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Die öffentliche Verarbeitung eines islamistischen Mords:
Oder: Was "Israelkritik" und "Islamkritik" gemeinsam haben

Von Susanne Bressan

Gibt man die Wörter "Israelkritik" und "Israelkritiker" in verschiedenen Variationen in die Internet-Suchmaschine Google ein, so erhält man 14.900 Treffer. Für die Wörter "Islamkritik/Islamkritiker" zeigt Google 5.630 Seiten an. Damit führen Israel und Islam deutlich vor denselben Kombinationen mit den Wörtern Amerika, Deutschland, Christentum oder Europa. Weit abgeschlagen rangiert China (356 Treffer), und Russland kommt nach diesem Suchkriterium ganz ohne Kritik aus [1].

Auch wenn die Kritik an Israel auf deutschsprachigen Internetseiten, in Presse und Rundfunk fraglos dominiert – seit dem Mord am niederländischen Regisseur Theo van Gogh bekommt sie ernsthafte Konkurrenz. Quer durch die Medienlandschaft waren sich Journalisten schnell darin einig, in dem Filmkünstler und Kolumnisten einen "Islamkritiker" zu sehen. Zweifellos verdient dieser Mord keinerlei Rechtfertigung. Zu recht macht es zudem Angst, dass die Tat höchstwahrscheinlich nicht nur aus individuellen religions-fanatischen Motiven begangen wurde, sondern aus der Unterstützung eines islamistischen Umfelds heraus. Auch ich teile das Entsetzen darüber, dass ein Mensch vermutlich deshalb getötet wurde, weil er in einem Film Frauenfeindlichkeit und Gewalttätigkeit anprangerte, die sich auf den Koran beruft. In welcher Form dieses Entsetzen jedoch in der Öffentlichkeit verarbeitet wird, hat streckenweise nur noch wenig mit der Tat selbst zu tun: Im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit steht nicht eine Analyse "des" Islamismus, seines Gefahrenpotenzials und möglicher Gegenstrategien. Stattdessen werden "westliche" Werte wie Toleranz, Pluralismus und Offenheit zur Zielscheibe.

Ebenso, wie sich hinter der Formulierung, es müsse doch erlaubt sein, Israel zu kritisieren, zumeist ganz andere Motive erkennen lassen [2], wird "Islamkritik" nicht immer in einem Zusammenhang verwendet, in dem es um die Auseinandersetzung mit einer Religion geht. Dies zeigt sich daran, wie Feuilleton-Autoren die Begriffe "Islamkritik", Meinungsfreiheit, Toleranz, Integration und Multikulturalismus in Beziehung zueinander setzen, um den Mord an dem niederländischen Filmemacher einzuordnen. So wird als "islamkritisch" nicht nur der Film charakterisiert, den der Mörder als Anlass für seine Tat nahm. Unter dem Etikett "Islamkritik" erfahren auch Theo van Goghs Diffamierungen gegenüber Muslimen und anderen Minderheiten, die er außerhalb seines filmischen Schaffens äußerte, eine erstaunliche Verharmlosung, ja sogar Aufwertung – ebenso wie seine Freundschaft mit dem vor zwei Jahren ebenfalls in den Niederlanden ermordeten Rechtspopulisten Pim Fortuyn und schließlich Fortuyn selbst. Und dies geschieht selbst dann, wenn nicht die politische Debatte um den Mord im Mittelpunkt steht, sondern das künstlerische Werk des Ermordeten.

Der "Tod eines Meinungsfreien" und die "Grenzen der Toleranz"

Unter der Überschrift "Tod eines Meinungsfreien" beschreibt die niederländische Filmkritikerin Dana Linssen in der "tageszeitung" Theo van Gogh als einen Menschen, der es liebte "zu provozieren, Situationen auf die Spitze zu treiben, zu schockieren – er nannte Muslime ständig Ziegenficker. Alles Eigenschaften, die ihm als Filmemacher mehr Nuancen entlockten als seiner Arbeit als Kolumnist." Und weiter: "Am rechtspopulistischen Politiker Pim Fortuyn bewunderte er die Schamlosigkeit, mit der dieser das Scheitern der sozialdemokratischen Kulturdominanz anprangerte. Dass Fortuyn am 6. Mai 2002 ermordet wurde, verhärtete seine Haltung. Van Gogh polemisierte und politisierte. Neben der muslimischen (sic!) Bedrohung (sic!) sah er auch ein Linkskomplott, das darauf aus war, die demokratischen Werte der Niederlande zugrunde zu richten, vor allem den einen: die Meinungsfreiheit."[3]

Hier wird nicht nur die Diffamierung von Muslimen als "Ziegenficker" als nuancierte künstlerische Eigenschaft verharmlost, darüber hinaus werden typische rechtspopulistische Verschwörungstheorien und Bedrohungs-Argumentationen als Kampf für Demokratie und Meinungsfreiheit gedeutet.

