bernard Lugar. Inzwischen
allerdings versuchen die Universitätsbehörden, das Image ihrer Hochschule
aufzupolieren und die gröbsten Auswüchse zu bekämpfen.
Infolge seiner Äußerungen wurde Gollnisch zunächst in den ersten
Novembertagen durch den Präsidenten der Universität Lyon-III, Guy Lavorel,
für einen Monat vom Dienst suspendiert. Seine Bezahlung wurde dabei aufrecht
erhalten. Die Wirkung dieser Maßnahme ging jedoch zu Anfang dieses Monats zu
Ende, und Professor Gollnisch hätte normalerweise ab Freitag, dem 3.
Dezember seine Lehrtätigkeit wieder aufnehmen sollen. Dazu kam es jedoch
nicht.
Zwischenzeitlich hatte der Rektor der Lyoner Universitäten, Alain Morvan,
wiederholt "exemplarische Sanktionen" gegen den Hochschullehrer Bruno
Gollnisch eingefordert; es sei "undenkbar", dass dieser erneut vor
Studierenden unterrichten solle. (Im französischen Hochschulsystem bildet
der Rektor die durch die Regierung eingesetzte Aufsichtsbehörde, während der
Präsident einer Universität eine durch seine Lehrerkollegen gewählte Instanz
darstellt. Der Rektor als Vertreter des Zentralstaats, und der Präsident als
Repräsentant einer begrenzten "Selbstverwaltung" müssen im Zusammenspiel die
wichtigsten Angelegenheiten regeln.)
Der aktuelle Bildungsminister der Pariser Regierung, François Fillon
(UMP), seinerseits war anlässlich eines Diners des Lyoner Regionalverbands
des jüdischen Zentralrats CRIF am Donnerstag, 2. Dezember, zum Eingreifen an
Lyon-III aufgefordert worden. François Fillon verwies die Frage weiterer
Sanktionen gegen Gollnisch an den zuständigen Disziplinarrat der
Universität, verurteilte jedoch deutlich die "Übelkeit erregenden"
Äußerungen des rechtsextremen Politikers. Der Bildungsminister kündigte
ferner an, an jede Oberstufen-Schule des Landes eine DVD mit dem Film Shoah
von Claude Lanzmann verteilen zu lassen.
Am selben Donnerstag hatte der Hochschul-Präsident Guy Lavorel dem
rechtsextremen Professor Gollnisch ab dem folgenden Tag Hausverbot an der
Universität Lyon-III erteilt, das solange gilt, bis der Disziplinarausschuss
über den weiteren Umgang mit ihm entschieden hat. Damit konnte Gollnisch
seine Lehrveranstaltungen nicht an jenem Freitag um 10 Uhr, wie von ihm
geplant, wieder aufnehmen. Da für eine solche Maßnahme ein triftiger
Rechtsgrund erforderlich ist, führte Hoschulpräsident Lavorel
"Sicherheitsrisiken" an, die aus möglichen Zusammenstößen zwischen Gegnern
der Fortsetzung von Gollnischs Lehrveranstaltungen und Befürwortern seines
Unterrichts resultieren könnten. Den passenden Anlass lieferte ihm eine
Demonstration gegen Gollnischs Präsenz an der Universität, die am fraglichen
Freitag um 12.30 Uhr stattfand. Dazu hatten die antifaschistische
Studierendenvereinigung Hippocampe, die landesweite Studierendengewerkschaft
UNEF (Union nationale des étudiants de France) sowie die jüdische
Studentenunion UEJF (Union des étudiants juifs de France) aufgerufen.
Bruno Gollnisch, der ab 11.30 Uhr eine Pressekonferenz in den
Räumlichkeiten des Front National in Lyon gab, antwortete darauf mit der
Forderung, die Hochschule solle autoritäre Maßnahmen gegen die "Störer"
ergreifen. Nicht er sei es, der den Hochschulbetrieb beeinträchtige, sondern
die DemonstrantInnen gegen ihn. Gollnisch erklärte sich besorgt um das Wohl
seiner StudentInnen, deren Prüfungen zum Semesterabschluss bevor stünden -
und lud diese dazu ein, doch bei ihm zu Hause oder in "privaten
Räumlichkeiten" ihr Unterrichtsmaterial abholen zu kommen. Ferner wolle er
ihnen eine gesondere Webpage zur Verfügung stellen.
Nunmehr wird der Disziplinarausschuss der Hochschule zu entscheiden
haben, wie weiter mit Gollnisch verfahren wird. Ein Ausschluss für das
gesamte Schuljahr, oder länger, gilt als nicht ausgeschlossen.
Gollnisch selbst hat bei seiner Pressekonferenz angekündigt, binnen 48
Stunden das Verwaltungsgericht (Tribunal administratif, TA) anzurufen,
zwecks Erlass einer Einstweiligen Verfügung, die ihm die Tore der
Universität wieder öffnen soll.
