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Kraft
durch Neubeginn:
Hans-Olaf Henkel entsorgt deutsche Geschichte
Rezension von Max Brym
Der frühere BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel hat ein neues Buch unter
dem Titel “Die Kraft den Neubeginns“ geschrieben. Verlegt hat das Werk der
Droemer-Verlag. In dem Buch verrührt der frühere Präsident des
Bundesverbandes der Deutschen Industrie die Welt mit seiner persönlichen
Familiengeschichte. Letztendlich ist die Grundaussage des Buches ein Aufruf
zur Reform des Landes.
Der gelernte Ökonom läßt es als Hobbyhistoriker in dem Büchlein richtig
krachen. Nach Meinung von Henkel “hat es den 2. Weltkrieg eigentlich
garnicht gegeben, sondern nur eine Fortsetzung der Kämpfe des ersten.“
Henkel schlussfolgert, dass Deutschland damit keineswegs die alleinige
Schuld für die Gräuel des 2. Weltkrieges trage. In Henkels Buch wimmelt es
von unzähligen deutschen Opfern, von den Toten des Bombenkrieges über
gefallene Soldaten bis zu den Vertriebenen. Die nazistische Schoah an den
Juden, der Massenmord an sowjetischen Zivilisten und Kriegsgefangenen – all
das beschäftigt den Autor höchstens aus einem Grund: “Weil es uns
schuldbewußt durch die Welt laufen läßt.“
Der Ökonom Henkel fordert den historischen Schlußstrich, er fordert einen
bewußten Neuanfang bezüglich der geschichtlichen Wahrnehmung und der
historischen Verantwortung. Henkel befürchtet “die Lähmung unserer
nachwachsenden Generation, was ihnen die Zukunft verbaut.“
Der Standortpropagandist beklagt die “Selbstzerstörung Deutschlands“. Nach
der Interpretation Henkels hat diese “Selbstzerstörung Deutschlands nicht
mit dem 3. Reich aufgehört, sondern weit darüber hinaus gereicht“. Henkel
fabuliert, “ich habe sogar den Verdacht, der Prozess der deutschen
Selbstzerstörung dauert heute noch an, aber darüber will keiner sprechen“.
Für Henkel sind die Übeltäter nicht nur die “Terroristen der RAF, sondern
die geistige Elite, die dieses Treiben stillschweigend gebilligt oder gar
ermuntert hat“. Selbst einige Personen in der Regierung nimmt Henkel nicht
von der Kritik aus.
Wie kommt ein Industrieboss auf solche Gedanken?
Gegenwärtig propagiert der Bundesverband der Deutschen Industrie den Kampf
um den Standort Deutschland. Das Land müsse flexibilsiert und dereguliert
werden, es gelte Abschied zu nehmen von alten sozialen und ökonomischen
Gewohnheiten.
Das Magazin “Der Spiegel“ begründete vor einigen Wochen den Abbau des
Sozialstaates in Deutschland mit einer notwendigen zweiten Revolution nach
der Revolution von 1989 in der DDR. Völlig zu recht diagnostiziert der
Spiegel: “Viele soziale Leistungen waren Reflexe auf die Existenz der
sozialistischen Bedrohung“. Den Deutschen wird im Zusammenhang mit der
Kampagne um Hartz IV laufend vorgeworfen, “wehleidig zu sein“ und am
“Sozialklimbim“ zu hängen. Olaf Henkel geht es in seinem Buch nicht nur um
die kalte, auf Basis der wirtschaftlichen Konkurrenz existierenden,
Standort-Deutschland-Kampagne, sondern er will der Standortpropaganda etwas
Fleisch und Blut und etwas fürs Gemüt mit auf den Weg geben.
Die Präsentation der Deutschen als Opfer im 2. Weltkrieg hat für Henkel
mehrere Funktionen, das beschworene Leid soll den Sozialkahlschlag in
Deutschland erträglich erscheinen lassen. Deshalb soll über das “deutsche
Leid“ in der Vergangenheit gesprochen werden, statt über aktuelle
Verarmungsprozesse. Gleichzeitig will Henkel ein selbstbewußtes Opferritual
inszenieren (längere Arbeitszeiten, drastische Lohnsenkungen, Beseitigung
sozialer Leistungen), diese Inszenierung soll mit Stolz und Patriotismus
verbunden werden. Der Autor hat begriffen, dass eine nur ökonomistische
Standort-Deutschland-Agitation auf Dauer nicht haltbar ist. Nach dem
Verständnis Henkels benötigt der “deutsche Michel“ theoretische
Rechtfertigungsszenarien, um hingebungsvoll für den Standort Deutschland zu
schuften.
