Und dennoch:
Warum wurde Jassin getötet?
Aus einem Leitartikel der Jedioth achronoth
Eine Meinungsumfrage, deren Ergebnisse gestern hier
veröffentlicht wurde, ergab, dass 60% der Bürger Israels die Liquidierung
von Scheich Jassin befürworten, und 80% glauben, dass der Terror dadurch
zunehmen werde. Es wurde nicht gefragt, welchen Nutzen die Tötung erbringen
wird, aber es ist klar, dass die Mehrheit nicht an irgendeinen Nutzen
glaubt. Unsere Regierenden helfen
uns auch nicht dabei, die Logik der Maßnahme zu begreifen. Sie lieferten uns
zwei zweifelhafte Erklärungen, und die Kommentatoren bombardierten uns
ebenfalls mit zahlreichen Gründen.
Eine Erklärung, die in ihrer Einfachheit fast überzeugt, stammt von Ariel
Sharon: Die Tötung eines Mannes, der uns töten will, sei eine natürliche
Angelegenheit. So müsse sich eine Nation verhalten, die ihre existenzielle
Instinkte nicht verloren hat, und es müssen keine komplizierteren
Erklärungen abgegeben werden.
Die zweite Erklärung lieferten Netanjahu und Ja’alon: Wenn sie wissen, dass
sie sterblich sind, werden die Führer der Terrororganisationen zögern,
Anschläge anzuordnen.
Diese Annahme wird ununterbrochen widerlegt, und auch die Umfragen zeigen,
dass niemand an diese Erklärung glaubt. Zuerst haben wir „tickende
Zeitbomben“ getötet, danach Planer von Anschlägen, danach Politiker, die
eventuell auch Terroraktivisten sind und zuletzt haben wir dann beschlossen,
dass auch hohe Politiker nicht immun sind. Ja’alon, der an die Logik seiner
Methode glaubt, deutete gestern sogar an, dass die Raketen auch immer näher
an Arafat und Nasrallah heranrücken. Dabei gibt es doch keinerlei Hinweise
darauf, dass die Tötung der Leiter der Terrororganisationen eine
Abschreckung für ihre Erben ist.
Beeinflussen die Drohungen von Hamas gegen israelische Politiker etwa die
israelische Politik? Hat die Ermordung von Minister Rachveam Se’evi die
Regierung gemäßigt? Angst kann Fanatiker nicht beeinflussen.
Eine andere Erklärung stammt von „Sicherheitsstellen“: Hamas wird immer
stärker, die PA immer schwächer. Da es keine Möglichkeit gibt, mit Hamas zu
sprechen oder stillschweigende Übereinkünfte zu treffen, muss sie vor dem
Rückzug aus Gaza geschwächt werden. Die Liquidierung Jassins könnte
bewirken, dass die Bewegung ohne charismatischen Führer bleibt, sie in einen
Erbkrieg stürzen und ihre Rivalen stärken. Die bisherigen Ereignisse nach
der Liquidierung zeigen, dass diese Prognosen nicht zutreffen. Der tote
Jassin ist noch stärker als der lebendige.
Wenn die Regierung uns offen und ehrlich erklärt hätte, welche Motive sie
bei dem Beschluss, Jassin zu töten, geleitet haben, was sie sich erhofft hat
und was den Ausschlag dazu gegeben hat, dann hätten wir ihre Meinung teilen
können oder auch nicht, aber zumindest hätten wir uns wie Partner bei der
Bestimmung unseres eigenen Schicksals gefühlt. Aber es wurde uns kein
einziger klarer und überzeugender Grund genannt und wir wissen nicht, wie
sich die Tötung mit der Vision von einer politischen Regelung mit den
Palästinensern vereinbaren lässt, wie effektiv sie für unsere Sicherheit ist
und welche Gefahren sie birgt.
Mit ihrem Schweigen und ihren dummen Erklärungen demütigt die Regierung die
Bürger und versetzt sie in eine fatale Stimmung, die ihr Durchhaltevermögen
schwächt.
hagalil.com 25-03-2004 |