Mit den Begriffen Meinungsfreiheit und demokratische Werte argumentiert auch die Berliner Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur in der Süddeutschen Zeitung [4]: "In den Niederlanden herrscht Meinungsfreiheit, und wer das nicht akzeptieren will, sollte gehen. Wer sich nicht anpasst an den hier herrschenden Wertekanon, der hat hier eben nichts verloren. Wer sich von van Gogh beleidigt fühlt, der soll eben gegen ihn prozessieren." (...) "Über (den niederländischen Schriftsteller, S.B.) Leon de Winter, dem er vorwarf, sein Jüdischsein zu vermarkten, sagte van Gogh einmal, er wickle sich wohl Stacheldraht um den Penis beim Sex und schreie 'Auschwitz, Auschwitz'. De Winter ging vor Gericht. So macht man das in einem Rechtsstaat oder man schreibt dagegen an."[5]

So sehr Amirpur Recht damit hat, nicht irgendwelche Schuldmotive beim Opfer zu suchen, und nicht von dem Täter und dem Verbrechen abzulenken – warum ist es ihr dabei nicht möglich, diffamierende Stereotype und antisemitische Äußerungen des Opfers wenigstens als solche zu benennen? Oder, wenn dies pietätlos erscheint, auf diese Zitate zu verzichten? Die deutliche Zurückweisung des Versuchs, ein Kapitalverbrechen mit einem Rassismus-Vorwurf an das Mordopfer zu relativieren, ist wichtig. So ist es hier aber nicht formuliert. Stattdessen werden stereotype Diffamierungen als "Gefühl" der Beleidigung abgetan und ausschließlich als Beispiel dafür angeführt, wie man korrekt mit Meinungsfreiheit umzugehen hat. Gegen den "hier herrschenden Wertekanon"  scheinen antisemitische Äußerungen jedenfalls nach dieser Logik nicht zu verstoßen, ansonsten hätte die Autorin feststellen müssen, dass auch van Gogh "hier eben nichts verloren" habe und hätte "gehen sollen". Was der "hier herrschende Wertekanon" eigentlich ist, bleibt unklar. Klar ist nur, dass Meinungsfreiheit dazugehört. Doch auch "herrschende" Werte konfligieren miteinander, und werden von unterschiedlichen Akteuren verschieden interpretiert. Und selbst Gesetze, die sich auf Werte berufen, bedürfen immer der Auslegung. Deshalb ist in Deutschland beispielsweise der Spielraum in der Auslegung, wo Meinungsfreiheit aufhört und Volksverhetzung anfängt, an besonders sensiblen Punkten gesetzlich sehr genau festgelegt. Dennoch gibt es dazu immer wieder juristische Streitfälle. Amirpurs Argumentation ist hier widersprüchlich, da sie für diejenigen, die sich als Moslems beleidigt fühlen, zunächst die juristischen Grenzen von Meinungsfreiheit negiert (wer Meinungsfreiheit und damit einen "herrschenden" Wert nicht akzeptieren will, hat hier nichts verloren und soll gehen). Wenn sie im nächsten Satz jedoch auf die juristische Auseinandersetzung zwischen de Winter und van Gogh verweist, räumt sie die Möglichkeit ein, dass Meinungsfreiheit durchaus mit dem Gesetz in Konflikt geraten kann – ohne dies freilich so zu formulieren. Dann ist die Alternative auf einmal nicht mehr, (aus dem Land) zu "gehen", sondern vor Gericht zu ziehen.

Nun kann man Amirpur gewiss nicht vorwerfen, sie hege antisemitische, rechtspopulistische oder gar islamfeindliche Sympathien. Ihre Publikationen zeichnen sich im Gegenteil dadurch aus, dass sie sich differenziert und reflektiert mit den Themen "Islam", islamischer Extremismus und Menschenrechte auseinandersetzen. Das spricht dafür, dass vieles, was zum Mord an van Gogh so kurz danach gesagt und geschrieben wurde, unter einer großen emotionalen Verstörung geäußert wurde. Das ist verständlich. Doch ist die Tendenz, in Zusammenhang mit den Begriffen "Meinungsfreiheit" und "demokratische Werte" auf diffamierende Stereotype und rechtspopulistische Argumentationsmuster zu rekurrieren, um positive Eigenschaften des Ermordeten und/oder demokratische Werte zu unterstreichen, so häufig und so lang anhaltend, dass man darin ein grundlegendes Muster vermuten muss.

Auch Siggi Weidemann nimmt in der Süddeutschen Zeitung auf den Rechtsstreit zwischen van Gogh und dem Schriftsteller de Winter Bezug: "Van Gogh hatte de Winter beschuldigt, den Verkauf seiner Bücher durch die Instrumentalisierung seiner jüdischen Identität und der Shoa zu fördern. Auch prangerte er den Missbrauch des Namens Anne Frank für internationale Interessen an."[6] Weidemann hinterfragt hier nicht einmal ansatzweise den Vorwurf der "Instrumentalisierung jüdischer Identität". Vielmehr scheint es für den Nachweis von Vorurteilsfreiheit schon zu genügen, wenn jemand "anprangert", dass etwas für "internationale Interessen" "missbraucht" wird [7]. Entsprechend interpretiert er dieses Beispiel so: "Van Gogh konnte sehr gut Vorurteile durchbrechen und war gegen jede Art von Fundamentalismus. Er agierte gegen Juden, Calvinisten, Katholiken und Muslime gleichermaßen provokativ."[8] Schade nur, dass wir in diesem Artikel (wie in den anderen zitierten Artikeln auch) kein Beispiel für anti-calvinistische oder anti-katholische "Provokationen" präsentiert bekommen, sondern nur anti-muslimische, anti-jüdische und anti-linke.

