Mord in 164 Fällen:
Späte Anklage gegen NS-Täter
In München beginnt demnächst der
Prozess gegen einen 86-jährigen Mann, den seine
Geheimdiensttätigkeit womöglich vor früherer Verfolgung bewahrt hat
Von Jörg Schallenberg
taz vom 25.05.04
Überrascht war Ladislav Niznansky nicht, als es am
frühen Morgen des 16. Januar 2004 an seiner Tür klingelte - und
draußen fünf Polizisten samt Staatsanwalt standen. "Sie müssen mich
nicht mit so vielen Personen abholen. Wenn Sie mich vorgeladen
hätten, wäre ich natürlich gekommen", soll der 86-Jährige bei seiner
Verhaftung gesagt haben, bevor er seine Sachen zusammenpackte.
Schon seit längerem wusste Niznansky, dass die
Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelte - und auch die im Haftbefehl
erhobenen Vorwürfe waren dem Rentner aus dem Münchner Stadtteil
Neuperlach bestens bekannt: Mord in 164 Fällen wird dem gebürtigen
Slowaken vorgeworfen, begangen im Januar und Februar 1945.
Damals soll Ladislav Niznansky als Kommandant einer
slowakischen Einheit gemeinsam mit deutschen Truppen Partisanen
gejagt haben. Im Januar 1945 ermordete diese Einheit in den Orten
Ostry Grún und Klak (Slowakei) insgesamt 146 Menschen, darunter 70
Frauen und 51 Kinder. Außerdem soll Niznansky, damals 27 Jahre alt,
im Februar 1945 die Erschießung von 18 jüdischen Zivilisten in der
Gemeinde Ksinná befohlen haben. Bis zu 20 Menschen soll er
eigenhändig umgebracht haben. Im Sommer wird in München der
aufwändige Prozess gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher beginnen,
auch wenn dessen Anwalt Steffen Ufer die Verhandlungsfähigkeit des
86-Jährigen bezweifelt, der bereits zwei Schlaganfälle erlitten hat.
Niznanskys Geschichte unterscheidet sich allerdings
von anderen Kriegsverbrecherprozessen darin, dass er schon zweimal
wegen dieser Vorwürfe verurteilt wurde. Bereits 1946 sprach ihn ein
Gericht in Bratislava frei, 1962 dagegen wurde er in Banská Bystrica
zum Tode verurteilt. Doch da war Niznansky, der sowohl für den
tschechoslowakischen wie auch den US-Geheimdienst aktiv gewesen sein
soll, längst in den Westen übergesiedelt und arbeitete in München
als Dokumentar für Radio Free Europe. In tschechischen Zeitungen
tauchten wiederholt Vermutungen auf, dass ihn seine
Agententätigkeiten zunächst vor einer Verurteilung und später vor
einer Auslieferung oder einem neuen Verfahren in Deutschland bewahrt
haben könnten.
Im Jahr 2000 aber legten slowakische Behörden der
Münchner Staatsanwaltschaft umfangreiches Aktenmaterial und vier
Aussagen von Augenzeugen der Massaker vor, die Niznansky schwer
belasteten. Die folgenden Ermittlungen führten schließlich zur
Verhaftung des 86-Jährigen, der seit Januar in Untersuchungshaft
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01-06-2004 |