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Tage des Terrors, Tage der Folter:
Ein neuer Dreyfus?

Michael Wolffsohns öffentliche Verwandlung vom deutschjüdischen Patrioten zum Zionisten

Von Richard Chaim Schneider
Süddeutsche Zeitung v. 28.6.04

Der deutsch-jüdische Patriot Michael Wolffsohn ist auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Er musste feststellen, wie er in seinem symbolträchtig betitelten Aufsatz "J'accuse" in der FAZ schreibt, dass es in Deutschland Antisemiten gibt. Ausgerechnet ihm, dem Juden, der so intensiv um die Gunst der Deutschen buhlte, der sich deutschnationaler gab als so mancher nichtjüdische Deutsche, ausgerechnet ihm musste es jetzt widerfahren, dass ein "antisemitisches Komplott" beinahe seine Existenz ruinierte. Das Komplott: die massive Kritik an seiner theoretischen Befürwortung der Folter als Mittel im Kampf gegen den Terrorismus.

Durfte er solche Äußerungen machen? Ganz ohne Zweifel. Noch ist die Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik ein Gut, das auch Michael Wolffsohn für sich in Anspruch nehmen darf. Ist Kritik an seinen Äußerungen erlaubt? Und dürfen seine Gegner laut darüber nachdenken, ob ein Professor der Bundeswehrhochschule nach solchen Äußerungen noch geeignet ist, junge Soldaten auszubilden? Auch dies ist legitim. Doch Wolffsohn sieht nun in den Attacken eine antisemitische Hetze gegen ihn, den Juden. Was dazu führt, dass er, der einstige deutschjüdische Patriot, schlagartig wieder zum glühenden Zionisten wird. Im reifsten Mannesalter begreift Wolffsohn nun, dass nur ein jüdischer Staat und jüdische Wehrhaftigkeit ihm das Überleben in Deutschland garantiert. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Einsicht und willkommen in der Realität, möchte man Wolffsohn ironisch entgegenrufen. Der Mann, der sich in der Vergangenheit nicht scheute, zusammen mit ultrarechten deutschtümelnden Geistern in einem gemeinsamen Buch zu veröffentlichen, stellt auf einmal fest, dass es in Deutschland Antisemiten gibt. Diese Erkenntnis hat er jetzt endlich mit allen Juden gemein, auch wenn sie einen deutschen Patrioten sicherlich mehr schmerzen muss als uns Juden mit deutschem Pass, die wir noch nie so ganz sicher waren, dass uns die Deutschen lieben.

Unerträglich an Wolffsohns "J'accuse " ist allerdings nicht seine Verschwörungstheorie. Es besteht kein Zweifel, dass viele Kritiker von Wolffsohns Befürwortung der Folter auch von antisemitischen Gefühlen geleitet sind. Nur: Was ist so neu daran in Deutschland? Wer von uns Juden, die sich öffentlich äußern, hat noch nicht antisemitische Reaktionen erleben müssen? Nein, unerträglicher als Wolffsohns Paranoia ist die Hybris seines Artikels, in dem er sich obendrein zum Sprecher aller Juden macht - die Hybris, sich zu Albert Dreyfus und Emile Zola in Personalunion zu stilisieren.

Zur Erinnerung: Der Jude Albert Dreyfus, Hauptmann der französischen Armee, wurde 1894 mit Hilfe gefälschter Dokumente wegen Spionage zu lebenslänglicher Haft auf der Teufelsinsel verurteilt. Bei seiner öffentlichen Degradierung hatte der Pöbel den Tod "des Juden" gefordert. Obgleich sich herausstellte, dass Dreyfus unschuldig war, blieb er in Haft. Gegen den Antisemitismus seiner Zeit erhob Emile Zola mit seinem Artikel "J'accuse" Anklage. Ist Wolffsohn Zola? Als Ankläger in eigener Sache ist diese Identifizierung geradezu peinlich. Ist Wolffsohn ein neuer Dreyfus? Nun, weder wurde er auf die Teufelsinsel verfrachtet, noch musste er seinen Lehrstuhl an der Bundeswehrhochschule aufgeben. Allerdings ist Wolffsohn in der Tat mit Dreyfus zu vergleichen, doch ganz anders als ihm lieb sein kann. Ein Blick in Hannah Arendts epochales Werk "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" macht dies deutlich. Arendt schreibt zur Gemütsverfassung assimilierter Juden wie der Familie Dreyfus: "Die Dreyfus gehörten in der Tat zu jener jüdischen Gruppe, die versuchte, sich an den Antisemitismus zu assimilieren. Dass Juden selbst in solch einer Assimilation nicht verschwinden und weder für sich noch für andere aufhören, Juden zu sein, dies hat der letzte der großen französischen Romanciers, Marcel Proust, meisterhaft dargestellt. Die Zerrissenheit der betreffenden Seele ließ denn auch nichts zu wünschen übrig. Nichts anderes als dies leere Zerrissensein ist die angeborene Prädisponiertheit", von der Proust spricht, das die natürliche Treue und die selbstverständliche Solidarität mit dem Volke ersetzt hatte und das assimilierte Juden kennzeichnet."

Wolffsohns Zerrissenheit wird in seinem "J'accuse" überdeutlich. Er ist persönlich beleidigt, dass sein Bemühen, der bessere Deutsche zu werden, nichts genutzt zu haben scheint. Es ist bezeichnend, dass Wolffsohn in der Aufzählung seiner aktuellen Feinde diese nur bei PDS, FDP und der aktuellen Regierung findet, aber offensichtlich bei CDU und CSU keinen einzigen Antisemiten ausfindig machen kann, nicht einmal Herrn Hohmann. So wird Wolffsohn auf seinem Weg der Erkenntnis noch merken müssen, dass es noch mehr Antisemiten in Deutschland gibt als er dies jetzt schon zu wissen meint. Und sollte seine neugewonnene Einsicht ihn dazu verleiten, in Herzls Judenstaat zurückzukehren - wovon nicht auszugehen ist -, so wird er feststellen, dass die zum Teil unsinnige Gewalt der israelischen Armee von mindestens der Hälfte der Israelis als "unjüdisch" und ungerecht eingeschätzt wird. Die Frage, ob eine Demokratie unter größter existenzieller Bedrohung foltern darf, wird auch in Israel heiß diskutiert, selbst wenn dort Folter unter gewissen Auflagen des Obersten Gerichtshofes genehmigt ist. Denn jenseits aller Opferstilisierung des Michael Wolffsohn bleibt die Gretchenfrage ungelöst: Darf ein demokratischer Staat einen Gefangenen foltern, der verraten kann, wo der nächste Anschlag stattfinden soll, der viele Zivilisten das Leben kosten wird?

hagalil.com 30-06-2004

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