Wie im Falle des Rekurses auf das Stereotyp "Ziegenficker" in den oben genannten Beispielen, werden auch hier Stereotype relativiert oder gar in ihr Gegenteil verkehrt, als eigentliche Loslösung von Vorurteilen. Und schließlich spannt auch Weidemann den Bogen zu den Themen Toleranz und Einwanderung: "Toleranz, so van Gogh, könne man nur innerhalb bestimmter Grenzen ausüben: Wenn ich jemanden schon einlade, so erwarte ich auch, dass der Gast die Hausregeln akzeptiert und mich nicht bestiehlt oder zusammenschlägt."[9] Das erinnert an die oben zitierte Einstellung Amirpurs: "In den Niederlanden herrscht Meinungsfreiheit, und wer das nicht akzeptieren will, sollte gehen. Wer sich nicht anpasst an den hier herrschenden Wertekanon, der hat hier eben nichts verloren."[10] Beide Zitate geben ziemlich genau wieder, wie Multikulturalismus- und Einwanderungsdebatte von denen geführt werden, die entweder immer schon wussten, dass Multikulti kein "friedliches Gartenfest" sei, oder von denjenigen, die in einer multikulturellen Gesellschaft tatsächlich die Chance einer besseren Welt sahen und nun feststellen, dass sie damit falsch lagen [11]. Beiden Perspektiven, der von der Utopie getäuschten wie der von vornherein problematisierenden, liegt die Annahme zu Grunde, Einwanderer seien prinzipiell anders und daher auch anders als Alteingesessene zu behandeln – nämlich entweder als prinzipiell bessere Menschen, die allenfalls aus ihrer Marginalisierung oder aus einem "Kulturkonflikt" heraus böse werden, oder als nicht gleich berechtigte "Gäste", für die andere "Erwartungen" und Maßstäbe gelten, und die vor allem ein gewisses kriminelles Potenzial qua natura mitbringen. Dass jede Gesellschaft ein Sanktionssystem zunächst einmal für die eigenen Landsleute entwickelt hat, wird dabei ebenso vergessen, wie die Tatsache, dass dieses Sanktionssystem für Einheimische wie Hinzugekommene gleichermaßen gilt. Warum sind die "Grenzen der Toleranz" nicht auch dann erreicht, wenn ein "Einheimischer" mich "bestiehlt oder zusammenschlägt"? Aus dieser Perspektive werden je nach Kontext entweder die "Gäste" oder die Alteingesessenen zu einem soziokulturellen Ganzen vereinheitlicht. Wenn Migranten Normen verletzen, wird dies als "kulturelle" Eigenschaft "der" Migranten gesehen, während die Differenzierung nach Herkunftsmilieu und Motiven bei den "Einheimischen" selbstverständlich ist, wenn sie Straftaten begehen, Frauen verachten, gewalttätig sind etc. Umgekehrt werden Differenzen unter den Einheimischen immer dann ignoriert, wenn der "hier herrschende Wertekanon" [12] ins Feld geführt wird. Dass dieser "Wertekanon" ständig auch von Einheimischen verletzt wird, dass der "Wertekanon" auch unter säkularen Demokraten umstritten ist, das geht in der Gegenüberstellung christlich-europäisch-normal versus muslimisch-migrantisch-abweichend unter. Konflikte werden nicht als jeder Gesellschaft immanente soziale, politische und ökonomische Auseinandersetzungen gesehen, sondern als Begleiterscheinung einer multikulturellen Gesellschaft wahrgenommen und "kulturalisiert".

Diese Kulturalisierung von Konflikten praktizieren Gegner des "Multikulturalimus" ebenso wie Befürworter. In der Auseinandersetzung damit, wie Einwanderung politisch und gesellschaftlich gestaltet werden kann, werden von beiden Seiten "kulturelle" oder "ethnische" Besonderheiten zunächst festgeschrieben und dann entweder positiv exotisiert oder – und das auch von den Multikulturalisten, und zwar mit zunehmender Tendenz – problematisiert. Welchen Platz Migranten bestimmter Herkunft [13] in den ökonomischen und sozialen Strukturen der Einwanderungsgesellschaften einnehmen, das wird dann allenfalls als Folgeerscheinung der "mitgebrachten" und in der "Fremde" "natürlich" verstärkten kulturellen Andersartigkeit gedeutet, als bedingende Faktoren werden diese Strukturen aber nicht gesehen. Selbst wenn die multikulturalistische Perspektive dabei auch die Mehrheitsgesellschaft als kulturell heterogen erkennt, bleibt nach aller Differenzierung die Dichotomie zwischen einem unproblematischen "Wir" und den problematischen und/oder "bereichernden" "Anderen". Und für diese "Anderen" fordern die unterschiedlichen Lager dann entweder "Toleranz" oder "Grenzen der Toleranz", selten jedoch Respekt oder Interesse für deren Lebensumstände jenseits ihrer kulturellen Besonderheit.

Der feuilletonistische Abgesang auf den Multikulturalismus

Wenn Dirk Schümer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung davon redet, die "Eskalation dieser Tage (habe) dazu beigetragen, die Lebenslügen des europäischen (...) Multikulturalismus an die Oberfläche zu bringen"[14], dann kritisiert er allerdings nicht dieses Fundament der kulturalisierenden und problematisierenden Dichotomisierung zwischen "Wir" und "den Anderen". Auch hinterfragt er nicht das gängige Verständnis von "Toleranz". Vielmehr reiht er sich ein in den feuilletonistischen Chor des Abgesangs auf den Multikulturalismus, der in dem Mord an Theo van Gogh und dem Attentat auf den Rechtspopulisten Pim Fortuyn ein und das selbe Motiv ausmacht:

