Gleichgültig? Unerfahren? Hilflos?
Antisemitismus und neue Medien
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David Gall
Über antisemitische Hetze in den mittlerweile nicht mehr
ganz so "neuen Medien" wurde im Laufe der letzten 10 Jahre viel geschrieben,
viel diskutiert, viel lamentiert. Viele Gründe wurden dafür angeführt, weshalb
man so wenig gegen diese Flut der Hetze unternehmen könne. Einige Vorschläge zur
Eindämmung wurden im Rahmen hochkarätig besetzter Konferenzen diskutiert und
verworfen, andere wurden weiter verfolgt und irgendwann ad acta gelegt, an
wieder anderen wird noch immer gefeilt. An die regelmäßigen Meldungen der
Staatsschutzorgane über immer bedrohlichere Zuwachsraten der sogenannten
"Hass-Seiten" und die zunehmende Hemmungslosigkeit der Hetzer, hat man sich
gewöhnt.
Während der sogenannte "Aufstand der Anständigen" Zivilcourage und
zivilgesellschaftliches Engagement fördern wollte, fanden in der Diskussion um
die zunehmende "Volksverhetzung" nur obrigkeitsstaatliche Maßnahmen Gehör.
Beispielsweise sollte die UNO einen weltweiten Wertekonsens durchsetzen. Ein
Vorschlag der vor dem 11.September vielleicht noch als "gut gemeint" hätte
belächelt werden können, der im Nachhinein aber nur noch ein erschreckendes
Unvermögen die technischen und thematischen Realitäten wahrzunehmen
dokumentiert.
Das Internet ist international. Die Hetze wird in allen Sprachen
weltweit verbreitet. Betrachten wir das Hauptthema der Hetze, die Juden und den
Staat Israel, dann hätte es auch schon vor der "zweiten Intifada" und dem
11.September klar sein müssen, dass hier kaum mit einem Konsens zu rechnen sein
dürfte. Dieser hätte ja festlegen und durchsetzen müssen, was über Juden und
Israel gesagt und verbreitet werden dürfte, und dies nicht nur am Bodensee,
sondern auch in Malaysia, in Durban, in Budapest oder Riad.
Diskussionen in diesem Bereich sollten weniger davon ausgehen, was vielleicht
wünschenswert wäre, als vielmehr davon, was überhaupt machbar ist. Auf weitere
"Patentlösungen", wie Filtersoftware, Positiv- und Negativlisten, Auswahl-CDs,
Kontrolle durch Providerfirmen etc. will ich deshalb nicht wieder eingehen und
stattdessen ihre Aufmerksamkeit nutzen um ihnen ein nachweislich und nachhaltig
erfolgreiches Modell vorzustellen. Ein sehr einfaches und vielfältig nutzbares
Modell. Vielleicht gerade deshalb so erfolgreich, weil es von Anfang an nicht
gegen etwas aufgebaut, sondern für etwas aufgebaut wurde. Um es ganz
einfach in einen Satz zu packen: "Wir haben weniger gegen die Lüge gearbeitet
als vielmehr für die Wahrheit". Wir waren nicht gegen die Einfalt, sondern haben
die Vielfalt mitgestaltet.
Als
wir unsere Arbeit begannen, war Jizhak Rabin bereits ermordet, der
Friedensprozess aber noch nicht zusammengebrochen. Die Hamas sammelte schon
Gelder in Europa, von Al-Kaida hatte aber noch niemand gehört. Horst Mahler
schrieb schon alles, was wir heute auch in der saudischen Presse lesen
können. In Brandenburg gab es schon national-befreite Zonen und in Rostock
brannte das Sonnenblumenhaus. Vom WTC konnte man die halbe Welt sehen und
die war damals noch bunter, von Nuancen zu reden war noch
selbstverständlicher.
Klar, für Antisemiten war die Welt schon immer schwarz und weiß und alle
Probleme der Welt haben nur eine einzige Ursache - die Juden. Die
Weltwirtschaft wird vom jüdischen Kapital geknechtet, der Weltfrieden vom
Judenstaat bedroht. Auch wenn es hoffnungslos erscheint, gegen all diese
uralten und abgrundtief dummen Hassparolen vorzugehen - gewähren lassen kann
man die Hetzer nicht.
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Antisemitismus ist das zentrale Merkmal
fundamental-nationalistischer Weltanschauung und damit Bindemittel
unterschiedlichster Bewegungen.