Gerichtliche Verfolgung der Holocaust-Relativierung
Unterdessen hat die Affäre um Gollnischs Auslassungen aber wahrscheinlich
auch noch andere, nämlich gerichtliche Konsequenzen.
Seit Mitte November 04 hatte der Lyoner Staatsanwalt Xavier Richaud ein
Dossier der kriminalpolizeilichen Ermittler in Sachen Gollnisch auf seinem
Schreibtisch. Da die Ermittler über keinerlei Mitschnitt der Pressekonferenz
vom 11. Oktober in den Räumen des Front National verfügten, hatten sie
sämtliche Journalistinnen und Journalisten vernommen, die damals anwesend
waren. Richaud schien allerdings zu zögern, ob auf dieser Grundlage ein
gerichtliches Strafverfahren gegen den FN-Politiker einzuleiten sei. Laut
einem vorläufigen Bericht zum Abschluss der Ermittlungen ging er davon aus,
eine Einstellung des Verfahren sei wahrscheinlich. Dagegen sei gegen einen
parlamentarischen Mitarbeiter der Front National-Fraktion im Lyoner
Regionalparlament (wo auch Bruno Gollnisch sitzt), Georges Theil, ein
Strafverfahren zu betreiben. Am 14. Oktober hatte Theil, anscheinend
ermutigt durch den Vorstoß Gollnisch drei Tage zuvor, öffentlich
hinausposaunt: "Die Gaskammern waren geschlossene Vorrichtungen zum Zwecke
der Desinfektion."
Am 29. November erteilte Justizminister Dominique Perben (UMP) jedoch, wie
er in einem Kommuniqué mitteilte, Anweisung zur Aufnahme eines
Strafverfahrens gegen Bruno Gollnisch. Diese Anweisung erging an den
Generalstaatsanwalt von Lyon, Jean-Olivier Viout, den Vorgesetzten von
Xavier Richaud in der Justizhierarchie. Neben Gollnisch seien auch der
FN-Regionalparlamentarier Albert Rosset für seine Äußerungen bei der
Pressekonferenz vom 11. Oktober, und Georges Theil für seine Auslassungen
vom 14. 10. in das Strafverfahren einzubeziehen.
Bruno Gollnisch wettert seitdem gegen eine "politische Verfolgung" und gegen
die "Einmischung der Regierung in die Angelegenheiten der Justiz". Diese
finde ihre Grundlage darin, dass der aktuelle Justizminister Dominique
Perben Ambitionen auf den Sessel des Oberbürgermeisters von Lyon hege, und
deswegen "einen Abgeordneten der Opposition (Anm.: Gollnisch selbst) mundtot
machen" wolle. "Wenn ich ein Kindermörder wäre, dann würde der
Justizminister sich nicht einschalten, sondern den Staatsanwalt machen
lassen", behauptete Gollnisch auf seiner Pressekonferenz vom 3. Dezember.
Streichung von den Wahllisten
Aller guten Dinge sind drei: Ferner wurde Bruno Gollnisch aus dem
Wählerverzeichnis von Lyon gestrichen, in dem er bisher gemeldet war. In
Wirklichkeit wohnt Gollnisch nicht in der Stadt an der Rhône, sondern in
Limonest, einem Lyoner Vorort. Zu der Zeit, als er frisch an die Universität
Lyon-III berufen wurde, konnte er sich mit der Anschrift der Hochschule als
Meldeadresse ins Wählerregister einschreiben; das wurde damals durch die
Behörden hingenommen. Nach 15 Jahren Jahrzehnten verfing dieser
administrative Trick aber nicht mehr.
Auf ein Schreiben des Cercle Marc Bloch, der sich den Ideen der Résistance
verpflichtet fühlt, vom März 2004 hin wurde der Lyoner Präfekt (der
juristische Vertreter des Zentralstaats im Département) initiativ, und
beauftragte eine Verwaltungskommission mit der Prüfung des Falls Gollnischs.
Diese entschied bereits am 30. September 04, den rechtsextremen Politiker
von den Lyoner Wählerlisten zu streichen. Die Entscheidung wurde aber erst
in den letzten Novembertagen publik, angesichts des öffentlichen Aufhebens
um Gollnisch. Der FN-Politiker kann daher künftig zwar noch in der Region
Rhône-Alpes, aber nicht mehr in deren Hauptstadt Lyon kandidieren. Die
Entscheidung wird zum 1. März 2005 hin rechtskräftig. Nunmehr fordert der
Cercle Marc Bloch, Bruno Gollnisch konsequenterweise auch seine
Abgeordnetenmandate (etwa im Lyoner Regionalparlament) zu entziehen, da er
diese als Kandidat in städtischen Wahlkreisen in Lyon selbst errungen hat.
Dazu hat die Verwaltung bisher nicht Stellung genommen.
Gollnisch fühlte sich aufgrund dieser jüngst bekannt gewordenen Entscheidung
erneut "politisch verfolgt".
hagalil.com
06-12-2004 |