Viele Tote später:
Sharon ist auf den Tempelberg zurückgekehrt
Jossi Beilin in M'ariw
Am Morgen des 23-03-2004 begann um 5 Uhr 30 in jedem Haus
in Israel der Countdown für den nächsten palästinensischen Anschlag. Es
stimmt schon, eine Welt ohne Scheich Jassin ist eine bessere Welt, aber sie
ist auf keinen Fall eine sicherere Welt. Die Angst vor einem Vergeltungsakt
hat sich bereits auf das Verhalten der Bürger Israels und der Juden in aller
Welt ausgewirkt.
Glaubt wirklich irgendjemand, der Terror werde mit der Liquidierung des
Mannes, der sich bis vor Kurzem in israelischer Hand befand und von der
Netanjahu-Regierung auf freien Fuß gesetzt wurde, beseitigt oder reduziert?
Dieselbe Regierung behauptete doch, falls der kranke Jassin in einem
israelischen Gefängnis sterben würde, wäre die ganze arabische Welt gegen
uns. Glaubt die jetzige rechte Regierung, eine Liquidierung dieses Mannes
hätte gemäßigtere Reaktionen zur Folge?
Sharon kehrte auf den Tempelberg zurück, und wie damals ging er ein
unüberlegtes Risiko ein, mit dem er die Sicherheit der Israelis stark
beeinträchtigt. In seiner Regierung sitzen heute Leute, die genauso denken
wie ich, ihn jedoch unterstützen, nur um ihre Stühle zu behalten. Sie werden
sich genauso für die Ergebnisse der Politik Sharons verantworten müssen, wie
Sharon selbst.
Nur eine Rückkehr Sharons zum Verhandlungstisch, den er in den 38 Monaten
seiner Amtszeit völlig meidet, begleitet von einem echten Kampf gegen den
Terror, der nicht durch Provokationen wie der gestrigen zum Ausdruck kommt,
können uns zur Normalität zurückbringen.
Die Liquidierung Jassins vereinte das palästinensische Lager. Die Trauer um
seinen Tod ist aus Sicht der arabischen Öffentlichkeit keine echte Trauer.
Viele betrachten ihn so, wie er von den Israelis betrachtet wurde: als
radikalen, grausamen, dogmatischen Mann, voll Hass und Hetze. Aber in
Momenten wie diesen gibt es selbst unter seinen Feinden ein Gefühl der
Solidarität. Das ist das letzte, was Israel jetzt braucht.
Das echte nationale Interesse Israels ist es, eine Koalition der Vernunft zu
bilden. Von der Art, die den Oslo-Prozess und die Genfer Initiative
hervorbrachte. Nur eine Differenzierung zwischen pragmatischen Leuten auf
der palästinensischen Seite, die ein normales Leben führen wollen, und
Radikalen, die bereit sind, ihre Kinder zu opfern, wird eine politische
Regelung in unserer Region ermöglichen. Es ist noch nicht alles verloren.
Israel Nachrichten [nahost-politik.de]
hagalil.com 25-03-2004 |