
Protest gegen Heisenhof:
Die Gemeinde spaziert
Eine ungewöhnliche Koalition demonstrierte
im niedersächsischen Dörverden gegen Rechtsextremismus.
Von Mario A. Sarcletti
Jungle World 49 v.
24.11.2004
Der Punk läuft neben dem Pastor, Antifas applaudieren dem
Landrat. Am Volkstrauertag fand in Dörverden, unweit von Bremen, eine
Demonstration gegen Rechts statt. Nicht nur die Mischung der rund 1 000
Menschen, die gemeinsam ihren Sonntagsspaziergang absolvierten, war
ungewöhnlich. Schon die Aufrufe, unter anderem von der Freiwilligen
Feuerwehr, der AG Schießsporttreibender Vereine oder der Jägerschaft, hatten
Seltenheitswert. Auch die regionale Antifa unterstützte die Demonstration
und trat zu diesem Anlass dezent in Erscheinung, um die mitspazierenden
Bürger Dörverdens nicht zu verschrecken.
Dass sich so unterschiedliche Menschen zum Protest vereinigten, lag am
Zielobjekt der Demonstration, dem Heisenhof. Den hat der Nazianwalt Jürgen
Rieger im Frühjahr dieses Jahres gekauft, um Fruchtbarkeitsforschung zu
betreiben (Jungle World, 31/04). Das heißt: Blonde, blauäugige Frauen sollen
dort ebensolche Kinder gebären. "Abwegige Gedanken verwirrter Gehirne",
nennt Bürgermeister Rainer Herbst (CDU) die Pläne Riegers. Er sieht den
"Standort" Dörverden gefährdet: "Die Rechtsextremen widersprechen den
planungsrechtlichen Zielen der Gemeinde", klagt er vor dem Heisenhof und
fordert Rieger auf: "Verlassen Sie die Gemeinde!"
Dass sie das nicht vorhaben, zeigen Riegers Jünger während des
Sonntagsspaziergangs. Jungnazis in Bomberjacken mit dem NPD-Schriftzug
fotografieren und filmen den Demonstrationszug, versuchen die Redebeiträge
durch Trillerpfeifen zu stören. Sie können aber nicht verhindern, dass
Pastor Frank Uhlhorn von "Zorn, Wut und Trauer darüber" spricht, "dass das
noch sein muss in unserer Zeit". Ebenso wenig hindern sie ihn daran, zum
"Gebet für unsere Feinde" aufzurufen, um ihre Wiedereingliederung in die
Gesellschaft zu erreichen.
Auch der Landrat Hans-Jürgen Wächter (SPD) ist gegen ein Nazizentrum im
Heisenhof, der Platz für 200 bis 300 Menschen bietet. "In unserer
Gesellschaft ist kein Platz für Ausländerfeindlichkeit, Gewalt und
Rassismus", sagt er und kündigt an, die Kreisverwaltung werde handeln. Die
lässt sich allerdings Zeit: Bereits Ende September gab es eine Begehung des
Geländes, rechtliche Schritte gegen den neuen Besitzer blieben aber bisher
aus. Anlässe dafür gäbe es: Obwohl die Nutzung der Gebäude als Wohnraum
nicht genehmigt ist, haben mehrere Rechtsextreme aus der Region ihren
Hauptwohnsitz dort angemeldet. Auch fehlt ein Anschluss an die Kanalisation:
"Die braune Scheiße bleibt einfach da in den unterirdischen Rohren hängen",
erklärt einer der Organisatoren des Protests.
Ein anderer Bürger weiß, warum Dörverden eine besondere Verantwortung im
Kampf gegen Rechts hat: "Weil unsere Region gut am Krieg verdient hat",
erklärt er seinen Mitbürgern. Unweit des Heisenhofs habe eine
Munitionsfabrik gestanden, "in der ZwangsarbeiterInnen Munition produzieren
mussten, die gegen ihre eigenen Landsleute eingesetzt wurde". Er weiß den
Spaziergängern einiges über die feixenden NPDler hinter dem Zaun und ihre
Vorstrafen zu berichten. Unter ihnen ist auch eine junge Frau. Janine Blass,
NPD-Kandidatin für die Bremer Bürgerschaft, wurde wegen Sachbeschädigung
verurteilt, weil sie die Scheiben einer Moschee eingeworfen hatte. Sie war
auch am Überfall auf eine GEW-Tagung zur "Schuloffensive" der Rechtsextremen
in Verden beteiligt. Ein anderer Bewohner des Heisenhofs schlug dabei einer
Person mit einem Zimmermannshammer auf den Schädel.
Die Bürger Dörverdens wollen sich weiter dagegen wehren, dass in ihrer
Gemeinde eines der größten Nazizentren Europas entsteht. Auf die
Unterstützung der Polizei, auf die Bürgermeister Herbst setzt, sollten sie
dabei nicht allzu sehr hoffen. Die Polizei schaffte es in ihrer
Pressemitteilung über die Veranstaltung "zum Gedenken an die Opfer der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft", den Grund des Spaziergangs nicht
einmal zu erwähnen.
hagalil.com
29-11-2004 |