antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

  

Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

hagalil.com

Search haGalil

Veranstaltungskalender

Newsletter abonnieren
e-Postkarten
Bücher / Morascha
Musik

Koscher leben...
Tourismus

Aktiv gegen Nazi-Propaganda!
Jüdische Weisheit
 

 

Zuwanderungsgesetz:
Kontingentregelung in Gefahr?

von Dr. Irene Runge

Am Rande der dreijährigen Verhandlungen über ein Zuwanderungsgesetz wurde erstmals seit 1991 auch an der Kontingentregelung für jüdische Einwanderinnen und Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion gerüttelt.

Selbst wenn im abschließenden Gesetzentwurf keine Änderungen an der bestehenden Regelung festgeschrieben worden sind, bleiben die diskutierten Einschränkungen hochbrisant, zumal die ursprünglich von der Innenministerkonferenz beschlossene Kontingentregelung jederzeit von dieser geändert werden kann - und offenbar auch werden soll. In der Diskussion über das Zuwanderungsgesetz haben dem Vernehmen nach auch mehrere Innenminister der Länder Änderungsbedarf im Sinne einer Begrenzung der jüdischen Einwanderung angemeldet, wegen der "hohen Sensibilität" des Themas allerdings eher leise.

Nun sind die hiesigen Innenminister in Bund und Ländern nicht für übertriebene Vorsicht bekannt. Geht es um die jüdische Präsenz in Deutschland, hält man sich aufgrund der mahnenden deutschen Geschichte jedoch üblicherweise vor politisch nicht korrekt erscheinenden Anmerkungen zurück. Umso problematischer erscheint daher die zweischneidige Anregung, die der Zentralrat der Juden in Deutschland den Aposteln der Zuwanderungs-begrenzung unterbreitet hat.
Der Zentralrat will seine Politik eines Alleinvertretungsanspruchs von Jüdinnen und Juden in Deutschland festklopfen, vor allem, da diese gerade jetzt im Streit um Fördergelder mit der Union für Progressives Judentum auch öffentlich erkennbar geworden ist. Zwar kann er nicht für die gesamte jüdische Bevölkerung im Lande sprechen - nicht für die außerhalb seiner Gemeinden organisierten Anhänger jüdischen Liberalismus oder die unorganisierten Anhänger jüdischer Säkularität - aber weil schon König und Kaiser es bequemer fanden, nur einen Gesprächspartner des Judentums anzuerkennen, wird der Zentralrat bis heute als einzige jüdische Stimme mit staatlichen Wohlwollen versehen. Fälschlicherweise gilt er auch als Promotor der neueren jüdischen Einwanderung.

Die Fakten der Kontingentregelung

Die Geschichte der Kontingentregelung aber ist eine andere. Sie reicht zurück bis zum 6. Februar 1990, als der sich in Gründung befindende Jüdische Kulturverein Berlin e.V. am Zentralen Runden Tisch der DDR dazu aufrief, Juden und Personen aus jüdischen Familien aus der Sowjetunion in die noch bestehende DDR einwandern zu lassen, sofern sie dies angesichts der dortigen politischen Instabilität und damit verbundener antisemitischer Bedrohungen wollten. Dem Vorschlag stimmten in der Euphorie des Aufbruchs alle am Zentralen Runden Tisch vertretenen Parteien und gesellschaftlichen Initiativen zu. Dieser Empfehlung folgend öffnete die am 18. März 1990 frei gewählte DDR-Regierung unter Ministerpräsident Lothar de Maiziere im Mai 1990 dje Grenzen. Die ersten 70 Menschen kamen als Einwanderinnen und Einwanderer und beriefen sich auf jüdische Mütter oder Väter.