"(...) (B)ereits damals musste jeder zur tristen Analyse kommen, dass hier ein Politiker sein Leben verlor, weil er die Tabus des Multikulturalismus überhaupt nur ausgesprochen hatte."[15] Im Unterschied zu manch anderem Kollegen weist Schümer zwar darauf hin, dass hier ein "Veganer"am Werk war. Dass der vegane Mörder aber kein niederländischer Islamist marokkanischer Herkunft war, dass muss sich der Leser selbst dazu denken. Doch selbst wenn er diesen Unterschied erwähnt hätte – das hätte sein Argument auch nicht besser gemacht. Schümer spielt hier mit denjenigen Denkmustern, mit denen rechtspopulistische Politiker auf Stimmenfang gehen: Wie Jürgen W. Möllemann sich in Szene setzte als einer, der es wagte, das angebliche Tabu der Israelkritik zu brechen, und endlich einmal offen ausspricht, was "das Volk" denkt; wie Barnabas Schill den Volkswillen für sich reklamierte als einer, der die angebliche Toleranz oder das Vertuschen von "Ausländerkriminalität" nicht länger dulden wollte. Die Denkmuster sind dieselben wie die eines Pim Fortuyn: Es gibt eine Verschwörung der korrupten Politikerklasse, die Tabus oder Denkverbote verhängt, und so verhindert, etwas gegen die "wirklichen Probleme" zu tun. Die "wirklichen" Probleme sind für die rechtspopulistischen Demokraten dann vorzugsweise der Staat Israel und die Juden, Muslime oder andere "Fremde" in den Staaten der Europäischen Union.

Mit derartigen Denkmustern wird nun paradoxerweise versucht, Pim Fortuyn ebenso wie Theo van Gogh vom Rassismus-Vorwurf freizusprechen. Schümer nimmt Fortuyn ab, er sei nicht rassistisch gewesen, weil er sagte, er "habe nichts gegen Muslime" und "gehe sogar mit denen ins Bett." Dass sich Rassismus und die Behandlung der für minderwertig befundenen Zielgruppe als Sexualobjekt trefflich miteinander vertragen, diesen Gedanken erwägt der Autor hier nicht. Vielmehr interpretiert er diese Haltung so: "Damit war dem Rassismus die Spitze genommen, und es ging nur mehr um die lange tolerierte Verletzung demokratischer Regeln – Frauenrechte, Trennung von Staat und Kirche, Gewaltmonopol, Hasspredigten in Gotteshäusern. Diese Dunkelsphäre [16] zu benennen, gar einen Film mit sexistischen und gewaltverherrlichenden Koranpassagen zu drehen, hat nach Fortuyn jetzt auch van Gogh das Leben gekostet."[17] So wird die Tugend freier Meinungsäußerung und der Anprangerung von Missständen vermischt mit rassistischen Äußerungen der beiden Mordopfer. Die Diffamierung von Muslimen als "Ziegenficker" wird nach dieser Lesart in berechtigte "Islamkritik" umgewendet, und Theo van Gogh wird attestiert, ein "Garant eines vielstimmigen und bunten Europas" [18] gewesen zu sein.

Nach all diesen Vermischungen und Verdrehungen kommt dann am Ende heraus: In einem Land, in dem Toleranz und die Idee einer "multikulturellen" Gesellschaft einen hohen Stellenwert hat(te), wurden innerhalb von zwei Jahren zwei prominente Gegner des Multikulturalismus ermordet, die Toleranz für diskriminierende Haltungen einforderten. Und da der zweite der Morde von einem "integrierten" niederländischen Islamisten nordafrikanischer Herkunft begangen wurde, ist nun das Konzept der multikulturellen Gesellschaft gescheitert. Wie hier Zusammenhänge assoziiert werden, das lässt sich an einem "Schwerpunkt" zum Thema in der Süddeutschen Zeitung gut illustrieren: Unter der Überschrift "Multikulturelle Gesellschaft – Das schwierige Zusammenleben" wird die Frage formuliert: "Nach dem tödlichen Anschlag auf den islamkritischen (sic!) Filmemacher Theo van Gogh brennen in den Niederlanden Moscheen und Kirchen. Können Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen und mit unterschiedlichen Religionen nicht friedlich zusammenleben?" Der Schwerpunkt ist in einer Reihenfolge in Unterthemen unterteilt, die sich als Assoziationskette lesen lassen: "Multikulturalismus – Organisierte Verweigerung – Schwierige Integration – Gegen den Fanatismus – Toleranz in den Niederlanden - Missglücktes Modell – Mord an van Gogh."[19] Die Frage, inwiefern in der Mehrheitsgesellschaft überhaupt die Bereitschaft vorhanden war, das Konzept eines gleichberechtigten "multikulturellen" Zusammenlebens ernsthaft umzusetzen, findet in dieser Debatte kaum Beachtung.

Europäischer "Wertekanon" und Einwanderung

Ebenso wie bei "israelkritischen" lohnt es sich bei "islamkritischen" Argumenten, nicht nur genau auf den Kontext zu horchen, sondern auch die Verhältnismäßigkeit der Kritik zu beachten. Während Kritik an Israel oft einhergeht mit der Wahrnehmung, der jüdische Staat sei der Haupt- oder gar einzige Verantwortliche für Gewalt im Nahen Osten[20], werden aus europäisch-christlicher "islamkritischer" Perspektive religiöser Fanatismus, Anti-Säkularismus, anti-demokratische Einstellungen, Diskriminierung von Frauen, Fehdemord und "Illegalität" zum Monopol muslimischer Gesellschaften und Migranten. Dass all diese Erscheinungen fester Bestandteil auch europäischer Gesellschaften sind, gerät dabei aus dem Blickfeld. Allenfalls rekurrieren Vergleiche mit Europa auf die lang zurückliegende Geschichte der Kreuzzüge, Hexenverfolgungen und Glaubenskämpfe, selten aber auf die Gegenwart [21]. Freilich gibt es in der europäischen Gegenwart einen Unterschied zu den meisten "islamischen" Staaten: Werte wie Gleichberechtigung, Religionsfreiheit, Trennung von Kirche und Staat sowie Menschenrechte sind in den Staaten der Europäischen Union größtenteils verfassungsrechtlich verankert. Damit besteht theoretisch die Möglichkeit, diese Werte auf institutionellem Wege einzuklagen. Wie wichtig dieser Unterschied ist, darf keinesfalls unterschätzt werden. Es gibt jedoch eine Kluft zwischen Anspruch und Praxis, nicht zuletzt deshalb, weil einer beträchtlichen Zahl von Menschen in Europa ein rechtlicher Status und damit die Einforderung von Rechten vorenthalten werden.

