Juedisches Theater in Hamburg:
Schachar-Geschichte
Teil 1
Am 18.09.98 erlebte das Hamburger
Theaterpublikum im Piccolotheater die Uraufführung der Komödie "Waldo &
Schmerl" und damit eine Premiere besonderer Art: Zwei alte Musiker kamen auf
die Bühne, Waldo und Schmerl, die sich -zum Vergnügen des Publikums- nach
allen Regeln der Kunst beharkten.
Dazu meinte das Hamburger Abendblatt: "Die Welt
ist ein enttäuschender Pups", philosophiert der abgehalfterte Klavierspieler
Waldo, als er merkt, dass es keinen Kaffee mehr gibt. Und auch der Violinist
Schmerl, der noch immer der vermasselten Aufnahmeprüfung bei den Berliner
Philharmonikern nachtrauert, hat seine besten Tage schon lange hinter sich.
Seit 20 Jahren touren die beiden Juden durch die tiefste Provinz, träumen
von Auftritten in Kassel oder Göttingen und sind ansonsten damit
beschäftigt, sich wie ein altes Ehepaar Gemeinheiten um die Ohren zu hauen.
Eines Tages spricht ihnen - anstatt des erhofften Konzertmanagers - der
Messias auf den Anrufbeantworter und beauftragt sie radebrechend mit der
Herstellung des Friedens. "Waldo & Schmerl" im Piccolotheater bietet besten
trockenen Humor und eine faszinierende Zwei-Mann-Performance. Gerd D.
Samariter (er führte auch Regie) und C. A. Richter zeigen auf der kleinen
Bühne höchste Schauspielkunst, verleihen ihren Figuren tiefe Intensität.
Das
Stück des jungen Hamburgers Daniel Haw verbindet Riten der jüdischen
Mythologie mit schnöden Alltagsproblemen zweier älterer Herren. Das hätte
leicht peinlich werden können, ist aber einfach nur wunderbar!
Klaus Witzeling von der Hamburger Morgenpost
kommentierte: "Waldo & Schmerl" warten auf den Messias - bis sie
entdecken: Die Erlösung bringt nur Aufrichtigkeit gegen sich selbst. Das
Piccolotheater hat die Uraufführung von Daniel Haws Komödianten-Disput
wieder im Programm. Die jiddischen Sunny-Boys können nicht miteinander, ohne
einander aber auch nicht. Seit zwanzig Jahren tingeln der "zittrige
Stehgeiger" und der "pathetische Pianoschänder" über die Dörfer. Waldo
(C.A.Richter) und Schmerl (Gerd Samariter) piesacken und kabbeln sich wie
ein altes Ehepaar. Für die in Hamburg entdeckte Künstler-Satire über "zwei
alte Provinzheinis", die einander noch bei der Pessach-Feier die Show
stehlen, interessieren sich jetzt noch andere deutsche Bühnen, darunter das
Theater in Neuss. Mit Recht: Samariter, der auch Regie führt, hat einem
talentierten Hamburger Theaterautoren auf die Sprünge geholfen. Haw
verknüpft wirksam Boulevard-Komik mit tieferem Emst, spielt ironisch mit den
ewigen zwischenmenschlichen Konflikten und dem Problem religiöser Tradition
- egal ob christlich oder jüdisch. Haws Erkenntnis: Die Rettung der Welt
liegt bei uns."
