Codewort "Auge um Auge, Zahn um Zahn":
Vom Missbrauch eines Zitats
Der Satz "Auge um Auge, Zahn um Zahn" aus dem 2. Buch Mose, Vers 21 – 23 ist
in Deutschland zum Codewort für die Erklärung israelischer Politik aus
alttestamentarischer Grundhaltung geworden. Mit dieser These eröffnete Prof.
Wolfgang Benz vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin am
14. April 2004 eine Podiumsdiskussion des Frankfurter Presse-Clubs (FPS) zu
Ursprüngen, Hintergründen, Wirkungen und Absichten dieser Chiffre in einer
postchristlichen Medien- und Politikwelt.
Wie geläufig diese Metapher der Abgrenzung in Printmedien
und Fernsehen, in Schlagzeilen und Zwischentiteln, in den Zuschreibungen von
Politikern aller politischen Parteien an die israelische Politik ist, wies
Benz an Hand einer bedrückenden Vielfalt von Zitaten nach. Bedenkenlos wird
eine Tradition antijüdischer Haltung aus der hebräischen Bibel, der von den
Christen Altes Testament genannten Schrift, hergeleitet und als klassisches,
antijüdisches Stereotyp zur Diffamierung des "rachdurstigen Juden“
missbraucht.
Dr. Gabriel Müller, Experte für Jüdisches Recht im
Fachbereich Jura der Goethe-Universität Frankfurt, erklärte: Der Satz "Auge
um Auge, Zahn um Zahn" aus dem zweiten Buch Mose war zu der Zeit, als er als
Rechtsgrundsatz fixiert wurde, ein normativer Fortschritt gegenüber dem
vorher geltenden geschlechtsrechtlichen Stammesstrafrecht. Die ausführlichen
und detaillierten Vorschriften um Wiedergutmachung strafwürdiger
Beeinträchtigungen von Leben, körperlicher Unversehrtheit und Besitz durch
Menschen verschiedenen Standes und Geschlechts aus dem 2. Jahrtausend vor
unserer Zeitrechnung stellten eine merkliche Zunahme individueller
strafrechtlicher Verantwortlichkeit dar.
Warum, so fragt Miller, sollen sich die Bewohner des
Staates Israel nach über 3000 Jahren überhaupt noch für eine Strafrechtsform
ihrer Vorväter rechtfertigen? Erwatet man von Italienern die Widerlegung
altrömischer Rechtstafeln aus dem Jahre 500 vor Christus oder von den
Deutschen eine Auseinandersetzung mit altgermanischem Thing-Recht? Außerdem
gebe es keinerlei Belege in der hebräischen Bibel dafür, dass er in der
jüdischen Rechtsgeschichte überhaupt je als Verfahrensgrundsatz angewandt
worden sei. Dagegen wirke der chiffrierte Verständigungsmechanismus auf
christlich fundierter Grundlage, nämlich dass Juden rachedurstig und damit
den Christen moralisch unterlegen wären, selbst innerhalb der
postchristlichen Mehrheitsgesellschaft weiter, warnten die Wissenschaflter.
© Botschaft des Staates Israel
Nach einem Bericht von Viktoria Pollmann, "Auge um Auge, Zahn um Zahn. Vom
Missbrauch eines Zitats", mit frdl. Genehmigung der Zeitschrift Tribüne,
Heft 170.
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05-08-2004 |