Die eigene unzulängliche Einlösung von Werten, Normen und Eigenschaften auf "Andere" zu projizieren, dieses Prinzip hat, in unterschiedlichen Ausprägungen, eine lange Tradition im christlichen Europa. Hierfür boten sich anfangs die in Europa lebenden Juden als wichtigste "Andere" an. Im Jahr 1199 erließ Papst Innozenz III ein "Edikt zugunsten der Juden", in dem folgende Passage zu finden ist: "Obwohl die Heimtücke der Juden in jeder Hinsicht verdammenswert ist, sollen sie dennoch von den Gläubigen nicht hart unterdrückt werden, weil durch sie die Wahrheit unseres eigenen Glaubens erwiesen wird."[22]

Im Verlauf der europäischen Geschichte wurde das Prinzip der Spiegelung des "eigenen Anderen" im Fremden immer komplexer. Mit der Entdeckung der Neuen Welt und der darauf folgenden Kolonisierung der "Wilden" begann die globale Wirksamkeit dieses Prinzips. Die "Eingeborenen" der einverleibten fremden Territorien mussten ebenso wie die "Anderen" auf dem eigenen Kontinent – insbesondere Zigeuner – nicht mehr nur als Projektionsfläche für das Böse, Wilde, Heidnische und Unzivilisierte herhalten, sondern auch für exotistische Phantasien und Sehnsüchte. Dem technologischen Fortschritt Europas ebenso wie dem ideengeschichtlichen Prozess der Rationalisierung, Aufklärung, Emanzipation und der Herausbildung von Nationalstaaten ist dieser Dualismus zwischen der Assoziationskette Wir-Kultur-Zivilistaion-Dynamik und Die-Anderen-Natur-Wildheit-Statik eingschrieben.

Freilich kam dieser Dualismus nicht ohne Nuancen, Widersprüche und Anpassungen aus. Um in die Kategorie der "Anderen" auch Andere zu fassen, die selbst aus der europäischen Sicht über "Kultur" verfügten, wurden Akzente anders gesetzt. Kultur und Zivilisation wurde in der Mehrzahl gedacht und in eine Wertehierarchie gebracht, in der sich die europäisch-christliche Zivilisation weiterhin überlegen fühlen konnte. Als wichtiges Kriterium hierfür dienten die Werte der Aufklärung, als Spiegel des Irrationalen der Orient und der Islam.

Die komplexe Praxis der wechselhaften Abgrenzung und Vereinnahmung unterschiedlichster "Anderer" – als Abspaltung entweder des eigenen Unerwünschten und Schwachen oder als Projektion der eigenen Sehnsüchte und Phantasien auf die "Anderen" – hatte nicht nur für die Bewohner der Kolonien und Minderheiten in Europa die bekannten Konsequenzen der Ausbeutung, der Unterdrückung und des Genozids. Diese Abspaltungspraxis wirkte immer auch auf die europäischen Gesellschaften zurück und wirkt im heutigen Europa fort. Ich sehe hierin einen Faktor für das Unbehagen der EU-Staaten mit ihren nicht-europäischen und nicht-christlichen Einwanderern.[23] Wenn etwa die spanische Regierung in den 90ern in einer Kampagne für die "Legalisierung" von Arbeitsmigranten die Aufforderung "Komm ans Licht. Regle Deine Angelegenheiten" [24] auf Plakate drucken ließ, dann hätte sich eigentlich eine große Gruppe der Einheimischen angesprochen fühlen müssen, insbesondere die Betreiber der riesigen Gemüseplantagen unter Plastik sowie die Immobilienunternehmer an den südspanischen Küstenstrichen. In der dortigen Land- und Bauwirtschaft sowie in der Tourismus-Industrie ist Schwarzarbeit und Schattenökonomie fest in den ökonomischen Beziehungen verankert, und war es schon, bevor Arbeitsmigranten aus dem Ausland benötigt wurden. In Spanien ist es kein Geheimnis, dass die Gewächshaus-Landwirtschaft ohne das System von Schwarzarbeit, Bezug von Arbeitslosengeld und EU-Subventionen auf dem europäischen Markt kaum konkurrenzfähig wäre. Ebenso weiß man darum, dass die dort beschäftigen Arbeitsmigranten, seit Ende der 80er zum Großteil nord- und zentralafrikanischer Herkunft, in dieses System mit eingebunden sind, also schwarz arbeiten, und dass man auf die Arbeit dieser Migrantengruppe angewiesen ist.[25] Dennoch zielte die Kampagne unverkennbar alleine auf die nicht-europäischen Arbeitsmigranten [26], von denen die Mehrheit wiederum tatsächlich einen großen Vorteil davon hätte, dokumentiert zu arbeiten. Denn für die meisten ist dies der einzige Weg, um eine Aufenthaltserlaubnis und damit überhaupt einen rechtlichen Status zu erhalten. Die Inkompatiblität des "Legalisierungs"-Programms für Einwanderer mit der ökonomischen Praxis der Einheimischen wird jedoch in der Öffentlichkeit wie in der Politik als Problem der "illegalen", "papierlosen" Migranten dargestellt und nicht als Problem der spanischen Wirtschaft. Mit der "Legalisierungskampagne" und dem Versuch vieler Migranten, von ihren Arbeitgebern Arbeitsnachweise zu erhalten, verstärkten sich Ressentiments und offene Vorurteile gegen Migranten zunehmend auf der Ebene des Zusammenlebens ebenso wie im öffentlichen Diskurs.[27]