Kurz: "Waldo & Schmerl" war künstlerisch und
wirtschaftlich ein Riesenerfolg für das Piccolotheater, was den Autor des
Stückes in mancherlei Hinsicht nachdenklich stimmte. Er hatte erlebt, wie
Juden und Christen friedlich vereint in den Vorstellungen gesessen und
gemeinsam geschmunzelt und gelacht hatten, manchmal an unterschiedlichen
Stellen, trotzdem immer gemeinschaftlich. Das stimmte den Autor noch
nachdenklicher: War hier nicht, wie im Märchen vom Aschenbrödel, für kurze
Zeit möglich gewesen, was von jüdischer und nicht-jüdischer Seite für
unmöglich gehalten oder mit Vorbehalt auf eine ungewisse Zukunft verschoben
wurde? Der Autor, der sich im Alter von zwanzig Jahren von einem ehemaligen
HJ-Angehörigen die Beschimpfung "Judenlümmel" hatte anhören müssen, und sich
in Paris andererseits die tiefste Missachtung einer Kellnerin des koscheren
Restaurants "Joe Goldenberg" zuzog, weil er es gewagt hatte, sich mit seiner
blonden eindeutig nicht-jüdischen Freundin an den Mittagstisch zu setzen,
fasste kurzerhand einen Entschluss: Entgegen der vorherrschenden Meinung,
auch im Deutschland des einundzwanzigsten Jahrhunderts könne und dürfe es so
etwas wie Normalisierung im Umgang zwischen Juden und Nicht-Juden nicht
geben, entwarf er ein Plakat, das er in allen Schauspielschulen, Studios und
der Hamburger Hochschule der Bildenden Künste aushängte.
Der Text lautete:
An alle jüdischen Kolleginnen und Kollegen und an alle
"Bastarde":
Es ist soweit!
Der Maschiach (Messias) ist zwar noch nicht da, endlich aber das erste
jüdische Theater Hamburgs!
Lasst uns Pioniere sein!
Das SCHACHAR* sucht sein Ensemble!
Seid ihr dabei?
* (hebr.: Schachar) |
Zuvor hatte er - in Anbetracht des nicht
unbedingt theaterfreundlichen Klimas in Hamburg - einen Förderverein
gegründet, der die Aufgabe erfüllen sollte, das aus dem Nichts geborene
Theater wirtschaftlich zu unterstützen. Schon eine Woche nach Haws
Plakataktion meldeten sich die ersten Schauspieler, Musiker und Techniker:
das Ensemble der ersten Stunde war gegründet. Zu ihm gehörte auch der in
Hamburg bekannte Günter Lüdke, der, obwohl kein Jude, perfekt Jiddisch
spricht. Er war in der Debüt-Produktion des Schachars: "MASCHA TOV!" zu
sehen, eine lyrische Revue mit Musik nach Gedichten von Mascha Kaléko. In
diesem Zusammenhang ist Alec Sloutski, der vielseitige und hochkarätige
Violonist und Komponist zu erwähnen, der dieser ersten Produktion den
stimmungsvollen musikalischen Rahmen gab. Neben Musicals aus seiner Feder,
die in Israel uraufgeführt wurden, machte er sich auch als Mitglied des
Tournee-Ensembles von Giora Feidmann einen Namen. Die Premiere von "MASCHA
TOV!" fand am 20.11.98 im Altonaer Stadtteilkulturzentrum HAUS Drei statt.

Das Ensemble der ersten Stunde:
v.l.n.r.: Daniel Haw, Elina Finkel, Karoline Behrendsohn, Alec Sloutski
Nach dem großen Erfolg dieser Revue erhielt das Theater seine erste
Einladung zu einem Gastspiel in Bad Segeberg (Schleswig-Holstein).
1999 folgten in kurzen Abständen die Produktionen:
"AUF HOHER SEE" (Einakter) Slawomir Mrozek
"DIE HÖLLE DER MÄDCHEN - Das Jugendkonzentrationslager Uckermark" (szenische
Lesung mit Musik) Daniel Haw
"...LET´S SING JACOB GERSHWIN" (szenischer Song-Abend mit Liedern von George
Gershwin)
Bis zum Ende des Jahres 1999 bespielte das
Theater Schachar kontinuierlich das HAUS Drei, das Hamburger MONSUN THEATER
und das INFORMATIONSZENTRUM MAHNMAL ST.NIKOLAI. Bereits am Tage der Gründung
des Theater-Fördervereins stand der Zielpunkt der künstlerischen und
wirtschaftlichen Planung des ersten jüdischen Kultur-Projektes in Hamburg
seit 1942 fest: Die Schaffung einer festen Spielstätte und der damit
verbundene kontinuierliche Theaterbetrieb. Seit seinen ersten Gastspielen
war das Schachar dem Altonaer Stadtteilkulturzentrum HAUS Drei sehr
verbunden.

Fortsetzung...
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03-02-2004 |