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Antisemitische Propaganda im Internet ist
viel gefährlicher, als die bisher üblichen Propagandamittel. |
Um die Gegenmaßnahmen von haGalil gegen die Verbreitung
antisemitischer Hetze verständlich zu machen, möchte ich zunächst zwei Thesen
zur antisemitischen Propaganda im Allgemeinen und in den neuen Medien im
Besonderen vortragen:
Dass antisemitische Stimmungen weit in die sogenannte Mitte der Gesellschaft
hinein reichen, zeigt sich schon seit vielen Jahren, in der letzten Zeit aber
immer deutlicher, als beispielsweise eine österreichische Regierungspartei beim
Wiener Kommunalwahlkampf ganz gezielt auf antisemitische Stimmungen gesetzt hat,
oder als Jürgen Möllemann im Bundestagswahlkampf 2002 mit seinen Flugblättern
ähnliches tat. Spätestens nachdem haGalil onLine Ende 2003 auf die
antisemitische Rede des CDU-MdB
Hohmann hingewiesen hatte,
sollte auch der letzte begreifen, dass mittlerweile auch stundenlange
antisemitische Tiraden auf öffentlichen Veranstaltungen einer demokratischen
Volkspartei widerspruchslos hingenommen werden.
Antisemitismus ist das zentrale Merkmal
fundamental-nationalistischer Weltanschauung und damit Bindemittel
unterschiedlichster Bewegungen, von Pamjat in Russland
bis zum Ku-Klux-Klan in Amerika, von christlich-arischen Allianzen und
islamistischen Fundamentalisten. Diese Tatsache wird inzwischen oft genug und
deutlich zur Schau gestellt, wenn z.B. Horst Mahler die Anschläge der Al-Kaida
auf das World Trade Center bejubelt. Auf den Internet-Seiten all dieser
Organisationen nimmt der Antisemitismus seit vielen Jahren eine immer
dominantere und immer aggressivere Stellung ein.
Im vergangenen Jahr mussten wir auf die Tatsache, dass
antisemitische Gewalttäter in Komplizenschaft mit der schweigenden Mehrheit
heute - in aller Öffentlichkeit - wieder Existenzen ruinieren können, am
Beispiel eines koscheren
Lebensmittelgeschäfts hinweisen. Dass solche Ereignisse ohne die
ehrenamtliche Arbeit eines jüdischen Onlinedienstes gar nicht ins öffentliche
Bewusstsein gelangt wären, macht das ganze Ausmaß von Gleichgültigkeit und
Verdrängung erst recht deutlich.
Wie immer im Leben lässt sich aber auch aus diesen
beunruhigenden Tatsachen ein "positiver Aspekt" folgern: Je zentraler die
Bedeutung der antisemitisch-antizionistischen Konstrukte im ideologischen
Fundament einer Bewegung, um so nachhaltiger ist sie in ihren Grundfesten zu
erschüttern, wenn es gelingt, diese Propaganda als Wahngebilde zu entlarven.
Wie hemmungslos auch die dümmsten Hetzschriften immer wieder
angeboten und auch angenommen werden, zeigt sich ganz besonders deutlich in den
neuen Medien. Seit Mitte der 90er Jahre wird es immer offensichtlicher, dass
antisemitische Propaganda im Internet, viel gefährlicher ist, als die bisher
üblichen Propagandamittel (Zeitungen,
Flugblätter und NPD-Vorträge in irgendwelchen Hinterzimmern). Die Erklärung
dafür ist einfach: Über relevante Stichworte ist es im Internet möglich, völlig
"unbedarfte Leser" zu erreichen, zum Beispiel einen Schüler, der ein Referat zum
Thema "jüdische
Feiertage" schreiben muss.
Diese Entwicklungen werden auch heute, im Jahre 2004, noch
immer viel zu wenig ernst genommen. Noch viel weniger wahr genommen wird aber
auch, dass wir nicht hilflos, ahnungslos und fassungslos dastehen, sondern sehr
viel tun können. Wir haben in den letzten Jahren verschiedene Lösungsansätze,
die sich in drei Gruppen zusammenfassen lassen, entwickelt:
- - - Am wichtigsten ist uns die
Schaffung
eines massiven Gegengewichts durch aufklärende Inhalte, das heißt
Wahrheit gegen Lüge und Hass. Der NPD-Anwalt Horst Mahler, um nur ein Beispiel
zu nennen, sieht den Hauptfeind des Deutschtums inzwischen nicht mehr in der
"jüdischen Rasse", sondern in der jüdischen Religion. Dementsprechend finden wir
auf den einschlägigen Seiten eine unglaubliche Menge an Artikeln die sich mit
dem "Judentum" befassen – beziehungsweise dem, was Mahler und seine Kollegen (im
weitesten Sinne) dafür halten.
Wenn wir nun einhundert unserer Seiten gegen eine dieser Seiten setzen - zum
Beispiel zum harmlos erscheinenden Thema "jüdische Feiertage", dann liegen die
Chancen eines Schülers, auf der Suche nach Informationen zu seinem Referat bei
haGalil onLine anstatt auf den Nazi-Seiten zu landen bei 100:1.
