Viennale
2004:
Jetzt oder nie!
Von Erika Wantoch
Anderthalb Wochen noch, dann geht es los, das 42.
Internationale Filmfestival Viennale. Schon liegen sie auf, die genauen,
gedruckten, bebilderten und kommentierten Programme, dicke Bücher für die
Sammler, für die Cineasten das Sonderheft der Stadtzeitung "Falter" und der
Gratis-Pocketguide für everybody. 298 Filme aus 44 Ländern werden da
vorgestellt und einbegleitet. Zu sehen sind sie vom 15. bis zum 27.10. im
Wiener Metro-, dem Gartenbau, dem Stadt- und dem Uraniakino sowie im
Österreichischen Filmmuseum in der Albertina in bis zu sechs Vorstellungen
am Tag.
Eine beträchtliche Zahl hat in Österreich keinen Verleih
und kommt daher nicht ins "normale" Kino. Wer was wissen will vom großen,
weiten Weltfilm, muß sich sagen: Jetzt oder nie! Und am 28.10. gibt es als
Draufgabe den "Viennale Bonus Track", beginnend um 6 Uhr morgens mit einem
Frühstücksfilm samt Gratis-Frühstück und mit der Mitternachtsvorstellung
noch immer nicht endend, weil dann die Abschlußparty folgt.
Was wird geboten?
Verwirrende Vielfalt, bezwingbar nur durch genaues
Programmstudium. Eingebaut ins Tagesprogramm, gibt es neben den
traditionellen Schwerpunktreihen eine neue namens "Propositions",
"Vorschläge", die der Viennale eine interessante Facette hinzufügen:
Festivaldirektor Hans Hurch macht auf zwölf Arbeiten aus dem Spiel-,
Dokumentar- und Avantgardefilmbereich aufmerksam, die jeweils einen
besonderen, eigensinnigen, avancierten Moment des Weltkinos und
ungewöhnliche, inhaltlich und ästhetisch relevante Positionen des
zeitgenössischen state of produktion markieren. Programmiert zu den besten
Abendterminen, ist täglich ein solcher "Vorschlag" zu sehen. Vier der
"Propositions" - ein chinesischer, ein italienischer, zwei amerikanische -
erleben ihre Uraufführung jetzt in Wien.
Unter den Extras gibt es zudem den "Tribute to Lauren
Bacall" (zehn Filme; ihren Fans erscheint sie leibhaftig vom 24. bis zum
26.10.), sowie, den ganzen Oktober im Filmmuseum, die Werkschau Danièle
Huillet und Jean-Marie Straub, die ihrerseits und eigens für die Viennale
eine Retrospektive ihrer liebsten John-Ford-Filme programmierten und selbst
vom 19. bis 22. 10. in Wien sein werden.
Die "Special Programs" widmen sich viererlei Schwerpunkten
wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Man kann Beispiele des
sogenannten Mitternachtskinos aus China, Japan, Hongkong, Südkorea, Taiwan
und Thailand bestaunen, die unter dem Titel "Fear East" zusammengfaßt sind.
Mit neun Filmen (fünf davon mit Jean-Luc Godard) wird das Werk des
französischen Filmemachers und Theoretikers Jean-Pierre Gorin gewürdigt, der
eine der prägenden Figuren der Pariser Filmszene im Mai 1968 war und für die
neue Viennale-Reihe "Working Class" drei Lectures halten wird.
Ein
drittes Special widmet sich dem Werk des kinematografischen Grenzgängers
Koreeda Hirokazu (Foto) aus Japan, der die dokumentarische Beschreibung des
Besonderen mit der fiktiven Erzählung des Allgemeinen verbindet. Sein
neuester - im Viennale-Hauptprogramm gezeigter - Film "Dare mo shiranai"
("Nobody Knows") sorgte heuer in Cannes für nachhaltige Überraschung.
Schließlich Paul Fejos, dessen Neu- und Wiederentdeckung
dem Filmarchiv Austria und der Filmwissenschaftlerin Elisabeth Büttner zu
danken ist. Fejos war Humanist, Melancholiker, Weltbürger, Ungar und ist
einer der großen Unbekannten des Kinos. Durch die Filmgeschichte geistert er
bis heute als mythische Figur. Schon 1923 brach er nach Amerika auf,
gelangte nach Hollywood, kehrte trotz finanziellen Erfolges in den
Dreißigerjahren nach Europa zurück, das ihm alsbald zu eng wurde. Er wurde
Anthropologe, unternahm Expeditionen nach Madagaskar, Indonesien und Peru,
wo er dokumentarische Lehrfilme drehte, und wurde schließlich in Stanford
ein weltweit geachteter Forschungsförderer. Täglich einen bis zwei seiner
Spiel- und Dokumentarfilme zeigt das Metrokino ab dem 16.Oktober.