Nach dem Beitritt der DDR wurde jene unzeitgemäß liberale Festlegung im Januar 1991 durch einen Beschluss der Innenministerkonferenz in die noch heute geltende Regelung für Kontingentflüchtlinge überführt. Demnach können diejenigen, die jüdische Mütter (halachische Juden) oder jüdische Väter (jüdische Herkunft) haben, zusammen mit ihren Verwandten ersten Grades (Ehepartner, minderjährige Kinder) aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion - also einem Sechstel der Erde! - nach Deutschland einwandern. Vorausgesetzt ist, dass die jüdische Herkunft amtlich von Behörden (Geburtsurkunden) bestätigt wird. Die Zahl dieser Einwanderer hat sich inzwischen auf jährlich bis zu 16.000 eingependelt. Die Einwanderung erfolgt mit dem Ziel, in Deutschland einen Lebensmittelpunkt zu finden, nicht aber, um in andere Länder weiter zu wandern, wie immer wieder kolportiert wird. Es handelt sich um eine Entscheidung gegen Israel (die Einwanderung dorthin wäre für diesen Personenkreis im Sinne der "Heimkehr-Regelungen unproblematisch, aber u.U. um einen Ausweg, was die USA angeht, wohin die jüdische Einwanderung seit dem Ende der Sowjetmacht schwer geworden ist). Dass Deutschland dadurch die am schnellsten wachsende jüdische Gemeinschaft in Europa wurde, ist eine für viele erfreuliche Tatsache.

Abb.: Deutschunterricht in der Jüdischen Gemeinde Hameln

Deutschland, so hieß es zu Anbeginn, darf angesichts der Schoah niemals mehr zusehen, wenn jüdisches Leben gefährdet sein könnte. Die damalige Entscheidung zugunsten der Einreisewilligen folgte als eine Lehre aus der deutschen Geschichte und aufgrund eines in der Folge der sowjetischen Perestroika zunehmend ungehindert öffentlich agierenden Antisemitismus. Im Jahr 1990/91 wurde noch sehr ernstgenommen, dass die als Tradition verfestigten antisemitischen Grundeinstellungen im russischsprachigen Raum vor allem in politisch unsicheren Zeiten erfahrungsgemäß immer wieder aufbrechen. Von zentralem Stellenwert war dabei die Tatsache, dass in der Sowjetunion und den heutigen Nachfolgestaaten Judentum nicht allein als Religion, sondern vor allem als Nationalität festgeschrieben ist, die in der Regel am Vater festgemacht wird (und sich damit unter anderem in einem durch diesen weitergegebenen erkennbar jüdischen Namen ausdrückt). Demgegenüber akzeptiert das jüdische Religionsgesetz Halacha nur die mütterliche Linie, wenn es um die Zugehörigkeit zum Judentum geht.

Zuwanderung nur für Religiöse?

Genau hier setzt der Vorschlag des Zentralrats der Juden in Deutschland an, die seit 1990 bestehende Einwanderungspraxis im "jüdischen Kontingent" grundlegend umzugestalten. Inhalt des Änderungsvorschlags, der am Rande der Gespräche über das Zuwanderungsbegrenzungsgesetz formuliert und schnell vor der Öffentlichkeit verschwiegen wurde, ist, dass Zuwanderungswillige in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion einerseits orthodox-rabbinisch als Juden bestätigt und andererseits in dortigen jüdischen Gemeinden bekannt sein sollten. Dies würde bedeuten, nur diejenigen dürften nach Deutschland einwandern, die gemäß Religionsgesetz von einer jüdischen Frau geboren oder durch orthodoxe Rabbiner konvertiert worden sind.

Bisher galten aus bereits beschriebenen Gründen die erweiterten Regeln, die übrigens nicht zufällig auch die Einwanderungspraxis des Staates Israel bestimmen und in der Zeit des Kalten Krieges durch alle westliche Aufnahmestaaten in Anwendung gebracht worden sind.

