
Interview mit Natan Sznaider:
"Der Zionismus ist nicht in der Krise"
Vor hundert Jahren starb Theodor
Herzl, der Begründer des Zionismus - ein Blick zurück nach vorn
Interview: Philipp Gessler
Herr Sznaider, sind Sie ein Zionist?
Natan Sznaider: Klar bin ich ein Zionist.
Warum ist das klar?
Zum einen, weil ich hier lebe.
Also muss jeder Israeli ein Zionist sein?
In gewisser Weise ist jeder Jude, der hier lebt, ein
Zionist - ob er will oder nicht.
Warum?
Wenn er israelischer Staatsbürger ist, übt er
automatisch so etwas wie jüdische politische Souveränität aus. Das
heißt, jeder jüdische Israeli ist Zionist.
Aber die Zahl der Juden, die nach Israel
einwandern, sinkt seit Jahren. Der Zionismus scheint in der Krise zu
sein.
Ich glaube nicht, dass es eine Krise ist, wenn
derzeit die Zahlen zurückgehen und die Juden aus der GUS Deutschland
Israel vorziehen. Zionismus ist in erster Linie die Ausübung
jüdischer Souveränität in politischem Sinne. In Israel gibt es einen
jüdischen Staat, jüdische politische Institutionen, eine jüdische
Öffentlichkeit, eine jüdische Währung - alles, was Sie wollen. Der
Zionismus ist in keiner Krise, das Land ist vielleicht im Moment in
einer Krise wegen des Konflikts hier.
Was kann Zionismus noch sein, mehr als 50 Jahre
nach Gründung des Staates: der Appell, nach Israel zu kommen?
Nein, ich glaube, das ist es gar nicht mehr. Wenn
früher mal Zionisten glaubten, dass alle Juden in Israel leben
müssen, ist das heute natürlich Unsinn. Es gibt eine sehr fruchtbare
Diasporagemeinde in der Welt, etwa in Europa und den USA. Die
jüdischen Gemeinschaften innerhalb und außerhalb Israels befruchten
sich gegenseitig. Deshalb muss man Zionismus im ganz engen
politischen Sinne verstehen, was auch Herzl meinte mit einem
"Judenstaat".
Den gibt es nun seit mehr als 50 Jahren. Muss er
als jüdischer erhalten bleiben?
Das ist, was der Zionismus heute eigentlich bedeutet:
die Erhaltung der jüdischen Souveränität, kein binationaler Staat,
sondern ein jüdischer Staat.
Es gibt diese Rechenexempel, wonach man etwa
40.000 jüdische Zuwanderer pro Jahr bräuchte, damit der jüdische
Anteil an der israelischen Bevölkerung bei über 80 Prozent bleibt -
und man dann überhaupt noch von einem jüdischen Staat reden kann.
Ich möchte nicht anfangen, Babys zu zählen oder
großartige demografische Rechnungen anzustellen. Wenn sich die Lage
hier wieder etwas beruhigt und der Antisemitismus in Europa stärker
wird, dann wird auch die Einwanderung wieder ansteigen. Das ist eine
Phase, da Leute in dieser Krise weniger gern herkommen - aber auf
lange Sicht wird das kein Problem sein.
Die so genannte Postzionisten in Israel verstehen
den Zionismus als eine Variante des westlichen Kolonialismus.
In meinen Augen sind die, die sich heute nicht aus
den besetzten Gebieten zurückziehen wollen, die wirklichen
Postzionisten.
Ein echter Zionist zieht sich heute aus den
Siedlungen in den besetzten Gebieten zurück?
Ich würde das so definieren, obwohl ich damit
wahrscheinlich mit vielen Leuten in politischen Streit geraten
würde. Man muss die Lage ganz nüchtern sehen: Es ist wichtig, eine
jüdische Mehrheit zu bewahren. Das geht nur, wenn das ganze
Territorium geteilt wird. Man muss nicht unbedingt von ethnischer
Homogenität reden, aber wenn es einen palästinensischen Staat mit
einer überwiegend arabischen Bevölkerung gibt und einen jüdischen
Staat mit einer überwiegend jüdischen Bevölkerung, ist das schon
genug.
Schadet nicht der Verlauf der Sperranlagen, jetzt
vom Obersten Gerichtshof Israels kritisiert, dem Zionismus, weil er
die Projekte Israel und Zionismus selbst schädigt - weil er beide
ins Unrecht setzt?
Darüber kann man streiten. Wenn dieser
"antiterroristische Schutzwall" die zukünftige Grenze markieren
würde zwischen Israel und Palästina, mehr oder weniger auf der
Grenzlinie von 1967, dann wäre er auch in Israel total akzeptiert.
Es wird nicht darüber diskutiert, ob es einen Schutzwall geben soll,
sondern wo er verläuft. Im Moment verläuft er für den Geschmack
vieler zu tief auf palästinensischem Gebiet.
Auch nach Ihrem Geschmack?
Ja.
Wird der Zionismus derzeit wieder entdeckt wegen
des "neuen Antisemitismus" in Europa?
Auf jeden Fall. Wenn Leute vor zehn Jahren dachten,
die Welt würde sich globalisieren, sich öffnen, wir alle zu einer
großen offenen Gemeinschaft werden, ethnische Nationalprojekte
überflüssig werden, dann sind durch den ansteigenden Antisemitismus
der vergangenen Jahre gerade viele Juden in Israel und außerhalb zur
Überzeugung gekommen, dass ein ethnischer Nationalstaat wie Israel
wichtig ist - nicht nur für die Juden in Israel, sondern auch
außerhalb.
Was würde Herzl heute fordern in Israel: die
Amtssprache wieder Deutsch?
Ich glaube nicht. Herzl - das ist eine niedliche
Geschichte. Meine Tochter geht auf die Herzl-Schule. Dort steht auch
groß: "Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen". Herzl ist eine Ikone
hier, man kennt das Bild mit dem Zylinder, dem Frack und dem Bart.
Jede Stadt hat ihren Herzl-Boulevard, es gibt die Stadt Herzliya.
Aber kaum ein Mensch weiß, wer das wirklich war. Das ist etwas aus
der Alten Welt, aus Europa. Etwas, was mit dem Nahen Osten sehr
wenig zu tun hat. Abdruck
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03-07-2004 |