Unterwegs nach Europa:
Rassenwahn
Von Haydar Isik, Schriftsteller, 12.April 04
“Der Bart kann so lang wie eine Handspanne werden, aber
niemals ein Feind ein Freund werden!“ sagt ein kurdischer Spruch. Es ist
doch etwas daran: Wenn man Rassentheorie sät, erntet man niemals Demokratie.
Als ich im Jahre 1974 nach München kam, und begann,
Deutsch zu lernen, fragte ich aus Neugier meinen Bekannte, ob sie von dem
Massaker an den Juden in Deutschland gehört hatten. Meine Deutschlehrerin
sagte, dass sie und ihre Eltern nicht wussten, dass es Konzentrationslager
gab. Ich war mit solchen Antworten nicht zufrieden, weil ich es absurd fand,
dass jemand, der in der Umgebung des KZ-Dachau wohnte, nichts sehen, nichts
hören konnte!
Ich war neugierig, weil ich die Leugnung von Völkermord
aus der Türkei kenne, wo Massaker an Armeniern, Assyrern und Kurden
abgestritten werden. Ich wollte die beiden Gesellschaften vergleichen, was
sie denken. Ob man sich hier auch wie in der Türkei verhält. Später, als ich
privat Kontakte mit Familien der Kollegen bekam, hat ein Ehemann einer
Kollegin beim Essen ganz laut gesagt, dass er ein Nazi sei. Dann sah ich bei
einer Wohnungsübernahme im Schrank eines Lehrers SS Uniformen. Als ich von
einem Mathematiklehrer im Lehrerzimmer in einer Realschule hörte, dass er
gerne Nazi sei, dachte ich an einen kurdischen Spruch: “Der Feind
deines Vaters wird nicht dein Freund.“ Also, wenn ein Lehrer, der die
Generationen demokratisch erziehen muss, sich so rühmt, oder die Uniform
eines Mörders sorgfältig aufbewahrt, wird bei mir der Eindruck erweckt, dass
in diesem Land die Schatten der Rassenideologie noch vorhanden sind.
Ich beobachtete neben sehr guten, demokratisch gesinnten
Kolleginnen und Kollegen auch welche, die den Ausländerkindern gegenüber
sehr negativ standen. Wenn meine türkischen Schüler nach mediterraner
Mentalität laut sprachen, irgend einen kindischen Blödsinn machten, fühlten
diese Kollegen sich eingeengt und gestört. Als ob dieses türkische Geräusch,
das sie hörten, eine Urwald-Sprache und nicht zivilisiert sei. In der Schule
sahen sie die Förderung der Ausländerkinder als eine Belastung der
Staatkasse an. “Statt ein Ausländerkind könnte man drei Deutschen fördern,“
sagten sie. Wenn die Ausländerkinder faul waren, war es schlimm. Wenn sie
nicht richtig antworteten, wurden sie belächelt, wenn sie intelligent waren,
wurde dies nicht honoriert. Ausländerkinder waren ihnen ein Dorn im Auge,
sie wurden nicht als Menschen betrachtet, nur als Fremdkörper, die die
zivile fortschrittliche deutsche Gesellschaft störten.
Sicherlich habe ich sehr gewissenhafte Kollegen gekannt,
die ihren Schülern den Hitlerfaschismus sehr gut vorbereitet nahegebracht
hatten. Aber ich habe auch Lehrer beobachten können, die dieses Kapitel ans
Ende des Schuljahres verschoben, und alles daran setzten, es nicht
unterrichten zu müssen. Auch KZ-Besuche waren nicht gut und strukturell
vorbereitet. Mehrere Male habe ich Schüler beobachten können, die vor den
grausamen Bilder völlig unbeeindruckt blieben und selbst bei den
Filmvorführungen noch laut lachten.
Ich fand es jedes Mal Schade für die deutsche
Gesellschaft, dass sie, die anderen Völkern beim technischen Know how und
Wissen sehr überlegen ist, diese dunklen Schatten des Faschismus noch
nicht beseitigt hat. Mag sein, dass für die öffentliche Politik
Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit nicht erwünscht sind, aber da in
der Gesellschaft noch diese Tendenzen vorhanden sind, müsste noch mehr
dagegen getan werden. Man sagt bei uns “Tausend Freunde sind wenig, aber ein
Feind ist zu viel.“
Die Türken schreiben an die Berghänge Kurdistans: “Sei
stolz Türke sein zu dürfen!“ oder “Ein Türke ist groß wie das Universum!“
usw. Diese faschisto-türkischen Sprüche füllen den Geist der türkischen
Gesellschaft. Die Staatsideologie der Türkei-Kemalismus basiert nur auf
einem Volk, einer Nation, einer Religion, einer Sprache und einem Staat.
Hitler Faschismus hat von dieser Ideologie viel gelernt, um sein Verbrechen
am jüdischen Volk zu begehen. Die türkische Rassenideologie leugnet 15-20
Millionen Kurden und versucht trotzdem in die EU kommen. Statt dass die
EU-Politiker der Türkei vorschreiben, die demokratische Öffnungen zu machen,
lassen sie sich gerne durch gefälschte Informationen beeindrucken und
verboten die demokratisch gesinnte und nach Westen orientierte größte
kurdische Bewegung - den VOLKSKONGRESS KURDISTAN (KONGRA GEL). Wenn die
Türkei mit ihrer jetzigen Form des Militarismus, Pantürkismus und
Panislamismus in die EU kommen würde, würde sie die Rassenideologie in der
EU stärken. Dieser militante Geist der Türkei würde die gewonnenen
demokratischen Werte der Europäer negativ beeinflussen.
Außerdem ist die Türkei niemals stabil, da sie das
Kurdenproblem nicht politisch gelöst hat. Premier Minister Erdogan sagt:
“Wenn man nicht daran denkt, gibt es auch kein Kurdenproblem.“ Wenn die
Europäer tatsächlich an der Aufnahme der Türkei interessiert sind, müssen
sie erst das Kurdenproblem lösen. Sonst wird, wie in der Türkei, auch die
Stabilität der EU gestört. Wenn ein Land die Rassenideologie zu ihre
Staatsideologie macht, wird das weder in ihrem Land noch in Europa zur
Stabilität verhelfen.
hagalil.com
11-04-2004 |