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Frieden:
Eine geradezu unerträgliche Vision

Ist womöglich der Krieg mit den Palästinensern der Kitt, der Israel zusammenhält - und Frieden die größte Gefahr?

Von Richard Chaim Schneider
Süddeutsche Zeitung, 24.11.2004

Gehen wir mal vom schlimmsten Fall für Israel aus: Die Palästinenser einigen sich untereinander, sie halten friedliche, demokratische Wahlen ab, die militanten Islamisten akzeptieren das Wahlergebnis, die Anschläge im Kernland Israels hören auf, auch gegen Siedler und Soldaten in den besetzten Gebieten wird nicht mehr geschossen, keine einzige Kassam-Rakete kracht mehr auf israelisches Gebiet. Am 9.Januar 2005 wird es dann einen neuen palästinensischen Präsidenten geben, der Israel offene, faire Verhandlungen anbietet. Was dann?

Israel wäre in der Zwickmühle, das Selbstverständnis des jüdischen Staates drohte zu kollabieren, die Identität mindestens der Hälfte der Israelis, der so genannten Rechten, wäre ernsthaft in Gefahr. Alles, was ihre politische raison d'être ausmacht, wäre passé. Und dann?

Dann müsste sich Israel zum ersten Mal in seiner Geschichte ernsthaft Gedanken machen, was für ein Staat es sein will, welche Identität, welche "Seele" es sich geben will. Eine bedrohliche Vorstellung. Arafat hat die Ultra-Rechten mit seinem Tod allein auf Erden zurückgelassen. Könnte man den religiös motivierten Anspruch auf das biblische Land noch aufrecht erhalten, wenn die Palästinenser den Israelis völlig friedlich daherkämen und ihnen klar machten, dass sie beste Beziehungen haben wollen, keine Ansprüche auf irgendwelche Formen von "Rückkehr" hätten, nur schlicht ein wenig Platz zu leben bräuchten?

Könnte Israel, eine durch und durch militarisierte Gesellschaft aus Notwendigkeit, diesen in bald 60 Jahren herausgebildeten Charakterzug noch bewahren? Unsinnige Politik und anti-demokratische Gesetze werden seit Jahren unter dem Hinweis auf die "Sicherheit" gerechtfertigt und durchgesetzt. Die kahlrasierten Männer mit ihren Sonnenbrillen und dem Knopf im Ohr bestimmen längst die Abläufe im israelischen Alltag, und selbst Politiker haben nichts mehr zu melden, wenn die Leute vom "Bitachon" (hebräisch für Sicherheit) einwenden, dass etwas aus "bestimmten Gründen" nicht möglich sei.

Ist womöglich der Krieg mit den Palästinensern der Kitt, der Israels zutiefst gespaltene Gesellschaft noch zusammenhält? Israelische Zyniker behaupten, die Palästinenser müssten sich nur friedlich mit ihren Wasserpfeifen an die Grenzen setzen und gemütlich zuschauen, wie die Israelis sich untereinander zerfleischen werden, sobald sie keinen äußeren Feind mehr hätten. Und dann, vielleicht in 50 Jahren, könnten sie gelassen aufstehen, in aller Seelenruhe nach Tel Aviv spazieren, sich auf der Dizengoff-Straße hinsetzen und weiter an ihren Pfeifen nuckeln - die Israelis hätten sich und ihren Staat bis dahin völlig zerstört. Ganz Palästina wäre dann wieder palästinensisch.

Ein mögliches Szenario?

Sicher ist, dass Israel jetzt, nach dem Tode Arafats, an einer Wegkreuzung steht, die grundsätzliche Entscheidungen nötig macht: Was für ein Staat will Israel eigentlich sein? Die Intellektuellen des Landes, die Oz' und Grossmans, die Yehoshuas und Primors diskutieren längst über diese Frage. Sie sind sich bewusst, dass Israel sich damit auseinandersetzen muss, wie ein Staat, der sich als jüdischer Staat definiert, auch ein demokratischer Staat bleiben kann - angesichts der Tatsache, dass jeder sechste Staatsbürger muslimisch ist. Wie ein Staat, der sich bislang im Krieg befindet und schon aus diesem Grund in gewisser Hinsicht nicht wirklich im Nahen Osten angekommen ist, sondern ein Zwitterwesen aus orientalischer und europäisch-amerikanischer Prägung ist, wie also solch ein Staat ausschauen soll, wenn er endlich in der Levante angekommen ist.

Wie kann sich ein säkulares Judentum mit einem religiösen Judentum, das dann seinen politischen Fundamentalismus wohl aufgeben muss, auf einen gemeinsamen Nenner verständigen, um die geistige, ethische und moralische Einheit des Landes für die Zukunft zu sichern?

Die Spannungen zwischen Frommen und Säkularen, zwischen Aschkenasim und Sefardim, zwischen Russen und allen anderen, nicht zuletzt: zwischen arm und reich: in keinem Land gibt es so viele gesellschaftliche Probleme wie in Israel. Und vielleicht haben die Zyniker ja Recht mit ihrer Sichtweise, dass all diese Probleme nur dank des Konflikts mit den Palästinensern beiseite geschoben werden können, weil die gemeinsame Gefahr von außen alle Israelis "gleich" macht.

Nicht auszudenken aber wäre, was geschehen könnte, wenn die Milliarden, die jede Regierung jährlich in die Rüstung und den Aufbau der Siedlungen steckt, frei würden für das Gesundheitswesen, für Soziales, für Forschung und Bildung! Schon jetzt, unter kriegerischen Bedingungen, gehört Israel in Forschung und Technik zu den führenden Nationen der Welt. Wäre es möglich, dass es im Friedenszustand ein Paradies für seine Bewohner werden könnte? Eine geradezu unerträgliche Vision für viele Juden, um jene Zyniker erneut zu zitieren. Nach 2000 Jahren Verfolgung, Leid und Massenmord - wie sollte sich da die jüdische Seele ohne weiteres auf Frieden, Ruhe und Glück einstellen können? Tiefste Depression und psychisches Chaos könnten die Folgen sein...

Doch die Nationalisten und Ultra-Religiösen können aufatmen: Der Alptraum wird so schnell nicht Wirklichkeit werden. Die Palästinenser werden sich nicht einigen, die Anschläge gegen Israel werden nicht aufhören, und eine echte Demokratie wird in Gaza und Ramallah auch nicht gleich entstehen. Kann es sein, dass auch die Palästinenser vor nichts mehr Angst haben als vor einem wahren Frieden? Dass auch für sie der ewige Kampf sinn- und identitätsstiftend geworden ist?

hagalil.com 25-11-2004

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