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"Tygodnik Powszechny" Nr. 14/2004
(Übersetzung aus dem Polnischen)

Interview mit Erzbischof von Lublin, Prof. Józef Zycinski:
"Gott bewahre uns vor Mythen"

Das Interview führte Wojciech Pieciak

TYGODNIK POWSZECHNY: – Die Korrespondentin Gabriele Lesser hat dem Bund der Vertriebenen vorgeworfen, dass er bis heute nicht auf die Versöhnungsbotschaft der polnischen Bischöfe von 1965 mit dem berühmten Satz "Wir vergeben und bitten um Vergebung" geantwortet habe. Einer der Punkte in der Klage des BdV gegen Lesser bezieht sich darauf. Erika Steinbach behauptet, dass der BdV sehr wohl – und sogar einige Male – geantwortet habe. Auch sie selbst habe den Bischofsbrief mehrfach öffentlich gelobt, u.a. auch in Warschau während eines Treffens an der Katholischen Theologischen Akademie. Was ist nun die Wahrheit? Haben die polnischen Bischöfe eine Antwort des BdV auf ihren Brief bekommen oder nicht?

ERZBISCHOF JÓZEF ZYCINSKI: – Dass Erika Steinbach sich auf ihre eigenen Aussagen beruft, um den Vorwurf Gabriele Lessers zu entkräften, ist keine Antwort zur Sache. Steinbach legt keinerlei Dokumente oder Erklärungen vor, die eine positive Reaktion des BdV zeigen würden. Dies gilt insbesondere für die Jahre 1965 bis 1966, als das Episkopat in Polen ständigen Attacken [seitens der kommunistischen Partei in Polen – Anm. der Red.] ausgesetzt war. Damals wäre jede Stimme, die sich mit dem Episkopat solidarisch erklärt hätte, Ausdruck der geistlichen Unterstützung gewesen, die Kardinal Wyszynski damals so nötig brauchte.

Erika Steinbach sollte also nicht im Stile Ludwigs XIV. sagen: "Der BdV – das bin ich", sondern offizielle Dokumente vorlegen, in denen der BdV-Vorstand dem tatsächlichen Inhalt der Friedensbotschaft seine Reverenz erweist. Im Allgemeinen tut man dies in programmatischen Erklärungen, offiziellen Reden oder Briefen, die sich an konkrete Adressaten richten, in diesem Fall also an das polnische Episkopat.

Eine natürliche Reaktion wäre hier ein Brief des Bundes der Vertriebenen an die polnischen Bischöfe gewesen, in dem sie ihre Anerkennung für diese Initiative ausgesprochen hätten. Ich kenne jedoch kein einziges solches Dokument, habe auch nie von solch einem Brief gehört. Ich nehme an, dass auch Erika Steinbach kein solches Dokument vorweisen kann. Denn sie beruft sich in ihrer Klage auf ihre eigenen Aussagen, die sie fast 40 Jahre nach der Friedensbotschaft formuliert hat. Solche und ähnliche Aussagen können jedoch nicht als Antwort [Hervorhebung des Erzbischofs – Red.] auf die Friedensbotschaft anerkannt werden. Es sei denn, wir blieben auf der Ebene der Metapher.

Es fällt mir schwer, die Vorgehensweise Erika Steinbachs zu verstehen. Warum soll ein Gericht über historische Fakten entscheiden? Die Wahrheit stellt man auf der Basis historischer Dokumente fest. Ein Gericht anzurufen, ist allein "günstig", um eine Angstpsychose auszulösen und Kritiker einzuschüchtern. Wenn aber der Wille zur Einschüchterung über die Suche nach der Wahrheit dominiert, so sind dies nicht eben Charakteristika von Menschen, deren Ethos Anerkennung verdienen würde.

