Bedenkliche Verharmlosung:
Soziologe zu Buchmessen-Skandal
Von Clemens Heni
Am vergangenen Sonntag hielt der Berliner Soziologe
Rainer Erb in Tübingen auf der internationalen Tagung "Die kulturelle Seite
des Antisemitismus zwischen Aufklärung und Shoah" einen Vortrag über
"antisemitische Stereotypen". Neben historischen Verweisen verharrte Erb
insbesondere auf dem (online) neo-Nazi Antisemitismus heutiger Tage. Er
erwähnte noch nicht einmal die Wahlerfolge der Nazis in Sachsen oder
Brandenburg.
Vor allem jedoch: Kein Wort über Walser, Finkelstein, die
Goldhagen-Debatte, Möllemanns aggressiven Israel- und Judenhass, Hohmanns
Basis bei der CDU bis heute (und die hessischen Traditionen seit Boeckel),
quasi no-go Areas für Israelis und Juden in Berlin und anderswo; kein Wort
über den sekundären Antisemitismus, kein Pieps über den Antizionismus (von
links), kein Wort über Projektion, Schuldabwehr und Erinnerungsverweigerung
der deutschen Gesellschaft. Kein Wort über Bitburg, Faßbinder, Edgar Reitz
und schon gar kein Wort über den "Untergang". Keine wissenschaftliche
Einordnung gegenwärtiger Debatten um Antisemitismus und politische Kultur,
wie sie die
Studien von Lars Rensmann anzuregen versuchen. Es war also desolat.
Es wurde deutlich wieso Erb gern gesehener Autor von Jesse/Backes ist.
Am Tag danach durfte dann Erb als
Abschlussdiskussionsteilnehmer fragen (bezüglich des gegenwärtigen (!)
Antisemitismus in Deutschland): "Wollen wir denn eine Gesellschaft ohne
Kriminalität ? Ist das realistisch ?" Am Tag zuvor, während seines
Vortrages, kam vom Publikum der Zwischenruf: "Buchmesse!" Er erwiderte: "Ach
hören Sie doch auf. Wenn Sie wollen finden Sie in jedem Text Antisemitismus.
Darum kann es doch nicht gehen." Solange es keine Parteien oder Strukturen
gebe, die in ihrem Programm die Ausschaltung von Juden haben, also ein Ziel
und Wege der Verwirklichung dahin festgeschrieben seien, solange sei
Antisemitismus nicht wirklich existent als Gefahr. Erb redete so als sei es
eine hervorzukehrende Leistung der BRD die Nicht-Mehr-Gültigkeit der
Nürnberger Rassegesetze tagtäglich zu beweisen. Dass der Djihadismus und
seine Freunde gerade diesen national-sozialistischen Judenhass jedoch wieder
beleben und gar auf der Welt größter Buchmesse gegen
Juden hetzen
dürfen und Bücher, die freundlich über Hitler schreiben, feilbieten,
das ist zudem die bittere Ironie dieser Tagung und Herrn Erbs Auslassungen.
Empathie mit heutigen Opfern von Judenhaß ist offenbar für
Erb ein nicht dechiffrierbares Fremdwort. Das was mit der Hofierung eines
Holocaustleugners in Frankfurt während der
Eröffnung der
Buchmesse durch Bundeskanzler Gerhard Schröder passierte ist nur die
logische Konsequenz des 8. Mai 2002: damals sprach Schröder mit dem
deutschen Antisemiten Martin Walser über Versailles und die armen Deutschen.
Schröder macht nun die Sache rund: dem Handschlag mit dem deutschen
Judenhass folgte jetzt der mit dem arabisch-islamistischen. Der sekundäre
trifft den primären Antisemitismus und vice versa.
Dass jedoch ein Lehrkörper des Zentrums für
Antisemitismusforschung sich gar weigert über den Antisemitismus der
Buchmesse in Frankfurt und seine freudige Aufnahme durch ganz normale
Deutsche nur zu reden, das stimmt mehr als bedenklich.
hagalil.com
17-10-2004 |