Freilich ist dieses Muster der Kriminalisierung und Diskriminierung von Einwanderern keine spanische Besonderheit. Es zeigt sich an der südlichen EU-Außengrenze zu Afrika, wo es zusammengeht mit dem verbreiteten Stereotyp "moros" ("Mauren") für Marokkaner, nur besonders eindrücklich. Dabei gilt für Spanien ebenso wie für andere EU-Staaten, dass Diskurse und Praktiken der Diskriminierung nicht von einem homogen vorzustellenden kollektiven Akteur ausgehen, sondern dass daran unterschiedliche Gruppen der Mehrheitsgesellschaften in unterschiedlicher Weise beteiligt sind. Welche Lücke zwischen Anspruch und Praxis einer säkularen Demokratie, sich den Menschenrechten zu verpflichten, klafft, das wird auch regelmäßig dann deutlich, wenn die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) ihre Länderberichte vorlegt. Unter denen für institutionelle Diskriminierung und rassistische Vorfälle am meisten gerügten Ländern hatte Deutschland bislang immer einen sicheren Platz.

Wenn in der Auseinandersetzung um den Mord an Theo van Gogh "der Islam" (nicht: der Islamismus [28]) als Bedrohung der Toleranz und Offenheit europäischer Einwanderungsgesellschaften dargestellt wird, dann bekräftigt dies die dichotomische Perspektive zwischen dem aufgeklärten (christlichen-säkularen einheimischen) "Wir" und den unaufgeklärten (islamisch-antisäkularen migrantischen) "Anderen". Die Alternative wäre eine Perspektive, die das "Wir" erweitert, um Themen wie die Unterdrückung von Frauen, Diskriminierung von Minderheiten, religiös und rassistisch motivierte Gewalt als Probleme zu erkennen, die alle hier lebenden Menschen betreffen, und sich diesen gemeinsam zu stellen. Freilich würde dieses Umdenken nicht nur eine rechtliche Gleichstellung, sondern auch ein ernsthaftes Anerkennen und Annehmen der Gleichwertigkeit von Migranten erfordern, anstatt einer scheinheiligen Toleranz auf der Basis eines Schein-Säkularismus. Nicht zuletzt würde ein solches Fundament die seriöse wissenschaftliche und politische Auseinandersetzung mit "dem" Islamismus erleichtern. Und wie dringend es ist, diese Auseinandersetzung zu befördern, das sollte schon vor dem Mord an Theo van Gogh deutlich geworden sein.

Zitierte Zeitungsartikel und Internetseiten:

Al-Mozany, Hussain. Niederlande: Das rote Auge. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 11.11.2004, http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~E038795AD31
D54B3D9530060B77522F45~ATpl~Ecommon~Scontent.html

Amirpur, Katajun. "Prozessiert! Demonstriert! Aber bekennt euch endlich! Süddeutsche Zeitung v. 12.11.2004; http://www.sueddeutsche-zeitung.de/ausland/artikel/791/42749/, Zugriff am 12.11.2004

Bax, Daniel. "Die Tat eines Einzelnen", Interview mit Thijl Sunier, die tageszeitung v. 6.11.2004, http://www.taz.de/pt/2004/11/06/a0180.nf, Zugriff am 10.11.2004

Bax, Daniel. Kampf der Unkulturen. Die Tageszeitung v. 12.11.2004, http://www.taz.de/pt/2004/11/12/a0369.nf/text, Zugriff am 12.11.2004

Bokern, Anneke. "911 Tage später": Der Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh muss in den Niederlanden für Verknüpfungen aller Art herhalten. Frankfurter Rundschau v. 12.11.2004; http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=587883&, Zugriff am 12.11.2004

Frankfurter Allgemeine Zeitung. "FAZ.NET Spezial" – Der Multikulturalismus nach dem Mord, http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~
E2A7D9E1D11F9444A8CAC73DB69BBAD52~ATpl~Ecommon~Sspezial.html

Geisler, Astrid. "Die NPD hat null Chancen", Interview mit Eckhard Jesse, die tageszeitung vom 30.10.2004, http://www.taz.de/pt/2004/10/30/a0151.nf/text, Zugriff am 15.11.2004

Kanter, Jan. Dschihad in Amsterdam, Die Welt v. 9. 11.2004, http://www2.welt.de/data/2004/11/09/357814.html, Zugriff am 16.11.2004

Leggewie, Claus, McJesus, Inc., die tageszeitung v. 11.11.2004, http://www.taz.de/pt/2004/11/11/a0204.nf/text, Zugriff am 15.11.2004

Linssen, Dina. Tod eines Meinungsfreien, die tageszeitung v. 11.11.2004, http://www.taz.de/pt/2004/11/11/a0231.nf/text.ges,1, Zugriff am 11.11.2004

Nutt, Harry. Identität und Toleranz. Was folgt nach Multi-Kulti?, Frankfurter Rundschau v. 16.11.2004, http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=589820, Zugriff am 16.11.2004

Schümer, Dirk. Multikulturalismus: Europas Lebenslüge. Frankfurter Allgemeine Zeitung (online) v. 10.11.2004, http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~
E2A7D9E1D11F9444A8CAC73DB69BBAD52~ATpl~Ecommon~Sspezial.html, Zugriff am 11.11.2004

Schweighöfer, Kerstin. Niederlande: Das Ende einer Idylle, Focus (online) v. 15.11.2004 (Heft 47), http://www.focus.msn.de/F/2004/47/Ausland/niederlande/niederlande.htm, Zugriff am 16.11.2004