Jüdisches von Dies- und Jenseits des Atlantiks
Unsereins ist in fast allen Sparten vertreten - vor der
Kamera, hinter der Kamera, und sogar unsichtbar (nämlich im "Tribute to
Amos Vogel"). Jüdisches, Judentum, Exil, die Folgen der Shoa und der
Israel-Palästina-Konflikt sind Thema einer Reihe von Dokumentationen sowie
des israelischen Spielfilms "Medurat Hashevet" ("Campfire") von
Joseph Cedar: Es geht um eine Mutter mit zwei Töchtern, die beschließt, sich
einer religiösen Gruppierung in der Westbank anzuschließen, aber den
Aufnahmekriterien nicht entspricht. (Urania, 25.10., 13:30 und 26.10.,
18:30).
Die palästinensisch-niederländisch-israelische
Dokumentation "Arna's Children" geht als gemeinsames Werk des
Palästinensers Juliano Mer-Khamis und des Israelis Danniel Danniel den
Spuren von Jugendlichen in Jenin nach, die als Kinder gemeinsam Theater
gespielt hatten: Einige von ihnen sind heute Terroristen, andere kamen bei
Selbstmordattentaten um. (Stadtkino, 20.10.,11:00 und 21.10., 13:00)
Der
Israeli Yoav Shamir filmte für seinen beim Internationale
Dokumentarfilmfestival in Amsterdam prämiierten Film "Mahssomim"
("Checkpoint", Foto) mit einer High-Tech-Miniaturkamera, wie der Konflikt an
den Straßensperren kulminiert: Auf der einen Seite führen israelische
Soldaten im Teenager-Alter sinnlose Befehle aus, auf der anderen sind
Zivilisten beim Passieren der Sperren absurdesten Schikanen ausgesetzt.
(Stadtkino, 25.10., 15:30) Und dieses ergänzend: "Ford Transit" von
dem in Nazareth geborenen Hany Abu-Assad. Die
niederländisch-palästinensische Produktion aus dem Jahr 2002 führt vor, mit
welchen Kniffen und Tricks ein junger palästinensischer Taxifahrer seine
Fahrgäste durch die Straßensperren zwischen Jerusalem und Ramallah
chauffiert. Für die Stadtzeitung "Falter" ist das "ein Film über die
Unmöglichkeit, im Israel-Palästina-Konflikt zwei Punkte mit einer Geraden zu
verbinden." (Metrokino, 23.10., 14:00)
"Gan"
("Garden", Foto), der erste gemeinsame Film der beiden Israelis Ruthie Shatz
und Adi Barash, die zusammen eine israelische Produktionsfirma mit
Spezialisierung auf unabhängige Dokumentarfilme betreiben, ist ein rauhes
Porträt vom trostlosen Alltag junger männlicher Prostituierter und
Drogendealer in Tel Aviv. (Stadtkino, 20.10.; 23:00 und 23.10., 11:00).
Filme des Israelis Avi Mograbi waren schon vor zwei Jahren
auf der Viennale zu sehen. In acht kurzen, schmerzlichen Minuten illustriert
der heuer gedrehte Streifen "Detail" anhand einer einzigen Szene die
unverändert fatale Situation: Palästinensische Familie muß ein Krankenhaus
aufsuchen. Israelischer Soldat im gepanzerten Fahrzeug muß dies
hinterfragen. (Stadtkino, 19.10., 15:30)
Wer "das Utopia des armen Mannes, des Immigranten" (Jonas
Mekas), nämlich die New Yorker Stadtteile Brooklyn und Williamsburg in
beinah schon historischen, nämlich 50 Jahre alten Filmaufnahmen sehen oder
wiedersehen möchte, angereichert mit zusätzlichem Material aus den
70erjahren, dem sei der 15minütige Kurzfilm "Williamsburg, Brooklyn"
des 1922 in Litauen geborenen und 1949 in die USA eingewanderten Jonas Mekas
empfohlen (Metrokino, 17.10., 21:00), sowie, als Beitrag des deutschen
Filmemachers Volker Koepp zum Thema Emigration,
dessen
kürzlich fertiggestellte Dokumentation "Dieses Jahr in Czernowitz"
(Foto). Koepps Czernowitz-Erstling "Herr Zwilling und Frau Zuckermann" war
auf der Viennale '99 und später im Kino erfolgreich. Nun suchte und fand
Koepp ehemalige Czernowitzer oder deren Nachkommen in aller Welt und
begleitete sie auf ihrem Weg in die Vergangenheit. Der Prominenteste unter
ihnen: Harvey Keitel, dessen Mutter aus der Bukowina stammte.