Jedes Erinnern an die Verbrechen des Nazismus ist in diesem Zusammenhang
kontraproduktiv. Die kalte Logik des ehemaligen BDI-Chefs will keine
100%-ige Ablehnung des Hitlerfaschismus mehr, denn diese Ablehnung gefährdet
nach seinem Gusto den “Neubeginn“ und die Ummodelung der deutschen Realität
auf das Entschiedenste. Die Erinnerung an die Verbrechen des
Hitlerfaschismus kostet Zeit und Geld und befördert permanent gefährliche
Gedanken. War doch der Hitlerfaschismus nichts anderes, als die auf die
Spitze getriebene Verwertungslogik einer bestimmten Produktionsweise.
“Unproduktive Menschen“ wurden der Euthanasie zugeführt und die Juden sowohl
für die bolschewistische Gefahr, als auch für die Unwägbarkeiten des
Weltmarktes verantwortlich gemacht. Die deutschen Großindustriellen wurden
nach 1945 auf die Anklagebank gesetzt, weil sie nachweislich die braunen
Massenmörder unterstützten und an Krieg und Vernichtung profitierten. Bis
zum heutigen Tag wird die Industrie mit dem Faschismus in Verbindung
gebracht. Letztendlich mußte sie eine kleine Summe für
Zwangsarbeiterentschädigungen herausrücken. Die Kunstausstellung des
Flickenkels in Berlin führte zu größeren innenpolitischen Debatten. Zu recht
wurde dem Erben des Nazikriegsverbrechers Flick vorgeworfen, seine
Ausstellung sei durch die Profite des Flickimperiums im 3. Reich finanziert
worden.
Von solchen Dingen will Hans-Olaf Henkel nichts mehr wissen, er will eine
ökonomisch gesellschaftliche Erneuerung des Landes inklusive
rechtskonservativem Geschichtsrevisionismus.
Hans-Olaf Henkel ist kein Nazi!
In dem Buch finden sich einige Randbemerkungen gegen die Nazis. Man merkt
Henkel an, dass ihm Nazis und braune Gruppen zuwider sind. Henkel ist seit
vielen Jahren Mitglied von Amnesty International, er leugnet die Untaten der
Nazis nicht, er hält sie nur für hinreichend bekannt. Im Sinne des
“Neubeginns“ will Henkel nur nicht mehr über nazistische Untaten reden. Ihm
geht es tatsächlich darum, die “deutsche Unbeweglichkeit“ aufzubrechen.
Ihn stört das Grundgesetz, da es seiner Meinung nach zu viele
Blockademöglichkeiten enthält. Blockademöglichkeiten, die nach Henkel wegen
dem Parteienstreit den Standort Deutschland gefährden. Natürlich agitiert
Henkel in dem Buch gegen Tarifverträge und bestimmte gewerkschaftliche
Rechte. Henkel muß im Interesse der Profitmaximierung bestimmte Lehren aus
der deutschen Geschichte ziehen. Die Kompetenzen der verschiedenen
Parlamente, vielfältige Wahlen und die nicht vorhandene Möglichkeit, mittels
Notstandsparagraphen zu regieren, wurden geschaffen, mit der Begründung,
“wir lernen aus der Geschichte“. Diese Lehren hält Henkel als Geschäftsmann
nicht mehr für angebracht. Ihm dauert jeder Entscheidungsprozeß zu lange und
er führt die Verzögerungen im politischen Tagesgeschäft und die Rolle der
Gewerkschaften auf die “Vergangenheitsbezogenheit“ deutscher Staats und
Gesellschaftslehren zurück.
Henkel stellt die bürgerliche Demokratie objektiv in Frage, ohne auf eine
Reaktivierung nazistischer Strukturen zu setzen. Dieser Spagat führt ihn an
die Seite des berüchtigten Ex-CDU- Abgeordneten Martin Hohmann. Er schreibt,
“Hohmann hatte nicht diskriminiert, sondern wurde selbst diskriminiert.“ Für
Hohmann waren die Juden kollektiv für den Bolschewismus verantwortlich,
zusätzlich verglich Hohmann den Bolschewismus mit dem Naziregime. Hohmanns
Zielstellung besteht darin, mittels des Antisemitismus den Nazismus zu
entlasten. Dabei folgt ihm der ehem. Präsident des BDI.
Es bleibt festzuhalten, ein Teil der deutschen Elite rückt immer weiter nach
rechts, propagiert Geschichtsverdrängung und die Neuinterpretation
historischer Abläufe für das politische und ökonomische Tagesgeschäft. Daran
können die offenen Nazis anknüpfen. Befriedigt stellt Udo Voigt,
(NPD-Bundesvorsitzender), gegenüber der Berliner Zeitung fest: “Das Klima
normalisiert sich, die politische Entwicklung arbeitet uns entgegen“.
Die Kraft des Neubeginns
hagalil.com
05-11-2004 |
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