Süddeutsche Zeitung. "Schwerpunkt": Multikulturelle Gesellschaft – Das schwierige Zusammenleben, http://www.sueddeutsche.de/ausland/schwerpunkt/987/42945/; Zugriff am 17.11.2004)

Weidemann, Siggi. Ein Land in Angst: Die Hinrichtung eines Filmemachers. Süddeutsche Zeitung (online) v. 04.11.2004, http://www.sueddeutsche-zeitung.de/kultur/artikel/369/42327/, Zugriff am 12.11.2004

Anmerkungen:
[1] Stand vom 11.11.2004. Da sich nicht alle Begriffe gleichermaßen für derartige zusammengesetzte Wörter eignen, habe ich die Suche zusätzlich mit den Variationen "Kritik(er/in) am..." und Kritiker(er/in) des..." durchgeführt. Ausgeschlossen wurden Wort-Kombinationen mit Doppelpunkt oder Schrägstrich.
[2]
Vgl. Lars Rensmann 2004, Demokratie und Judenbild: Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deuutschland. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, sowie Nea Weissberg-Bob (Ed.) 2002 , "Was ich den Juden schon immer mal sagen wollte...", Berlin: Lichtig-Verlag.
[3]
die tageszeitung vom 11.11.04
[4] Dieses Beispiel stammt nicht aus dem Feuilleton, sondern aus dem Ausland-Ressort der Zeitung. Ich habe es mit herangezogen, weil es vergleichbare Argumentationsmuster aufweist.
[5] Süddeutsche Zeitung v. .12.11.2004
[6] Süddeutsche Zeitung v. 4.11.2004
[7] Weidemann wirft hier die (angebliche) Instrumentalisierung eigener jüdischer Identität (de Winter) und  die Instrumentalisierung nicht-eigner jüdischer Identität (Anne Frank) durch Nicht-Juden zusammen. Die unterschiedlichen Hintergründe beider von van Gogh geäußerter Vorwürfe blendet er völlig aus. So bleibt es dem Leser überlassen, hier zu vermuten, dass  mit dem "Missbrauch" jüdischer Identität im zweiten Fall die Beanspruchung der niederländischen  Staatsbürgerschaft  für Anne Frank gemeint ist. Der Vorwurf läge dann darin, dass zugleich die Kollaboration von Niederländern mit dem Nazi-Regime nicht thematisiert wird. Zugleich könnte man dies aber auch als positive Instrumentalisierung jüdischer Identität deuten. Wie van Gogh dies deutete, darauf geht der Autor nicht ein, für ihn zählt hier nur das Argument der "Anprangerung" der Instrumentalisierung jüdischer Identität.
[8] Süddeutsche Zeitung v. 4.11.2004.
[9] Süddeutsche Zeitung v. 4.11.2004.
[10] Süddeutsche Zeitung v. 12.11.2004.
[11] Damit ist freilich das Spektrum der Multikulturalisten und Anti-Multikultaristen keineswegs abgedeckt. Zu verschiedenen multikulturalistischen Positionen und deren Kritik vgl. Mark Terkessidis 1995, Kulturkampf: Volk, Nation, der Westen und die Neue Rechte. Köln: Kiepenheuer & Witsch, S. 80ff.
[12] Katajun Amirpur in der Süddeutschen Zeitung vom 12.11.2004.
[13] Dass Migranten je nach Herkunft als unterschiedlich stark "problematisch" wahrgenommen werden, verweist darauf, dass hier nicht einfach ein Automatismus der Identitätsbildung verantwortlich ist, die immer auf Abgrenzungen gegenüber "Anderen" angewiesen ist oder eine angeborene Xenophobie. Das zeigt sich auch darin, dass Hierarchien der Ablehnung bestimmter ethnischer und religiöser Minderheiten in den EU-Ländern unterschiedlich ausfallen; und auch in Ost- und Westdeutschland decken sich die jeweiligen Konstruktionen und Ablehnungen der "Anderen" nicht ganz. Zudem gehen ausgrenzende Diskurse und Praktiken nicht von einer "homogenen" Mehrheitsgesellschaft aus, sondern unterschiedliche Gruppen sind daran in unterschiedlicher Weise beteiligt.
[14] Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.11.2004.
[15] Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.11.2004.
[16]  Nicht nur Schümer verwendet in der Auseinandersetzung mit den Morden an Pim Fortuyn und Theo van Gogh Verschwörungs-Metaphern antisemitischer Provenienz ("Dunkelsphäre"). Andere Autoren reden von "Dunkelmännern", so Hussain Al-Mozany in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung v. 11.11.2004 und Claus Leggewie in der tageszeitung v. 11.11.2004. Der Artikel von Leggewie fällt hier aus dem Rahmen, weil er die zeitliche Überschneidung des Mords an van Gogh und der Wiederwahl des republikanischen Präsidenten in den USA zum Ausgangspunkt nimmt. Auch wenn er nicht explizit auf diesen Mord Bezug nimmt, so findet sich auch hier ein Argumentationsmuster der "islamkritischen" Feuilletonisten wieder, das zugleich die Flexibilität dieses Musters verdeutlicht: "Säkulare Europäer reiben sich verwundert die Augen, in welche Götter- und Geisterwelt sie hineingeraten sind. Hier der Fanatismus islamistischer Prediger und Attentäter, dort der Präsident einer Weltmacht als wiedergeborener Christ". "Islamkritik" erweitert Leggewie aus seiner europäisch-säkularen Perspektive um "Amerika-Kritik", während er Westeuropa auf einem säkularen "Sonderweg" sieht, den es aber gerade seiner "religiös-politischen Tradition" verdankt: "Europa muss sich also nicht antireligiös betätigen. Es muss gerade im Namen seiner religiös-politischen Tradition den Kampf gegen die autoritären Dunnkelmänner (sic!) aufnehmen." (die tageszeitung v. 11.11.2004). Zur Metapher der "Dunkelmänner" siehe Knut Kiesant 1995, Neuntes Bild: Dunkelmänner, in : Julius H. Schoeps u. Joachim Schlör (Eds.), Antisemitismus: Vorurteile und Mythen. München: Zweitausendeins.
