Antifas ohne Baseballschläger:
Neonazis marschieren in Bochum
Von Martin Seto
"Stoppt den Synagogenbau – vier Millionen für's Volk!" Mit
dieser Parole marschierten Neonazis am vergangenen Samstag in Bochum gegen
den Neubau der örtlichen Synagoge auf. Die Bochumer Synagoge war in der
Reichspogromnacht völlig zerstört worden, ihr Neubau wird nun mit Mitteln
des Landes und der Stadt gefördert. Etwa 250 Personen folgten dem Aufruf der
nordrhein-westfälischen NPD und "freier Nationalisten", um zu zeigen, was
sie unter "Steuergeldverschwendung" verstehen.
"Wenn die Juden ihre Synagoge vom Staat bezahlt haben wollen,
dann sollen sie die in Israel bauen und nicht auf deutschem Boden", tönte
der Bochumer NPD-Kader Claus Cremer. Nach Angaben der Zeitschrift Lotta
unterhält er gute Kontakte zum Spektrum "freier Kameradschaften" und erfüllt
so eine wichtige Funktion für die Koordinierung der militanten Neonaziszene
Nordrhein-Westfalens.
Bereits im März riefen die Neonazis zur Demonstration gegen
den Synagogenbau nach Bochum auf, scheiterten aber zunächst am Verbot durch
das Bundesverfassungsgericht. Wegen einer geringfügigen Änderung des
Demonstrationsmottos konnte nun letztinstanzlich der Aufmarsch durchgesetzt
werden. Für die nur rund 200 Gegendemonstranten, die zum "Antifa Action
Day", wie es im Aufruf einer lokalen Antifagruppe hieß, gekommen waren, gab
es angesichts des üblichen Großaufgebotes der Polizei kaum eine Möglichkeit,
den antisemitischen Aufzug ernsthaft zu stören. Lediglich einmal gelang es
einer Gruppe von Demonstranten, die Route der Neonazis für einige Minuten zu
blockieren.
Auch am Abend zuvor, als antifaschistische Gruppen zur
Demonstration gegen die Landeszentrale der NPD in Bochum-Wattenscheid
aufriefen, blieb die Teilnehmerzahl mit ebenfalls etwa 200 Angereisten
deutlich unter den Erwartungen der Organisatoren. In Anlehnung an Woody
Allens Diktum, er bevorzuge im Kampf gegen den Antisemitismus
"Baseballschläger", sollte am Vorabend des Aufmarsches ein kämpferischer
Akzent gesetzt und für die "staaten- und klassenlose Weltgesellschaft"
demonstriert werden. Leider konnte man sich, trotz des Anspruches, eine
aktuelle und umfassende Kritik des Antisemitismus zu leisten, weder im
Aufruf noch in den Redebeiträgen zu einer eindeutigen Stellungnahme zum
weltweit grassierenden Antizionismus durchringen, sei er nun säkular oder
religiös begründet.
Dabei ist der Zusammenhang zur nordrhein-westfälischen
Neonaziszene unmittelbar gegeben. Sie machte in jüngster Zeit immer wieder
mit antizionistischen Aktivitäten auf sich aufmerksam, und auch in Bochum
wurde wieder einmal skandiert: "Juden raus – aus Palästina!" Insofern ist
auch der in dem linken Düsseldorfer Stadtmagazin terz geäußerte bizarre
Vorwurf, die im März in Bochum gegen den damals verbotenen Neonaziaufmarsch
durchgeführte mit Israel solidarische Demonstration zeige "Affinitäten zum
Anliegen der NPD, 'die Juden' als kollektiven Fremdkörper im
gesellschaftlichen Zusammenleben darzustellen", nur als böswillige
Denunziation zu bewerten.
Neben der richtigen Akzentuierung der Antisemitismuskritik
bleibt die unlösbare Frage, wie den Aufmärschen der Neonazis vor dem
Hintergrund einer immer schlechter funktionierenden antifaschistischen
Mobilisierung praktisch begegnet werden kann. Vielleicht gehören dabei
eindrucksvolle Parolen zum notwendigen Bestandteil linker Selbstmotivation
und -vergewisserung in mauen Bewegungszeiten, sie sind jedoch zumeist
gleichzeitig ein Indiz uneingestandener Ohnmacht.
hagalil.com 05-07-2004 |