Information und Aufklärung darf aber nicht Gegenpropaganda sein. Sie muss das
Denken anregen, nicht vorschreiben. Widersprüche und Diskussionen, Facetten und
Pluralismus sind nicht Mittel zum Zweck, sondern Weg und Ziel.
Bestechend an diesem absolut einfachen Ansatz ist, dass der "inhaltliche
Schutzwall" unabhängig von allen Schwachpunkten der bisher von offizieller Seite
angedachten Strategien funktioniert, denn das Verhältnis 100:1 bleibt effektiv
auch ohne den in der "Berliner
Erklärung" des Justizministeriums erhofften weltweiten Wertekonsens. Es
wird auch bestehen bleiben, nachdem sich die vielleicht irgendwann einmal
installierten Filterprogramme als wirkungslos - da umgehbar - erwiesen haben
werden und selbst im Falle, dass antisemitische Hetze einmal straffrei sein
sollte – was ich vorerst nicht annehme - , wird diese "Blockade" weiter
funktionieren.
- - - Unser zweiter Ansatz nutzt die
kommunikativen
Möglichkeiten eines lebendigen Onlinedienstes, denn die beste
Vorraussetzung für Verständigung sind Begegnung und authentische Information.
Wir wissen längst, dass Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit gerade dort am
meisten verbreitet sind, wo die wenigsten Juden leben. Für einen Jugendlichen in
Brandenburg ist haGalil onLine oft die erste und einzige Möglichkeit, mit Juden
in einen Dialog zu treten.
Aus einer Menge von 210.000 Besuchern, jeden Monat, erhalten wir täglich
Dutzende von e-Mails mit Anfragen von Schülern und Lehrern und unsere Foren und
Chats bieten die Möglichkeiten zur Kommunikation der Leser untereinander.
So lernte beispielsweise eine Nazi-Aussteigerin die Vorsitzende einer jüdischen
Gemeinde in Bayern kennen. Gemeinsam gestalteten sie zahlreiche Vorträge an
Schulen und Jugendzentren.
Von vielen werden wir als Anlaufstelle für den Kampf gegen Rechts wahrgenommen
und unsere Ausdauer, gerade auch nach verheerenden Angriffen auf unsere offenen
Foren, ist für viele ein ermutigendes Zeichen in dieser Auseinandersetzung.
- - - Unser dritter Ansatz resultiert aus eben diesen Angriffen: Die
juristische Komponente unserer Arbeit musste
immer weiter ausgebaut und verbessert werden. 1997 haben wir das erste
Meldeformular für NS-Seiten ins Netz gestellt. Im Jahr gehen hier ca.
1.000 Anzeigen ein, und inzwischen ist fast jede dritte Strafanzeige in
Deutschland in diesem Bereich auf eine Meldung über unsere Anlaufstelle
zurückzuführen.
Es geht hier aber nicht nur um Quantität, sondern vor allem um Qualität: Wir
leiten die hier gemachten Beobachtungen unserer Leser nicht einfach an die
Staatsanwaltschaften weiter, sondern führen eigene – oft auch anlassunabhängige
- Ermittlungen zur Täterfeststellung durch und geben den Staatsanwaltschaften
sowohl juristische als auch technische "Nachhilfe", so dass der größte Teil der
über uns erstatteten Anzeigen auch tatsächlich zu einer Verurteilung führt. Es
sind keine neuen Gesetze notwendig, die Anwendung der bestehenden würde bereits
ausreichen.
Grundsätzlich lässt sich zusammenfassen, dass Antisemitismus, Antizionismus,
Hass und Demokratiefeindlichkeit im Internet, im Internet und mit den
Möglichkeiten des Internets bekämpft werden müssen. Wenn wir uns heute
anschauen, welche Effektivität haGalil onLine mit welch geringen Mitteln,
finanziell und personell, erreicht hat, dann besteht durchaus Hoffnung, dass die
Verbreitung fundamentalistisch-nationalistischer Hetze – mit den Mitteln des
Internets – ganz entscheidend behindert werden kann.
Im Vorfeld einer neuen Konferenz, diesmal der OSZE, möchte ich darauf hinweisen,
dass es eine große
Hilfe wäre, wenn die vielen Zuständigen in diesem Land endlich
die unspektakuläre alltägliche Arbeit effektiver Gruppen unterstützen würden.
HaGalil onLine kommt nicht als Hochglanzbroschüre daher und nicht als
pädagogisches Projekt zur theoretischen Konzeption politischer Bildungsarbeit,
sondern ganz einfach als lebendiges und alltägliches und selbstverständliches
Zeichen in einer offenen und vielfarbigen Gesellschaft.
[PRINTVERSION]
dg /
hagalil.com 05-02-2004
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