Antisemitischer Wolf im Schafspelz:
Psychologen decken versteckte antijüdische
Einstellungen auf
Von Stefanie Hahn,
Universität Jena
Kritik an Israel zu üben, ist gerade für Deutsche
schwierig. Denn leicht kommt der Verdacht auf, damit würde eine versteckte
antisemitische Grundeinstellung bemäntelt. Kommunikationspsychologen der
Universität Jena um Prof. Dr. Wolfgang Frindte sind dem Phänomen des
versteckten Antisemitismus nachgegangen.
Seit den 90er Jahren beschäftigt sich der Jenaer
Wissenschaftler mit Antisemitismus und mit Fremdenfeindlichkeit in
Deutschland überhaupt. Neue Studienergebnisse ermöglichen jetzt einen
differenzierten Blick auf die Grauzone der Einstellungen der Deutschen
zwischen berechtigter Kritik an Israel und Trittbrettfahrern aus der
antisemitischen Ecke.
Verantwortung abgelehnt
2003 sind 410 Personen im Alter von 18-83 Jahren von den
Jenaer Psychologen gebeten worden, einen standardisierten Frageboden zu
beantworten. Er enthielt eine Vielzahl unterschiedlicher Aussagen, mit denen
das Verhältnis zwischen Deutschen und Juden beschrieben wurde. Die
Befragten, die zu 65% aus den neuen Bundesländern stammten, sollten ihre
Zustimmung zu den Aussagen auf einer fünfstufigen Skala angeben. Zudem
sollten sie ihre eigene politische Einstellung auf einer Links-Rechts-Skala
einschätzen und Angaben zu ihrer Religionszugehörigkeit, Nationalität,
Schulbildung, ihrem Alter und Geschlecht machen.
Die Fragen waren so konzipiert, dass damit vier
Einstellungskomplexe geprüft werden konnten: 1. Manifester Antisemitismus,
2. Latenter Antisemitismus, 3. Ablehnung von Verantwortung der Deutschen
gegenüber den Juden, 4. Anti-Israelische Einstellungen. "Wenn man verborgene
Einstellungen aufdecken und kein schwarz-weißes Bild erhalten will, kommt es
sehr auf einzelne Nuancen in der Formulierung an", erklärt Frindte. So
mussten sich die Befragten u. a. mit folgenden Aussagen auseinandersetzen:
"Als heute lebender Deutscher muss ich keine Verantwortung mehr gegenüber
den Juden übernehmen," oder "Israel ist allein schuldig an der Entstehung
und Aufrechterhaltung der Konflikte im Nahen Osten."
Die Aussagen, mit denen z. B. eine Verantwortung abgelehnt
wurde, wurden von 26% der Befragten befürwortet. Israel-kritisch äußerten
sich mehr als 30%. Das Ausmaß sowohl antisemitischer als auch
antiisraelischer Einstellungen nimmt mit dem Alter zu. Während sich nur 2-4%
im Alter zwischen 18 und 25 manifest bzw. latent antisemitisch ("Mir ist das
ganze Thema Juden irgendwie unangenehm.") äußern, erhöht sich der
Prozentsatz bei den 56-65-Jährigen auf 16 bzw. 18%. In der Gruppe der 66 bis
83-Jährigen sind es 21 bzw. 24%.
"Wie bereits in früheren Studien belegt, nimmt die Zustimmung
zu antisemitischen Aussagen mit zunehmender Schulbildung ab", nennt Frindte
ein weiteres Ergebnis. Er gibt aber zu bedenken, dass in den gebildeten
Schichten auch das Wissen darüber, wie man sich "politisch korrekt" über
Juden in der Öffentlichkeit äußern sollte – sei die Öffentlichkeit auch nur
ein anonymer Fragebogen –, den positiven Trend bei den Gebildeten
mitverursacht haben kann. "Noch komplizierter" wird es laut dem Jenaer
Psychologen, will man die Zusammenhänge zwischen antisemitischen und
antiisraelischen Einstellungen und dem politischen Hintergrund der Befragten
verstehen. "Wir beobachten weltweit eine Tendenz zur Antiisraelisierung", so
Frindte. "Der Bau des neuen 'Grenzzaunes' im Land, das rigorose Vorgehen der
israelischen Polizei gegen die Führer der palästinensischen Opposition und
nicht zuletzt Ariel Sharons Politik stoßen weltweit auf Kritik."
Der Wissenschaftler beschreibt die Antiisraelisierung wie
eine U-Kurve. An ihrem Wendepunkt steht die Israelkritik, die die Befragten
einhellig üben, egal welchem politischen Spektrum sie sich selbst zuordnen.
Jedoch hat die Kritik unterschiedliche Wurzeln. Das haben die Jenaer
Psychologen herausgearbeitet. Auf der linken Seite des U stehen diejenigen
aufgeklärten, multikulturell orientierten Personen, die nicht nur Israels
Politik, sondern genauso George W. Bush oder die Globalisierung konstruktiv
kritisieren. Auf der politisch rechten Seite stehen jedoch die Wölfe im
Schafspelz, die Israelkritik dazu benutzen, um damit manifeste
antisemitische Einstellungen bis hin zum Hass zu bemänteln.
Neues Gewand für alte Vorurteile
"Sie transportieren Antisemitismus in neuem Gewand", so
Frindte. Die Jenaer Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass der
Antisemitismus in Deutschland aufgehört hat, Ideologie zu sein. Es handelt
sich eher um einen latenten Antisemitismus, der Andeutungen und Anspielungen
nutzt, die Bezüge zu weit verbreiteten antisemitischen Ressentiments
herstellen.

Diese Ressentiments werden so in verschlüsselter und
abgeschwächter Form reproduziert. "Tradierte antisemitische Vorurteile und
politisch kalkuliert erzeugte Stereotype über Israel ergänzen und verstärken
sich gegenseitig", so Frindtes Fazit. "Als privates Vorurteil, dessen
öffentliche Äußerung tabuisiert ist, wird der neue, versteckte
Antisemitismus nicht entpolitisiert, sondern kann und wird politisch
instrumentalisiert", warnt der Jenaer Kommunikationspsychologe. Vermeidet
man antisemitische Themen in der öffentlichen Diskussion, so stärkt man dem
Antisemitismus ungewollt den Rücken.
Antisemitismus:
Die Furcht
vor den "Anderen" - den Juden
Sie betteln und schnorren gerne, leben aber heimlich
in Saus und Braus. Zugleich sind sie auch erfolgreicher, ehrgeiziger und
klüger als andere Menschen...
hagalil.com 06-07-2004 |