In öffentlichen Briefen an Bundesinnenminister Otto Schily begründen die Weltunion der Progressiven Juden in Deutschland, das Abraham-Geiger-Kolleg Potsdam, der Jüdische Kulturverein Berlin e.V. und der Weltkongress der Russischsprachigen Juden deutlich ihren Protest gegen diesen Vorschlag des Zentralrats der Juden in Deutschland. Sie argumentieren, dass der Zentralrat-Vorschlag auch deshalb inakzeptabel sei, weil ein Religionsgesetz nicht die Regeln staatlicher Einwanderung kodifizieren dürfe. Religion sei in Deutschland Privatsache, alles andere wäre jenseits auch moralischen Sachverstands eine "Konfessionalisierung" des Judentums, die die säkulare Nationalität aus dem Judentum herausdefiniere und an der Realität des Antisemitismus in Osteuropa vorbeigehe. Die Nazis wie heutige Antisemiten interessieren sich bei ihren Praktiken nicht für die religiösen Regeln im Judentum. Diese Argumente stehen dem Vorschlageines Einwanderungsstopps für jene entgegen, die wegen jüdischer Nationalität und väterlichem Namen zur Projektionsfläche antisemitischer Übergriffe werden könnten -subtil, verbal, physisch.

Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, als wären antisemitische Stereotype wegen der Religion und gegen die religiös-jüdische Logik entstanden. Dies hieße, dem Antisemitismus eine Form von Rationalität zuzusprechen, die er in seiner rassistischen Irrationalität nicht besitzt.

Anders als die orthodoxe akzeptiert zudem die liberale jüdische Bewegung beispielsweise in den USA auch diejenigen als Juden, die "nur" einen jüdischen Vater haben und bzw. - so in England und jetzt in Deutschland - erleichtert ihnen unter bestimmten Umständen die Konversion. Die liberale jüdische Bewegung ist wie die Orthodoxie religiös definiert. Das wird häufig übersehen. Säkulare Einrichtungen wie der Jüdische Kulturverein Berlin wiederum fragen ihre Mitglieder nicht nach der Religion, sondern ob sie oder ihre Vorfahren nach 1933 als Juden verfolgt wurden und ob sie sich heute der jüdischen Geschichte und Tradition, zu der die Kultur der Religion gehört, annähern wollen. Dies gilt auch für Einwanderinnen und Einwanderer.

Aus der Perspektive dieser Organisation ist die Vorstellung absurd, dass einerseits ein Kopftuchverbot gegenüber in Deutschland lebende Muslima durchgedrückt wird, während andererseits nur noch religiöse Jüdinnen und Juden einwandern sollen. Mehr noch: Was geschieht mit halachischen Jüdinnen und Juden, die sich nach ihrer Einwanderung für ein säkulares, also gemeindefernes Leben entscheiden oder gar nicht-jüdische Ehen eingehen wollen? Droht ihnen die Abschiebung?

Motivsuche

Wenn der Zentralrat der Juden in Deutschland die bisher bewährten Regeln ändern will, liegen diesem Ansinnen vermutlich Motivstrukturen zugrunde, über die es sich nachzudenken lohnt.

Das wesentliche Motiv könnte im schlichten Desinteresse des Zentralrats an einer nicht-halachischen Einwanderung liegen. Dieses Desinteresse umfasst dann mehrere Dimensionen. Zunächst einmal entfallen mögliche finanzielle Beweggründe, die die jüdische Einwanderung für den Zentralrat ansonsten durchaus attraktiv macht. Zwar gilt auch für die jüdischen Gemeinden das deutsche Gesetz, das jedes Mitglied der Religionsgemeinschaft verpflichtet, sechs Prozent der monatlichen Einkommenssteuer an die jeweilige Religionsgemeinde abzuführen. Aber außer Steuern beziehen die Gemeinden bzw. der Zentralrat der Juden auch besondere Zuwendungen von Bundes- und Landesregierungen, die für die Integration der bei ihnen angemeldeten Einwanderer bestimmt sind. Da nur diejenigen Einwanderer Mitglieder der Religionsgemeinden werden können, die nach dem Religionsgesetz jüdisch sind und dies für den Zentralrat und fast alle der ihn bildenden Einheitsgemeinden verbindlich ist, haben auch die Gemeinden an der Gruppe nicht-halachischer Juden kaum Interesse. Die Zahl der Gemeindemitglieder ist Basis für Leistungen, nicht die Zahl der am Ort lebenden "Kontingentflüchtlinge".

