
Die Bedrohung durch das Fremde:
"Wir haben zu viel Angst vor Aggressivität"
"Wer von sich sagt, ich habe keine Ressentiments,
der lügt", meint der Psychoanalytiker Jürgen Körner. Das Fremde
beispielsweise bedroht uns, weil es uns in Frage stellt. "Wir müssen
sagen können, dass wir Angst voreinander haben und was wir ablehnen"
taz: Professor Jürgen Körner, was ist für sie als
Psychoanalytiker ein Ressentiment?
Jürgen Körner: Ressentiment ist der Ausdruck eines
Bedrohungsgefühls. Es ist der Verdacht, dass mir der andere böse
gesonnen ist. Dabei ist das Ressentiment nur zum Teil gespeist aus
Informationen über den anderen. Das sind meist Vorurteile, die nur
ein Körnchen Wahrheit enthalten.
Aber das Ressentiment ist doch mehr als ein
Vorurteil. Es kommt viel gefühlvoller daher?
Ja. Es ist ein starkes Gefühl, das das Ressentiment
steuert und ihm seine Wucht und Gefährlichkeit verleiht.
Warum sind wir so anfällig für Ressentiments?
Wir sind umso anfälliger, je unsicherer wir selbst
sind. Wenn wir zum Beispiel Angst haben, dass unsere eigenen
ethischen Grundlagen zu zerfallen drohen, dann fürchten wir uns um
so mehr vor fundamentalistischen Religionen, die sich ihrer so
sicher scheinen.
Wie geht ein Psychoanalytiker mit dem Ressentiment
um?
Wir würden nicht einfach sagen, überprüfen sie doch
mal ihre Haltung, die ist doch nicht begründet. Wir würden nicht
versuchen, den Vorurteilen, mit denen das Ressentiment daherkommt,
zu widersprechen, sondern wir würden fragen: Was sind die Gründe,
dass einer zum Beispiel solche aggressiven Fantasien gegenüber
Ausländern hat? Weshalb fühlt er sich bedroht? Was macht ihn so
unsicher?
Fühlt man sich vom Fremden nicht immer irgendwie
bedroht?
Ja, man fühlt sich vom Fremden bedroht. Und es ist
wirklich gefährlich, so zu tun, als müsste man überhaupt keine Angst
haben. Man hat vor dem Andersartigen immer ein bisschen Angst, weil
es uns - einfach weil es anders ist - in Frage stellt. Und es ist
wichtig, dass man sich diese Angst auch zugesteht.
Welche Funktion hat Fremdenangst in einer
Gesellschaft?
Alle Gruppen, und darüber gibt es sehr viele
Untersuchungen, entwickeln so etwas wie ein Wir-Gefühl: Wir sind
besser als die andere Gruppe. Es ist vollkommen normal, dass jede
Gruppe versucht zu glauben, dass sie in der einen oder anderen
Hinsicht den anderen überlegen ist.
Wie begegnet man solchen Leitkultur-Fantasien? Mit
political correctness?
Das halte ich für völlig falsch, weil es das
eigentliche Problem verleugnet. Wir müssen sagen können, dass wir
Angst voreinander haben. Ressentiment ist verdrängte Angst und ein
Nährboden für Gewalt. Wenn wir unsere Angst vor dem anderen
verdrängen, um so mehr wird es Einzelne oder Gruppen geben, die
diese Angst dann allerdings auf sehr destruktive Weise zum Ausdruck
bringen.
Was wäre konstruktiv?
Mein Wunsch wäre, dass wir unsere Befürchtungen
äußern könnten. Dass wir sagen könnten, wenn wir Angst voreinander
haben oder uns ärgern. Wenn wir es zum Beispiel mittelalterlich
finden, das eine Frau verschleiert sein muss. Darüber kann man doch
sprechen. Das ist viel besser als zu schweigen oder sich einzureden,
man habe keine Vorurteile und keine Angst vor dem anderen. Wer sagt,
ich habe keine Vorurteile, der lügt. Wer sagt, ich habe keine
Ressentiments, der lügt auch.
Warum gestehen wir uns Ressentiments nur schwer zu
oder schämen uns dafür?
Ich glaube, das Problem dieser Gesellschaft ist
nicht, dass wir untereinander zu aggressiv sind, sondern zu
leisetreterisch. Ich fände es gut, wenn wir in den öffentlichen
Räumen streiten könnten und dabei auch laut werden könnten.
Aggressivität gehört zur menschlichen Natur. Und es ist viel besser,
wenn man sie erkennt und damit umzugehen versucht, als wenn man sie
verleugnet und hinter Ritualen von Correctness verbirgt. Aber sie
dann doch verschoben oder heimlich zum Ausdruck bringt. Die Neigung
zur political correctness ist doch ein Ausdruck großer Angst. Dabei
wäre es besser, wir hätten ein bisschen mehr Mut auch laut zu sagen,
was uns am anderen ängstigt und ärgert. Ich glaube, dass diese
Gesellschaft viel zu viel Angst vor Aggressivität hat.
Es gibt ja Leute, die sagen von sich: Ich habe
keinerlei Ressentiments gegenüber anderen Kulturen, gegenüber
Angehörigen anderer Nationen, Hautfarbe und so weiter …
Das ist nicht nur gelogen, es ist außerdem eine
Selbstüberforderung. Sich kennen zu lernen ist sehr gut, aber man
muss sich auch zugestehen, dass man misstrauisch ist, eine Zeit
braucht, um sich aneinander zu gewöhnen, und dass man sich an
bestimmte Dinge auch nicht gewöhnen will. Ich glaube, mehr Offenheit
im Umgang, mehr Streitkultur würden sehr helfen.
Ein bisschen guter Wille, Toleranz und Verständnis
reicht also nicht?
Da bin ich skeptisch. Natürlich müssen wir
akzeptieren, dass es ganz andere Wertorientierungen gibt. Aber es
wäre gut, wir würden unsere Befürchtungen darüber, unsere Angst vor
dem anderen zum Ausdruck bringen können. Wenn die Angst
ausgesprochen ist, dann ist sie nicht mehr so gefährlich. Die
gefährliche Angst ist die, die wir nicht haben dürfen. Sie
unterfüttert das Ressentiment.
INTERVIEW: EDITH KRESTA
Der Psychologe Jürgen Körner ist Professor für
Erziehungswissenschaft an der Freien Universität in Berlin und
Psychoanalytiker.
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haGalil onLine 02-03-2004 |