Koepp ist vom 25. bis zum 28.10. in Wien. "Dieses Jahr in Czernowitz" wird
am 26.10. um 16:30 im Gartenbaukino und am 27.10. um 18:30 im Metro
gespielt.
Jüdisches aus Wien
Für die israelisch-französisch-amerikanische Co-Produktion
"Hakoah Lischot" ("Watermarks") spürte Dokumentarfilmer Yaron
Zilberman sieben ehemalige Sportlerinnen auf, Meisterschwimmerinnen im
Wiener Sportklub "Hakoah" vor der NS-Zeit. 65 Jahre nach der Zerschlagung
des traditions- und ruhmreichen Vereins durch die Nazis, leben die weit über
80jährigen Damen heute in Israel, den USA, in Monaco, London und Wien. In
Wien versammelte Zilberman sie und erforschte ihre Jugend, ihre
Weiblichkeit, ihre Erinnerungen und die lebenslangen Beziehungen zueinander.
Festival-Direktor Hans Hurch hebt diesen Film als einen extra interessanten
hervor. Zu sehen im Gartenbaukino am 23.10., 18:00 und im Metro am 24.10. um
11:00. Der Regisseur wird anwesend sein und bemüht sich, die
Protagonistinnen nochmals nach Wien zu bringen.
Schlußendlich
Amos Vogel (Foto): Ihm gilt der zweite heurige Tribute, denn sein Name ist
geeichten Cineasten ein Begriff, obgleich er selbst keinen einzigen Film
gedreht hat. Geboren 1921 in Wien als Sohn assimilierter Eltern mit dem
Namen Vogelbaum, mit ihnen 1936 über Kuba nach den USA geflüchtet, wurde
Vogel in New York zum Begründer von "Cinema 16", dem legendären und
wahrscheinlich einflußreichsten Filmklub der Geschichte. "Der Falter"
kommentiert: Vogel "gilt als ultimativer Cineast, ein streitbarer
Intellektueller, der als Kurator und Publizist seine ganz eigene, autonome
Spur in der Geschichte des unabhängigen Filmschaffens gezogen hat." Und im
Viennale-Katalog steht in einem Essay von acht Seiten, wie es dazu kam, daß
Vogel das New York Film Festival ins Leben rief, Generationen von
Filmemachern unterrichtete und ein umfangreiches Werk von Filmschriften
verfaßte, darunter seine berühmte Studie "Film as a Subversive Art".
Im Metrokino zeigt die Viennale unter anderem drei ausgewählte
Kurzfilmprogramme, die von Cinema 16 präsentiert worden sind, und zwar
am 18.10. um 23:30, am 20.10. um 13:30, am 21.10. um 18:30 und am 24.10. um
21:00. Überdies gibt es die einstündige Dokumentation "Film as a
Subversive Art: Amos Vogel and Cinema 16" des Engländers Paul Cronin zu
sehen, und zwar im Stadtkino am 22.Oktober um 20:30 und am 24.10. um 11:00.
Ticketverkauf hat begonnen
Wie jedes Jahr gibt es auch heuer drei Vorverkaufsstellen.
Sie haben Montag bis Freitag von 10 bis 20 Uhr und am Samstag von 10 bis 17
Uhr geöffnet und befinden sich am Stubentor (Parkring 2), im Generali-Center
(Mariahilferstraße 77-79) und in der Schottentor-Passage. Unverbindliche
Reservierungen sind nicht mehr möglich; man kauft und zahlt am Schalter.
Erstmals gibt es aber die Möglichkeit des online-Kaufs mittels
online-Banking oder Kreditkarte, und zwar über die freeline 0800 664 004.
Internet: http://www.viennale.at
Das Einzelticket kostet EUR 7.50, der 10erblock EUR 68.-,
der 20erblock EUR 115.-. Ausgewiesene Mitglieder des Filmarchivs und des
Filmmuseums zahlen weniger.
hagalil.com
04-10-2004 |