Einer der BdV-Vorsitzenden, so stellt der Anwalt Erika Steinbachs fest, habe bereits 1965 erklärt, dass der Bischofsbrief eine "begrüßenswerte Geste” darstelle. Allerdings lassen einige Worte, die sich in dieser Erklärung finden, wie auch in anderen Aussagen von BdV-Politikern, den Schluss zu, dass die Vertriebenen den Brief nicht aus denselben Gründen mit Freude begrüßten, die ihm die Bischöfe beimaßen. Die BdV-Funktionäre freuten sich über den Brief, da er – ihrer Meinung nach – eine neue Diskussion über die deutsch-polnische Grenze eröffnete.

Ich wäre mit der Freude über die Formulierung "begrüßenswerte Geste” sehr vorsichtig. Zum einen kommt die Reduzierung der Friedensbotschaft auf eine "Geste" der Herabwürdigung ihrer theologische Botschaft gleich. Dass es hier um eine ganz neue Versöhnungsvision zwischen den Völkern ging, nicht hingegen um eine beiläufige, gesellschaftliche Geste, verstanden die kommunistischen Verfolger der Bischöfe wesentlich besser.

Zum zweiten gehen aus dem Zitat des damaligen BdV-Vorsitzenden seine Motive nicht hervor, warum er sagte, dass seiner Meinung nach die Friedensbotschaft der Bischöfe "begrüßenswert" sei. Wir können daher seine Aussage nicht bewerten. Man kann nämlich nicht ausschließen, dass – im Extremfall – jemand meint, die Botschaft sei "begrüßenswert", weil hier jene [die Deutschen – Anm. des Übersetzers] um Verzeihung gebeten werden, die zuvor lediglich als verdammungswürdig angesehen wurden.

Erika Steinbach erklärt seit Jahren in Interviews, dass der Bund der Vertriebenen schon "immer für die Versöhnung" eingetreten sei. Wie bewerten Sie, Herr Erzbischof, den Einfluss des BdV auf den deutsch-polnischen Versöhnungsprozess?

Ich könnte eine lange Liste deutscher Freunde anführen, Politiker wie auch Kulturschaffende, die inspiriert vom Geist des Bischofsbotschaft ein Klima der Versöhnung geschaffen haben. Man darf aber keine Mythen in die Welt setzen: wenn wir uns für unser Worte verantwortlich fühlen, können wir den Bund der Vertriebenen nicht auf diese Freundesliste setzen.

Es besteht allerdings ein gesellschaftliches Bedürfnis für Mythen. Ihren Ausdruck finden sie in Aussagen wie "der BdV war immer für die Versöhnung". Dieser Satz ist logisch gleichbedeutend mit: "der BdV war nie gegen die Versöhnung". Leider kann man vor dem Jahr 1990 auf viele Aussagen und Handlungen des BdV verweisen, die sich radikal von der Versöhnungsvision der Friedensbotschaft von 1965 unterscheiden. Wir sollten also nicht bei Orwell Zuflucht suchen und eine geheimnisvolle Unterstützung des BdV für die Versöhnung suggerieren, da wir doch genau wissen, dass diese sich in keiner Weise dokumentieren lässt.

Ich habe den Eindruck, dass sich in der Haltung des BdV-Vorstandes in den Jahren 1990 bis 1998 eine gewisse Besserung bemerkbar machte. Allerdings gab sich nach 1998 die neue Vorsitzende Erika Steinbach als jemand zu erkennen, der solche Sätze sagte: Polen sei nicht "reif" für den Beitritt zur EU, das Land respektiere die Menschenrechte nicht und halte die gemeinsamen Werte nicht ein. Und all dies, weil Polen den ausgesiedelten Deutschen keine Wiedergutmachung leisten wolle. Polen dürfe nicht der EU beitreten, wenn es nicht die Forderungen des BdV erfülle, usw. Zu behaupten, solche und ähnliche Aussagen seien vom Geist der Friedensbotschaft von 1965 inspiriert, kommt einer Groteske gleich.

Hinzu kommt noch der Vorschlag, in Berlin ein Zentrum gegen Vertreibungen zu bauen. Zweifellos gebührt den aus Breslau oder Oppeln vertriebenen Deutschen unser Mitgefühl. Doch schon im Herbst 1939 wurden Polen aus Wielkopolska [Posen und Umgebung – Anm. der Red.] und aus Oberschlesien vertrieben, dann nach 1944 aus Lemberg und Wilna. In beiden Fällen – bei Deutschen wie bei Polen – war die Ursache für das Leidensdrama der Zivilbevölkerung die Lehre des Nationalsozialismus, dass andere Völker zu verachten seien.