[17] Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.11.2004.
[18] Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.11.2004.
[19] siehe http://www.sueddeutsche.de/ausland/schwerpunkt/987/42945/; Zugriff am 17.11.2004. Vor allem anfangs gab es nur wenige Gegenstimmen, die diese Logik nicht aufgegriffen. Dazu gehört das Interview mit dem niederländischen Sozialwissenschaftler Thijl Sunier, der unter anderem darauf hinwies, dass die Niederlande nie eine multikulturelle Gesellschaft gewesen sei (die tageszeitung vom 6.11.2004). Solche Gegenstimmen blieben aber die Ausnahme. So hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf ihrer Internetseite ein "Faz.net-Spezial" mit dem Thema: "Der Multikulturalismus nach dem Mord" lanciert. In der "Welt" bricht für Jan Kanter "das Experiment des multikulturellen Miteinanders zusammen" (Die Welt v. 9.11.2004). Kerstin Schweighöfer stellt im "Focus" vom 15.11.2004 "Das Ende einer Idylle" fest: "Nach dem van-Gogh-Mord ist Schluss mit Toleranz". Und selbst in der Frankfurter Rundschau, in der am 12.11.2004 noch ein gegen diese Logik gewandter Artikel erschien, fragt sich Harry Nutt nun: "Was folgt nach Multi-Kulti?" (Frankfurter Rundschau v. 16.11.2004).
[20] vgl. Lars Rensmann 2004, Demokratie und Judenbild, Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
[21] Zum Thema Säkularismus denke man etwa an die um das "Kruzifix-Urteil" des Bundesgerichtshofs entbrannte Debatte und die feindselige Stimmung gegen einen Jungsozialisten, der den am Kreuz hängenden Gottessohn als "Lattengustl" bezeichnet hatte, woraufhin er mit Strafverfahren überzogen wurde. Ein weiteres Beispiel, wie umstritten säkulare Einstellungen in Europa sind, wurde jüngst in der Auseinandersetzung zwischen dem designierten (und inzwischen abgelehnten) italienischen EU-Kommissar Rocco Buttiglione und dem europäischen Palament deutlich. Zur Frage anti-demokratischer Einstellungen halte man sich die Erfolge der rechtsextremen bzw. neonazistischen Parteien Sachsens und Brandenburg in den diesjährigen Landtagswahlen vor Augen, sowie die Interpretation von Politologen, hierbei handle es sich lediglich um einen konsequenten Protest gegen die Politik der etablierten Parteien. Ein Vertreter dieser Sichtweise, der Extremismusforscher Eckhard Jesse plädiert daher in der Einschätzung der Wahlergebnisse für "mehr Gelassenheit": Unser Staat ist eine offene Gesellschaft, da gibt es immer einen Bodensatz von Rechts- und Linksextremisten. Aber damit können wir leben." (die tageszeitung v. 30.10.2004). Mag sein, dass man von den Wählern nicht erwarten kann, dass sie darüber informiert sind, dass eine dieser Parteien mit neonazistischen Kameradschaften vernetzt ist, die nicht nur Todeslisten gegen Aussteiger und andere Gegner über das Internet zur Verfügung stellen, sondern auch ihre Sympathie für islamistische Terrorakte zur Schau stellen. Doch dass Wähler mit ihrer Stimme für rechtsextreme Parteien nicht nur Protest äußern, sondern zugleich eine antidemokratische und radikal ausländerfeindliche Politik unterstützen, soviel Bewusstsein sollte man dem politischen Souverän schon zutrauen.
[22] Zitiert in Yosef Hayim Yerushalmi 1995, "Diener von Königen und nicht Diener von Dienern". Einige Aspekte der politischen Geschichte der Juden. München: Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung, S. 26.
[23] Möglicherweise wirkt diese Praxis aber auch in einer paradoxen Variante einer kolonialimuskritischen Perspektive fort, die eine wirkliche Begegnung und Auseinandersetzung mit "den Anderen" vermeidet, um verborgenen eigenen rassistischen Einstellungen auszuweichen.
[24] "Sal a la luz. Ponte en regla", wörtlich "Komm heraus ans Licht. Bring dich in Ordnung"; zitiert in Liliana Suarez Navaz 2004, Rebordering the Mediterranean. Boundaries and Citizenship in Southern Europe, New York u. Oxford: Berghahn, S. 109.
[25] vgl. Suarez Navaz 2004, S. 108 ff (siehe Fußnote 24).
[26] vgl. Suarez Navaz 2004, S. 108 ff (siehe Fußnote 24).
[27] vgl. Suarez Navaz 2004 (siehe Fußnote 24) sowie Francisco Checa 2003, Factores endógenos y exógenos para la integración social de los inmigrados en Almería, in: Francisco Checa, Angeles Arjona, Juan Carlos Checa (Eds.), La integración social de los inmigrados, Barcelona: Icaria, S. 103-150.
[28] Dabei wäre auch "Islamismus" zu differenzieren nach verschiedenen politischen, militanten, und nichtpolitischen religiösen Strömungen. Vgl. z.B. für die Türkei und Deutschland: Werner Schiffauer 2000, Die Gottesmänner: Türkische Islamisten in Deutschland. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

hagalil.com 18-11-2004

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