20. September 1895
„In Wien waren am Tag vor Erew Rausch haschonoh
[jüdischer Jahresbeginn]
die Gemeinderatswahlen. Alle Mandate fielen den Antisemiten zu. Die
Stimmung ist eine verzweifelte unter den Juden. Die Christen sind schwer
verhetzt.
Laut ist die Bewegung eigentlich nicht. Für mich an den Lärm von Pariser
Bewegungen Gewöhnten ist sogar viel zu still. Ich finde diese Ruhe
unheimlicher. Dabei sieht man überall Blicke des Hasses, auch wenn man
sie nicht mit der lauernden Angst eines Verfolgungswahnsinnigen in den
Augen der Leute sucht...
Gegen Abend ging ich auf die Landstraße. Vor dem Wahlhaus eine stumme,
aufgeregte Menge. Plötzlich kam Dr. Lueger heraus auf den Platz.
Begeisterte Hochrufe; aus den Fenstern schwenkten Frauen weiße Tücher.
Die Polizei hielt die Leute zurück. Neben mir sagte einer mit zärtlicher
Wärme, aber in stillem Ton: „Das ist unser Führer!“
Mehr eigentlich als alle Deklamationen und Schimpfereien hat mir dieses
Wort gezeigt, wie tief der Antisemitismus in den Herzen dieser
Bevölkerung wurzelt.“
I, Seiten 278-9 Theodor Herzls Tagebücher, Drei
Bände
1895-1904, Jüdischer Verlag, Berlin1922
Zwiespältigkeit:
Wiens Verhältnis zu Theodor Herzl
Von Karl Pfeifer
Anlässlich des 100.
Todestages hat der Wiener Gemeinderat beschlossen einen Platz im
1. Bezirk nach Theodor Herzl zu benennen. Grund genug für die
"Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich" einen Beschwerdebrief an
die SPÖ zu richten, der von Bundesrat Prof. Albrecht Karl Konecny
beantwortet wurde.
Konecny, der auch Internationaler
Sekretär der SPÖ ist, betont im Namen seiner Partei, dass „die
internationale Gemeinschaft nicht nur die Rolle des Vermittlers
übernehmen muss, sondern ausdrücklich auch Druck auf Israel auszuüben
hat.“ Wenn schon die SPÖ Druck auf Israel ausgeübt haben will, wäre dann
nicht auch ein Druck auf die palästinensische Seite zur Unterbindung des
Terrors angezeigt? Dass Konecny die „kritische Auseinandersetzung mit
der wenig hilfreichen Haltung der israelischen Arbeiterpartei“ erwähnt,
zeigt, was er unter internationaler Solidarität versteht.
Und Konecny betreibt Kindesweglegung,
wenn er auf einen „entsprechenden Beschluss“ der Bezirksvertretung des
1. Bezirkes „auf Antrag der ÖVP“ verweist, als ob dieser Beschluss nicht
von der sozialdemokratischen Mehrheitsfraktion und dem Bürgermeister der
Stadt Wien getragen würde. Doch es kommt noch bunter, er entschuldigt
sich für ein „unglückliches zeitliches Zusammentreffen“ des Beschlusses
über die Namensgebung nach Theodor Herzl mit dem „Entsetzen über das
brutale und zerstörerische Vorgehen der israelischen Armee in Rafah“.
Da möchte also ein SPÖ-Funktionär Theodor Herzl in der Stadt – die
sich heuer bereits mit dem fünften Herzl-Symposium schmückte –
dafür verantwortlich machen, dass 100 Jahre nach seinem Tod, der Staat
den er vordachte, gegen den Waffenschmuggel und den Terror vorgeht.
Sollen jetzt auch der Karl Marx Hof und der Engelsplatz umbenannt
werden? Und wie wäre dann zu verfahren mit dem Karl Lueger Ring und dem
Karl Lueger Platz? Konecny geht in seinem Bemühen, bei der Islamische
Glaubensgemeinschaft in Österreich Gefallen zu finden, so weit, dass er
aus Theodor Herzl einen Gegner der Verwirklichung des Zionismus im
damalig zum osmanischen Reich gehörenden Heiligen Land macht, der „aus
Respekt gegenüber der palästinensischen Bevölkerung alternative
Ansiedlungsgebiete für die in Europa diskriminierten und verfolgten
Juden vorschlug.“ So stellt er die geschichtliche Wahrheit auf den Kopf
und versucht Herzl seine historische Bedeutung als wichtigster
Vorkämpfer der zionistischen Idee und Bewegung zu nehmen.
Der Vorschlag, Juden im damals
britischen Ostafrika („Uganda-Plan“) anzusiedeln, kam vom britischen
Empire und wurde von Herzl unter dem Eindruck des Pogroms von Kishinev
1903 dem 6. Zionistischen Kongress nur als eine temporäre Lösung
vorgelegt. In einem Brief an Sir Francis Montefiore in London vom 14.
Dezember 1903 hat sich Theodor Herzl diesbezüglich eindeutig geäußert:
„Man hat mir nachgesagt, daß ich
unsere Bewegung vom Heiligen Lande abziehen und nach Ostafrika hinlenken
möchte. Nichts kann von der Wahrheit weiter entfernt sein. Ich bin ein
Zionist und zu tiefst überzeugt, daß die Lösung unserer Volksfrage nur
in diesem Lande Palästina erfolgen kann, mit dem die nationale Existenz
unseres Volkes geschichtlich und gefühlsmäßig unzertrennlich verbunden
ist. Kein Fleck der Erde könnte daher in meinem Sinne den Platz
einnehmen oder ersetzen,
den Palästina hat als Ziel unseres Strebens.“ („Der Jude“, Jg.5,
1920, Nr. 8., S 449)
In einer Stadt wie Wien, die auch mit
dem Erbe der jüdischen Kultur Reklame macht, die ein jüdisches Museum
der Stadt Wien führt, kann eine Persönlichkeit wie Theodor Herzl und
dessen Werk nur im Zusammenhang mit dem damals in Wien vorherrschenden
Antisemitismus verstanden werden. Ein Widerstand gegen diese
Namensgebung verleugnet diesen historischen Bezug Herzls zu Wien und
Österreich. Sicher kein Zufall, dass auch erklärte Feinde der Demokratie
und Antisemiten wie das neonazistische Stoertebeker-Netz und die
linksextremistisch-islamistische Gruppe Sedunia die
Herzl-Platz-Benennung vehement ablehnen.
hagalil.com
01-07-2004 |