Auf einer Teilwahrheit, die einer historischen Retusche unterzogen wird, kann keine dauernde Einheit Europas gegründet werden. An der Stelle der Berliner Mauer sollten heute keine neuen psychologischen Mauern errichtet werden, in denen Berlin [als Sitz eines Zentrums gegen Vertreibungen – Anm. der Red.] erneut zum Symbol der Teilung wird. Wir sollten den Nationalsozialismus nicht durch einen National-Narzismus ersetzen, in dem nur die Leiden des eigenen Volkes wahrgenommen werden.

Erika Steinbach wiederholt des öfteren, dass Polen die Menschenrechte nicht achte und begründet dies damit, dass Polen den deutschen Vertriebenen keine materielle Wiedergutmachung leisten wolle. Vielen Deutschen erscheint dieses Denken logisch. Was denken Sie, Herr Erzbischof, über eine solche Definition der Menschenrechte?

Ich kenne keine Menschenrechtskonzeption, die eine finanzielle Entschädigung für Vertreter eines Volkes fordern würde, das immerhin einen Krieg entfesselt hat. Wir haben es hier mit einer Privatversion von Menschenrechten zu tun, die mit der Praxis in zivilisierten Gesellschaften nichts zu tun hat.

Anhänger dieser Version finden sich sicher unter jenen, denen man materielle Wiedergutmachung versprochen hat. Ich befürchte jedoch, dass diese Konzeption auch der biblischen Perspektive völlig fremd ist.
Kain, seines Dramas durchaus bewusst, verfiel nie auf die Idee, materielle Entschädigung für den Schaden zu fordern, den er letztendlich durch den Tod Abels erlitt....

Der Anwalt Erika Steinbachs verweist auch auf die Segenswünsche, die das Staatssekretariat des Vatikans im Namen des Papstes an die Teilnehmer des "Tages der Heimat" 2003 geschickt hatte. Unterstützt also Papst Johannes Paul II. den Bund der Vertriebenen und die Idee eines Zentrums gegen Vertreibungen? Zumindest schien Steinbach diesen Eindruck erwecken zu wollen, als sie den päpstlichen Segenswunsch in Berlin auf dem "Tag der Heimat" verlas.

Gestern habe ich einen Brief an den Heiligen Vater vorbereitet, in dem ich ihn um seinen Segen für die Hochschulrektoren bitte, die Ende April zu einem Weltkongress nach Lublin kommen. Ich hoffe, dass keiner von diesen Rektoren sich später auf diesen päpstlichen Segen berufen wird, sollte er an seiner Universität an irgendeinem inneren Streit teilnehmen...

Sollte er das doch tun, wäre das eine beunruhigende Instrumentalisierung des geistlichen Bundes mit Johannes Paul II. So wie im Fall des Briefes, der im Herbst 2003 nach Berlin gesandt wurde.

Professor JÓZEF ZYCINSKI (geb. 1948), Philosoph und Theologe, seit 1997 Erzbischof von Lublin (Ostpolen), ist Kanzler der Katholischen Universität Lublin und Mitglied der Ständigen Kommission Staat-Kirche (in Warschau), sowie der Versammlung der Bischöfe Europas (Synod Biskupów Europy). Aktiv im deutsch-polnischen kirchlichen Dialog.
Zycinski ist auch Mitglied der Kongregation für die Katholischen Erziehung in Rom sowie des Päpstlichen Rates für Kultur im Vatikan.
Autor mehrerer Bücher (die in Polen, Deutschland und englischsprachigen Ländern erschienen sind) über Philosophie und den Dialog zwischen dem Christentum und der zeitgenössischen Wissenschaft.

Die zwölf Aktenordner der Gabriele Lesser
Offener Brief: Solidarität mit Gabriele Lesser

hagalil.com 30-05-2004

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