Abb.: Integration durch Sport: SV Makkabi Bad Segeberg

Geschätzt wird, dass die jüdische Bevölkerung in Deutschland zurzeit knapp 200.000 Menschen umfasst. Etwa die Hälfte sind die eingetragenen Mitglieder der Einheitsgemeinden. Davon sind rund 70 Prozent Einwanderer aus der GUS. Viele der über 100 Gemeinden sind fast oder vollständig russischsprachig. In manchen Orten soll es keine anderen Integrationsangebote für im jüdischen Kontingent einwandernde Personen als die der Jüdischen Gemeinde geben. Die Kommunen haben sich aus einer Pflicht zurückziehen können, indem sie die teilweise konzeptionslose Integrationsarbeit den Gemeinden überließen. Damit wurde indes das wesentliche Problem selbst geschaffen, denn der Staat übergab aus einer Art philosemitischer Überangepasstheit dem Zentralrat von Beginn an die Definitionsmacht über den Einwanderungs- und den Integrationsverlauf. Dieser wiederum verkannte offenbar den Aufwand und die Folgen für seine Gemeinden, das Erfordernis nach komplexer Integrationsarbeit in deutsche Sprache, Kultur und Landeskunde und war starrsinnig Änderungsvorschlägen nicht zugängig. Angesichts der wachsenden internen Schwierigkeiten und eines zunehmend auch politischen Drucks in Bezug auf die Integrationsarbeit könnte hier ein weiteres Motiv für das Desinteresse des Zentralrates und seiner Gemeinden liegen.

Letztlich können die Motive des Zentralrates nur durch diesen selbst erklärt werden. Dieser aber hat sich bisher einer so dringend gebotenen öffentlichen Stellungnahme enthalten. In der ihm mehr als nahe stehenden "Jüdischen Allgemeinen" vom 10. Juni 2004 war allerdings ein Beitrag zu lesen, der fast wie eine erste Verlautbarung klang. Demnach hätten die Verhandlungsführer der Parteien nach kurzem Bedenken das Thema aus dem Zuwanderungsgesetz ausgeklammert und es der Innenministerkonferenz überlassen. Von einwanderungswilligen Menschen ist die Rede, die zwar nach Deutschland kommen, aber "nichts mit der jüdischen Gemeinde zu tun haben wollen" (Schily) und die "nach unserem halachischen Religionsgesetz keine wirklichen Juden sind" (Spiegel). Sollen demnach zwei Gruppen ausgegrenzt werden, die gemeindeabstinenten Jüdinnen und Juden und jene, die der Religionsregel zufolge keine sind und ohne religiöse Konversion auch keine Gemeindemitglieder sein können?

Die zentrale Frage kann aber nicht die nach einer möglichen "Konfessionalisierung" der Einwanderung sein, sondern ob Menschen jüdischer Herkunft in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion aktuell antisemitischer Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt sind. Wenn diese Frage bejaht wird, sollte Deutschland weiterhin allen Betroffenen mit Offenheit begegnen, ihre Einwanderung ermöglichen und ihre Integration qualifizieren.

Die Innenministerkonferenz wäre also gut beraten, sich politisch und nicht theologisch zu verhalten. Sie sollte gründlich überdenken, was die Folgen einer Einschränkung der Zuwanderungsbestimmungen sein könnten. Und Bundesinnenminister Schily sollte sich unbedingt Zeit nehmen, um die erwähnten Schreiben der jüdischen Organisationen endlich zu beantworten und sie - um ihrer jüdischen und politischen Logik willen - auch den Landesinnenministern im Sinne der Weiterbildung zu lesen geben.

Dr. Irene Runge (Berlin), geboren 1942 in New York, ist Soziologin und Publizistin sowie die langjährige Vorsitzende des Jüdischen Kulturvereins Berlin e.V.. Ihr Beitrag ist zuerst in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" (07/04) erschienen.

Zuwanderer aus den ehemaligen GUS-Staaten

hagalil.com 18-06-2004

Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!

Advertize in haGalil?
Your Ad here!

 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved