antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

  

Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

hagalil.com

Search haGalil

Veranstaltungskalender

Newsletter abonnieren
e-Postkarten
Bücher / Morascha
Musik

Koscher leben...
Tourismus

Aktiv gegen Nazi-Propaganda!
Jüdische Weisheit
 

 

Veza Canetti:
Die Magd erzählt

Das literarische Werk der jüdischen Sozialistin Veza Canetti harrt seiner Entdeckung.

Von Andreas Blechschmidt
Jungle World 44 v. 20.10.2004

Die Literaturwissenschaft selbst produziert zuweilen Stoffe, die die Güte von Krimis haben. Der Fall der österreichischen Autorin Veza Canetti ist so einer. Denn von der Ehefrau des Literaturnobelpreisträgers Elias Canetti war jahrzehntelang nicht nur unbekannt, dass sie selbst geschrieben hat, sondern auch, dass sie in den dreißiger Jahren erfolgreich publizierte und überdies maßgeblich am literarischen Erfolg ihres Mannes beteiligt war.

"Bei dem latenten Antisemitismus kann man von einer Jüdin nicht so viele Geschichten und Romane bringen, und Ihre sind leider die besten." Das beschied 1933 der verantwortliche Redakteur der Wiener Arbeiterzeitung (AZ), des Zentralorgans der österreichischen Sozialdemokratie, der 36jährigen Autorin.

Veza Canetti wurde 1897 in Wien als Venetiana Taubner-Calderon geboren, ihre Mutter stammte aus einer sephardisch-jüdischen Familie, ihr Vater war ungarischer Jude. Nach seinem Tod heiratete Vezas Mutter 1910 aus finanziellen Gründen erneut. Der Stiefvater entpuppte sich als tyrannischer Hausherr. Sein despotisches, gewalttätiges Wesen nahm die Tochter zum Vorbild für viele männliche Charaktere in ihren Erzählungen.

Unter nicht weniger als drei Pseudonymen, so als "Veza Knecht" und "Veza Magd", veröffentlichte die Schriftstellerin 1932/33 ihre Erzählungen. Im November 1933 erschien in einer dreiteiligen Fortsetzung in der AZ die Novelle "Der Kanal". Des Weiteren publizierte 1932 der Künstler Wieland Herzfelde die Anthologie "Dreißig neue Erzählungen des neuen Deutschland", in die ein Beitrag Veza Canettis, einer unter 1 000 Einsendungen, Aufnahme fand. Ihre literarische Arbeit hat die Autorin immer als politisches Engagement verstanden, noch 1950 bezeichnete sie sich als Sozialistin, als Autorin war sie bis 1935 vor allem für linksorientierte Verlage und Zeitungen tätig.

In ihren Erzählungen entwirft sie ein Panorama gesellschaftlicher Verhältnisse, in denen wirtschaftliche Not, Arbeitslosigkeit und Gewalt in der Familie den Alltag bestimmen. In der "Geduld bringt Rosen" betitelten Geschichte deckt der Angestellte Mäusle die Veruntreuung von Lohngeldern durch den Sohn des Chefs auf, am Ende steht der Verlust seines eigenen Arbeitsplatzes. In der Novelle "Der Kanal" beschreibt Veza Canetti die Rechtlosigkeit weiblicher Hausangestellter in Wien, die durch Willkür und sexuelle Übergriffe in den Selbstmord getrieben werden. Das Theaterstück "Der Oger" ist das Protokoll einer aus ehelicher Gewalt erwachsenden Familientragödie im großbürgerlichen Milieu Wiens.

Die Autorin ist dabei insofern unerbittlich, als sie weder in die Verklärung des proletarischen Milieus noch in literarisch-programmatische Agitation verfällt. Sie schildert mit einem genauen Blick die patriarchalen Machtverhältnisse im autoritären gesellschaftlichen Klima Österreichs.

Dass sie vor allem in der meinungsführenden linken AZ publizieren kann, in der ihre Texte zu vordergründiger Propaganda genutzt werden, liegt in der literarischen Qualität ihrer Arbeiten begründet. Im März 1933 wird ihre zu einem von der AZ ausgeschriebenen Kurzgeschichtenwettbewerb eingesandte Arbeit unter über 800 Einsendungen als bester Beitrag ausgezeichnet.

Als im Frühjahr 1934 das austrofaschistische Regime errichtet wird und unter anderem die sozialdemokratische Partei und die AZ, ihre Zeitung, verboten werden, verliert Veza Canetti ihre Publikationsmöglichkeit. Von 1935 an wird sie nichts mehr veröffentlichen. Die jüdische Bevölkerung sieht sich einem allgegenwärtigen Antisemitismus und zunehmenden Repressalien ausgesetzt. Im Oktober 1938 rettet sich die Schriftstellerin zusammen mit ihrem Ehemann nach London ins Exil, wo sie ihre Flucht unmittelbar in dem autobiografische Züge tragenden Roman "Die Schildkröten" verarbeitet.

Ihr Exil wird fortan ein lebenslanges bleiben und wird sie überdies auch von der Literatur fernhalten. Neben der schwierigen Lebenssituation in der Emigration, wo sich ihr kaum Möglichkeiten zur Veröffentlichung von Texten bieten, dürfte die Diskriminierung Veza Canettis als Frau, Jüdin und Sozialistin ihre Arbeit zusätzlich behindert haben. Außerdem war es wohl auch das schwierige Verhältnis zwischen ihr und ihrem Ehemann Elias, das zum Verstummen Veza Canettis führte.

Die Eheleute hatten sich in den zwanziger Jahren in den Künstlerkreisen Wiens kennen gelernt und hatten 1934 geheiratet. Diese Lebensgemeinschaft wurde auch zu einer Arbeitsgemeinschaft, Veza unterstützte maßgeblich die literarische Arbeit ihres Mannes. Doch im gleichen Maße, in dem Elias Canettis Produktivität wächst, verlieren sich die Spuren der Arbeiten seiner Frau. Nach vielen fehlgeschlagenen Veröffentlichungsversuchen vernichtet Veza Canetti 1957 eine Reihe von Manuskripten; bis zu ihrem Tod 1963 unternimmt sie auch keinerlei Anstrengungen mehr, ihre Texte zum Abdruck anzubieten.

Nach der "Wiederentdeckung" ihrer Erzählungen und ihres publizistischen Werks Anfang der neunziger Jahre argwöhnen literaturwissenschaftliche Untersuchungen, dass der 1981 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnete Elias Canetti die literarische Arbeit seiner Frau systematisch hintertrieben habe. Anna Mitgutsch wirft ihm beispielsweise in einer Ausgabe der Zeitschrift Literatur und Kritik vom Juli 1999 vor, er habe die Rolle seiner Frau auf die "dilettierende Gattin des großen Schriftstellers" reduziert, "deren Klugheit darin bestand, ihre Grenzen zu erkennen und ihre Nichtigkeit mit der Demut der vielbeschworenen Magd seiner Größe unterzuordnen". Darauf antwortet in derselben Zeitschrift wenig später Gerald Stieg, indem er Mitgutsch "feministischen Geifer" vorwirft, "der aus fragwürdigen Extrapolationen und Lesefehlern einen patriarchalischen Popanz erzeugt".

Allerdings ist es Elias Canetti selbst, der Anlass für solche Mutmaßungen liefert. In seiner dreibändigen Autobiografie erwähnt er mit keinem Wort, dass seine Frau literarisch gearbeitet hat. Als der Germanist Helmut Göbel Ende der achtziger Jahre auf ihr vergessenes Werk aufmerksam wurde, behauptete Elias Canetti, seine Gattin habe 1931, durch ihn angeregt, überhaupt erst mit dem Schreiben begonnen. Das jedoch glaubt nicht mal der gegenüber Elias Canetti äußerst wohlwollende Göbel wirklich. Denn inzwischen sind ihre Erzählungen von einer literarisch interessierten Öffentlichkeit durchaus wahrgenommen worden.

Am 25. Oktober, 20 Uhr, findet in der Vers- und Kaderschmiede, Polittbüro Hamburg, Steindamm 45, eine Lesung aus dem Roman "Die Schildkröten" statt. Mit: Tina-Maria Aigner, Roland Bayer, Rolf Becker, Matthias Scheuring, Michael Weber, Sylvia Wempner
 

Veza Canetti:
Die Schildkröten
dtv 2002
Euro 9,50
Bestellen?

Veza Canetti:
Der Oger
Fischer Tb.
Bestellen?

Veza Canetti:
Die Gelbe Straße
dtv 2000
Euro 9,00
Bestellen?

hagalil.com 24-10-2004

Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!

Advertize in haGalil?
Your Ad here!

 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved