"Der Untergang" im Kino:
Vergesst Hitler!
"An Sie, lieber Bruno Ganz, Sie
berühmter Seelendarsteller, habe ich nur eine Frage: War Hitler ein
Mensch?"
Franz Josef Wagner in "Bild"
Von Stefan Reinecke
Es herrscht eine merkwürdige Stimmung: eine
Mischung aus Aufgeregtheit und Ermüdung: "Der Untergang" kommt ins
Kino - und alles tut so, als hätten wir es mit einem bedeutsamen
Ereignis zu tun, mit einem Film, der ein Wegzeichen in der
fortwährenden Vergangenheitsverarbeitung der Deutschen zu werden
verspricht. So wie die "Holocaust"-Serie 1979, so wie Martin Walsers
Paulskirchenrede oder die Wehrmachtsausstellung. Mit erregtem Timbre
in der Stimme fragen Talkshowmaster vorab, ob man denn Hitler
überhaupt als Menschen zeigen darf.
Darf man? Diese Frage ist nicht erkenntnis-, nur
verkaufsfördernd. Sie legt nahe, dass es eine Tabuzone gibt - und
wenn es um Verbotenes geht, wollen wir natürlich alle dabei sein.
Etwas Ältere, die sich noch vage an die letzte Hitler-Festspiele der
deutschen Medien Ende der 70er erinnern, winken eher müde ab. Damals
wurde diese Frage in dem gleichen bedeutungszitternden Ton an Hans
Jürgen Syberbergs und Joachim Fests Hitler-Filme gestellt
(allerdings mit mehr Recht und intellektuellem Gewinn).
The song remains the same. Neben dem Marketinggetöse
gibt es aber ein paar lohnende Fragen: Soll man sich eigentlich mit
Hitler befassen? Gibt es eine Art Bilderverbot? Wer hat es verhängt?
Gilt es noch? Und: Verstehen wir mehr von der NS-Zeit, wenn wir
Bruno Ganz im Führerbunker gesehen haben? Oder weniger? Ist "Der
Untergang" wirklich eine Markierung auf dem Weg in die
Historisierung? Ist das endlose Reden über den "Untergang" ein
Abwehrzauber, um das Hitler-Gespenst endlich zu bannen? Oder, im
Gegenteil, ein Zeichen, dass Hitler endgültig ein duftes Partythema
geworden ist, mit dem sich ein paar diskursive Geländegewinne machen
lassen?
Das linke Argument gegen die Hitler-Manie liegt nahe,
überzeugt aber nicht. Es lautet, dass nicht Männer Geschichte
machen, sondern Klassenkämpfe oder gesellschaftliche Strukturen
entscheidend sind - und der biografische Blick ablenkt. In der
marxistischen Geschichtsschreibung fehlt daher nicht zufällig eine
plausible Idee zur Rolle Hitlers. Der Versuch, das Hitler- Regime im
Rückgriff auf Marx 18. Brumaire als bonapartistische Herrschaft zu
deuten, war eher eine Verlegenheitslösung.
Das ist ein Defizit. Denn offenkundig war Hitler die
wesentliche Figur im NS-Reich (mehr als Stalin in der Sowjetunion,
trotz des Personenkults). Mit Hitler ging das Dritte Reich auf und
unter. Der gesamte Nazi-Apparat schien sich nur um den Führer zu
drehen, ja seine Lebenszeit war entscheidend für die Kriegsplanung.
Zu dem Irrationalen, das sich dem an Interessen
geleiteten Blick verschließt, gehört die Todesliebe der Nazis. Der
Kult um die Märtyrer der Bewegung, die Inszenierung von Hitler als
einsamer Herrscher, der die zu Blöcken gepressten Massen
abschreitet, verriet ein innig-vertrautes Verhältnis zum Tod.
Hitlers Apokalypsesehnsucht, die den eigenen Tod mit einkalkulierte,
zeigt sich schon im Moment des Sieges. Im November 1941 sagte er:
"Wenn das deutsche Volk einmal nicht mehr stark und opferbereit
genug ist, sein eigenes Blut für seine Existenz einzusetzen, so soll
es vergehen und von einer anderen, stärkeren Macht vernichtet
werden. Ich werde dem deutschen Volk dann keine Träne nachweinen."
Vielleicht war der totale Untergang das eigentliche, geheime Ziel.
Dafür spricht Hitlers Kriegserklärung an die USA und dass die Nazis
1941 so desinteressiert waren, ihre militärischen Siege in ein
stabiles Imperium, in ein von Deutschen beherrschtes und
terrorisiertes Europa umzumünzen. Die Logik der Nazis ging in keiner
noch so brutalen Machtpolitik auf. Nicht das Imperium, sondern der
ewige Krieg, das Reich mit immer blutenden Grenzen war der Traum der
Nazis.
Für diese unterirdische Katastrophensucht hat die
marxistische Forschung keinen Begriff. Sie hat zwar einige leider
weitgehend in Vergessenheit geratene Erkenntnisse über die
Unterstützung des Großkapitals für Hitler hervorgebracht und die
katastrophale Allianz der deutschen Eliten mit den Nazis beleuchtet.
Aber zu Hitlers Antisemitismus, zu dem Judenmord, der keiner
kapitalistischen Rationalität folgte, fiel der marxistisch
inspirierten Linken nicht viel ein. Was Hitler angeht, hat die Linke
Nachholbedarf.
Traudl Junge war Hitlers Sekretärin und eine der
wichtigsten Quellen für alles, was über die letzten Tage im
Führerbunker geschrieben worden ist. 2002, kurz vor ihrem Tod, war
Traudl Junge, eine klug reflektierende Frau, in einem Dokumentarfilm
zu sehen. Flüssig, eloquent, ja fast literarisch beschreibt sie die
Mischung aus Alltag und Irrsinn im Bunker - es ist fast zu perfekt,
um wahr zu sein. Nur einmal gerät der Erzählfluss ins Stocken - bei
Hitlers Tod. Ihr erstaunliches Erinnerungsvermögen setzt für einen
für einen Moment aus. Dann sagt sie, dass sie damals "plötzlich
einen Hass gegen Hitler empfand, weil der uns einfach im Stich
gelassen hatte".
Das ist ein Schlüsselsatz - auch für die Deutschen.
Alexander und Margarete Mitscherlich entwarfen 1967 in dem Buch "Die
Unfähigkeit zu trauern" eine Kritik der nachkriegsdeutschen
Mentalität. Erst, so ihre These, hätten die Deutschen ihre
unterwürfige Liebe zu Hitler, den idealisierten Führer, in Hass
verwandelt, dann die vakante Stelle der Autorität in ihrem
Psychohaushalt mit den Alliierten neu besetzt, und dann die NS-Zeit
verleugnet und "entwirklicht". Damit hätten die Deutschen Selbsthass
vermieden - eine Art Schutzreaktion, um der Erkenntnis zu entgehen,
dass sie ihre narzisstischen Größenfantasien auf einen Massenmörder
projiziert hatten. Der Unwille, um Hitler zu trauern, war, so
Mitscherlich, die Grundlage der virtuosen deutschen
Verdrängungskünste.
Diese These ist oft bezweifelt worden. Der
Kurzschluss zwischen Individuen und einer recht nebelhaften
Kollektivpsyche ist, so Tilmann Mosers Kritik, fragwürdig, ebenso
diffus bleibt, ob es um politisch-moralische Urteile geht oder um
psychoanalytisches Verstehen. Und doch scheint eine Beschreibung
richtig zu sein: "Der Mangel an Trauerarbeit", so Mitscherlich,
"lässt Hitler als eingekapseltes psychisches Introjekt
weiterbestehen." In der Tat blieb die Figur Hitler nach 1945 für
viele ein nur notdürftig gebanntes Phänomen, das wie eine Infektion
eingekapselt wurde, weil sie offenbar wie ein böser Krankheitsherd
jederzeit wieder ausbrechen konnte.
Das erklärt vielleicht auch, warum Hitler im Kino
kaum vorkam - und wenn, wollte man ihn nicht sehen. Einen der
wenigen Versuche machte G. W. Pabst 1955 mit "Der letzte Akt", der
Hitlers Ende im Führerbunker zeigte. Das Geschehen im Bunker wurde
mit Hilfe von Traudl Junges Erinnerungen so authentisch wie möglich
gezeigt (genau so wie im "Untergang"). Dazu erfand der Drehbuchautor
Erich Remarque eine Spielhandlung im brennenden Berlin (exakt das
Gleiche hat Bernd Eichinger getan). "Der Untergang" ist eigentlich
ein Remake.
Ein Journalist berichtete damals von der Premiere des
Films 1955 (nachzulesen in Michael Tötebergs ausgezeichnetem Aufsatz
im Filmbuch zum "Untergang"). Zuerst wurde gelacht als Albin Skoda
als Hitler auftrat, später ungläubig geschwiegen, weil man den
Irrsinn nicht mit sich selbst in Verbindung bringen konnte. Ein
Kölner Geschäftsmann meinte: "Es war gespensterhaft, wie ein
Geschehen auf einem andern Planeten." In Deutschland war der Film
ein Flop - und Hitler blieb ein Gespenst von einem anderen Planeten.
Neben der Verleugnung gab es schon rasch nach 1945
etwas anderes, nämlich eine Art Folklorisierung Hitlers. Man
interessierte sich, wie schon seit 1933, für Hitler privat - und
dieses Interesse war maßlos und unstillbar. Alles, was Kammerdiener,
Diplomaten, Sekretärinnen oder alte Nazikameraden über seine
Vorlieben und Abneigungen, über IHN und Hund Blondie, sein
vegetarisches Essen und Eva Braun zu sagen hatten, wurde gedruckt
und gelesen. Guido Knopp hat dieses Genre nicht erfunden, nur
perfektioniert.
Die Figur Hitler war, wenn wir Mitscherlich folgen,
für die Generation, die ihm zugejubelt hatte, das Verkapselte,
Verdrängte. Und heute? Der Bann hat sich im Laufe der Jahrzehnte
gelöst. Joachim Fests Dokumentarfilm "Hitler - Eine Karriere" sahen
1978 eine Million Zuschauer im Kino. Ein affirmativer, unsäglicher
Film, meinten viele. Aber das Unsagbare, Unzeigbare war Hitler schon
vor 25 Jahren nicht mehr. Der schreckensstarre Blick auf Hitler ist
nicht vererbt worden. Von dem Bilderverbot ist nur ein leichter
Nervenkitzel übrig geblieben. Hitler und die Naziikonografie sind
längst Teil der Popindustrie geworden. Die Rolling Stones posierten
schon vor 30 Jahren auf einem Cover in Naziuniformen.
"Der Untergang" bedient nun das hartnäckige Interesse
an Hitler privat. Bruno Ganz zeigt den netten Chef, das brüllende
Monster, den kläglichen Greis, den Realitätsblinden, der Armeen
befehligt, die es nicht mehr gibt, den Tyrannen, der noch die
Letzten mit in den Tod reißen will. Das evoziert ein bisschen Grusel
und ein bisschen Mitleid.
Eichinger und Regisseur Oliver Hirschbiegel halten
sich, was den Bunker angeht, an die Fakten. Sie wollen zeigen, wie
es denn eigentlich gewesen ist. Damit sind sie irgendwie auf der
sicheren Seite - und verfehlen, dass dieser Untergang auch eine
geheime Wunscherfüllung der Nazis war. Bilder für die Vermischung
von Selbstzerstörung, Todesfaszination und Ratio wären riskant
gewesen. Es gibt sie nicht.
Stattdessen hält sich Eichinger an das Übliche: good
guys/bad guys, Irrsinn gegen Vernunft. Den Fanatikern Hitler/
Goebbels stehen Speer und vor allem der SS-Arzt Schenck gegenüber,
der ohne Unterlass Verwundeten hilft und heldenhaft Humanität
verkörpert. Das ist gewiss nicht als Ehrenrettung der SS gemeint.
Aber im Kino, so wie Eichinger/Hirschbiegel es sich nur vorstellen
können, muss es halt Gute und Böse geben. "Der Untergang" zeigt eine
Apokalypse in Watte. Am Ende radelt Traudl Junge, von Alexandra
Maria Lara mit staunenden Kinderaugen gespielt, in Richtung
Bundesrepublik.
Die Großfeuilletons reden unverdrossen von dem
"Untergang" als dem "wichtigsten Geschichtsprojekt seit Jahren".
Frank Schirrmacher weiß, dass unsere Beschäftigung "mit Hitler fast
sechzig Jahre nach Kriegsende in eine neue Phase tritt". So wird
"Der Untergang" zum Akt der Emanzipation oder gleich zum Lackmustest
für die Nation hochgejazzt. Dass wir nun Hitler in Auge blicken und
diesen Schreckensblick endlich, ja endlich aushalten - dies ist Teil
einer Werbestrategie, die auf Vergesslichkeit und homöopathisch
verabreichte Gruseleffekte setzt.
Oliver Hirschbiegel sagt: "In Deutschland wird die
Sicht auf das Dritte Reich seit sechzig Jahren pädagogisch
konditioniert - das führt nur in die Stagnation." Doch nun ist
endlich Schluss mit der antifaschistischen Volkspädagogik.
Verwunderlich, dass dieses Ende ausgerechnet ein Film markiert, der
sich von Pabsts "Der letzte Akt" vor 50 Jahre nicht sehr
unterscheidet. Überflüssig zu sagen, dass das Bilderverbot, das 1955
existierte, nichts mit Antifa-Pädagogik zu tun hatte.
Wo früher wirklich Verdrängung und versteckte Schuld
waren, regiert heute Marktschreierei. Weil das Hitler-Bilderverbot
nicht mehr existiert, wird es umso heftiger beschworen und
inszeniert - und mannhaft gebrochen. Das ist vielleicht wirklich
eine neue Phase. Die Welt hat Bernd Eichinger zum Historiker
geadelt. Bedeutungsgewinne, wohin man schaut. Die
Superlativrhetorik, die Koketterie mit Tabubrüchen, die
Selbststilisierung zu heldenhaften Kämpfern gegen den politisch
korrekten Kanon - dieses Wichtigkeitsgerede übersteht man am besten
mit einem Gegenprogramm: Vergesst Hitler! Das wäre angesichts des
seit 70 Jahren unstillbaren Interesses vieler Deutscher an Hitler
privat wirklich eine Emanzipation.
Und nun? Nun werden die Massen ins Kino strömen.
Danach in der Kneipe werden sie Bruno Ganz Schauspielkunst loben und
dass Corinna Harfouch mit 50 noch immer toll aussieht. Dann wird man
das Thema wechseln und sich der Krise von Bayern München widmen.
Hitler ist kein Gespenst von einem anderen Planeten
mehr. Hitler ist nicht mehr so wichtig. Kein schlechte Nachricht.
Diesen Film hätte es dafür nicht gebraucht.
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Während der Spätvorstellung des Films "der
Untergang" am Samstag Abend in Berlin-Friedrichshain störten
zwei Männer (29 und 27 Jahre alt) durch Beifall für antisemitische
Szenen und durch Zeigen des sog. "Hitlergrußes". Beide wurden
während der Vorstellung festgenommen und unter dem Applaus der
anwesenden Zuschauer abgeführt.
Rechte Publikationen:
"Die Sterne Adolf
Hitlers" im Presseklub Concordia
Was den Kinos recht ist, war auch dem angesehenen Wiener Presseclub
Concordia billig, als der nationalfreiheitliche Akademiker Heinz
Fidelsberger am 14. September sein Buch "Die Sterne Adolf Hitlers"
in diesem Club vorstellen durfte...
Ernst Günther Schenck:
Der Arzt
von Berlin
Der gute Geist im Führerbunker: Doch wer
war Ernst Günther Schenck, wenn ihn nicht Bernd Eichinger und Oliver
Hirschgiebel zeichnen?...
"Der Untergang":
Mitleiden mit Hitler?
Ein Bestseller von Joachim Fest sowie die
Erinnerungen der Hitler Sekretärin Traudl Junge liefern den Stoff
für den 150 Minuten Film. Ab 16. September wird der Film in den
Kinos gezeigt. Bereits im Vorfeld der Aufführungen ereignet sich
Ungeheuerliches...
haGalil onLine
19-09-2004 |