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Frankreich vor den Regionalparlamentswahlen:
Droht eine neue Serie rechtsextremer Erfolge?

Von Bernard Schmid, Paris

"Wird der 21. März zum 21. April?" Diese Frage wird derzeit gern von Journalisten und Politikern gestellt. Nicht, dass dem französischen Kalender revolutionäre Umwälzungen bevor stünden. Aber am Tag des diesjährigen Frühlingsbeginns werden frankreichweit alle Regional- und ein Teil der Bezirksparlamente neu gewählt ­ im ersten Durchgang, am 28. März findet dann ein zweiter Wahlgang statt.

Der 21. April wiederum verweist auf die Präsidentschaftswahl vor zwei Jahren. Damals waren der bürgerliche Amtsinhaber Jacques Chirac und der rechtsextreme Politiker Jean-Marie Le Pen als bestplatzierte Kandidaten aus dem ersten Wahlgang hervorgegangen. Für viele Franzosen und Französinnen war es ein Schock. Nach zwei Wochen und zahlreichen Demonstrationen konnte sich dann aber in der Stichwahl Präsident Chirac mit über 82 Prozent der Stimmen klar durchsetzen.

Sollte sich das Szenario jetzt in einigen französischen Regionen wiederholen? Daran glauben derzeit einige Beobachter. Noch weiter verbreitet ist jedoch die Annahme, dass die extreme Rechte zumindest hohe Wahlergebnisse in einigen Regionen und im Landesdurchschnitt erzielen werde.

So hatte die Parteien- und Wahlforscherin Nonna Meyer schon vor dem Jahreswechsel öffentlich erklärt, sie rechne damit, dass der Front National "leicht 17 Prozent im landesweiten Durchschnitt" erreichen könne; dies entspräche dem Stimmenanteil von Le Pen 2002. Denn das Klima dafür stehe günstig, angesichts mehrerer Faktoren. Dazu zählt die Abnutzung der regierenden Konservativen angesichts einer weithin als antisozial betrachteten Politik, und gleichzeitig das Ausbleiben einer halbwegs glaubwürdigen Alternative auf der Linken. Dazu gehören ferner die Ängste, die durch die EU-Osterweiterung und die deswegen befürchtete Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ausgelöst werden.

Politische Debatte um die "kulturelle Identität"

Die klarste Parallele zur Konstellation der Präsidentschaftswahl von 2002 zog der Chefredakteur der Pariser Abendzeitung Le Monde, Jean-Marie Colombani. In einem Leitartikel vom 9. Januar dieses Jahres warnte er davor, die Debatte rund um das Gesetz zum Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen ­ das vorige Woche in erster Lesung verabschiedet wurde ­ öffne eine "wahrhafte Büchse der Pandora". Der liberale Journalist sieht die Eile, mit der die Konservativen gesetzgeberisch aktiv wurden, im Zusammenhang mit den anstehenden Regional- und Bezirksparlamentswahlen. Tatsächlich ist diese Verbindung des öfteren auch von konservativen Politikern hergestellt, etwa in Gestalt der Drohung, falls die Gesetzesvorlage nicht in Bälde verabschiedet werde, dann werde Le Pen von der Verzögerung profitieren.

Colombani unterstrich: "Alle haben gesehen, wie der extremen Rechten (2002) das Ausweiden des Themas 'Innere Sicherheit' genutzt hat. Sie wird erneut an Legitimität gewinnen, weil jetzt die Frage der <kulturellen Identität> in den Mittelpunkt der innenpolitischen Debatte gerückt wird." Dem Editorialisten zufolge herrscht dabei ein politisches Kalkül: Bleibe die extreme Rechte als einzige starke Alternative übrig, dann könne das die Konservativen über die Wahlen retten, wie bereits vor zwei Jahren Chirac, dem im Vorfeld niemand eine erfolgreiche Wiederwahl zugetraut hätte. "Dieses politische Kalkül", so fährt der Leitartikel fort, "wirft eine schwerwiegende historische Verantwortung auf."

Auch manche islamistischen Reaktionen in Reaktion auf dieses Gesetz, so möchte man hinzufügen, haben zu dieser kulturellen "Ethnisierung" der innenpolitischen Debatte mit beigetragen. Aber man hätte vielleicht damit rechnen müssen.

Und wenn Le Pen gar nicht kandidieren könnte?

Nicht sicher ist jedoch, ob die extreme Rechte zugleich auch in der Lage sein wird, eine französische Region zu regieren. Diesen Anspruch erhebt sie vorab besonders im südostfranzösischen Paca (Provence ­ Alpes ­ Côte d'Azur), wo der alternde Parteigründer Jean-Marie Le Pen persönlich antreten will, als Direktkandidat im stockreaktionären Nizza sowie als Spitzenkandidat für die Regionalpräsidentschaft in Marseille.

Dabei steht allerdings noch immer nicht fest, ob der FN-Chef überhaupt die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt, um in Südostfrankreich zu kandidieren. Denn dazu müsste er steuerlich in Nizza gemeldet sein. Normalerweise wäre das kein Problem, da es ausreichen würde, die kommunalen Steuern - die in Frankreich auf Wohn- und Geschäftsraum erhoben werden - für das Wahllokal auf seinen Namen abzuführen. Doch die örtlichen Parteifreunde haben angeblich geschlampt - und das Wahllokal nur auf den Namen der Partei eintragen lassen, und nicht auf denjenigen Le Pens, dessen Name allerdings auf dem Mietvertrag steht. Dem Vernehmen nach drohen jetzt innerparteilich deswegen einige Köpfe zu rollen...

Da die örtlichen Finanzbehörden in seinen Augen nicht schnell genug auf die Forderung reagierten, ihm doch noch einen "steuerlichen Wohnsitz" zu bescheinigen, hat Le Pen nun Mitte voriger Woche das örtliche Verwaltungsgericht in Nizza angerufen. Dieses sollte das Finanzamt zur Ausstellung einer entsprechenden Bescheinung zwingen. Doch das Gericht hat am vorigen Samstag (14. Februar) die Klage abgewiesen: Le Pen könne keine Verletzung seiner Grundrechte von solchem Ausmaß geltend machen ­ so die Begründung -, dass sie es rechtfertigen würde, eine Eilentscheidung binnen 48 Stunden zu treffen, wie Le Pen gefordert hatte.

Am Montag (16. Februar) ist der Stichtag für die Anmeldung der Listen, die zu den Regionalparlamentswahlen antreten wollen, abgelaufen. Le Pen hat die FN-Kandidatenliste für die Region Paca bereits am frühen Vormittag in Marseille angemeldet, trotz des fehlenden "steuerlichen Wohnsitz-Nachweises" für seinen Spitzenkandidaten. Jetzt liegt es am Regionalpräkten (dem Vertreter des Zentralstaats bei der Region) in Marseille, Christian Frémont, die Rechtmäßigkeit der Listen zu überprüfen.

Der Regionalpräfekt kann die durch Jean-Marie Le Pen eingereichte Liste - trotz des vorhandenen Mangels - zur Wahl zulassen, er muss es aber nicht. Er kann sie auch wegen mangelnder Eignung des Spitzenkandidaten abweisen, ist dazu aber nicht verpflichtet. Der Regionalpräfekt hat bis zum 27. Februar Zeit, um seinen Ermessensspielraum auszuschöpfen und eine Entscheidung zu treffen. Die politische Tradition besteht darin, dass er binnen 48 Stunden entscheidet, um den Abgewiesenen ggf. Zeit für ein Gerichtsverfahren zu lassen, bevor die Wahlen stattfinden; aber er ist auch dazu nicht verpflichtet. Falls die Ermessensentscheidung zu Ungunsten Le Pens ausfällt und wenn er noch genügend Zeit dafür hat ­ der 27. Februar dürfte dafür zu spät sein - dann kann er noch den Conseil d'Etat dagegen anrufen. Das ist das oberste Verwaltungsgericht in Paris.

Welche Auswirkungen hat die neue "Le Pen-Affäre"?

Am vorigen Freitag hat Le Pen bereits auf Radio France angekündigt: "Wenn man versucht, mich im Morgengrauen am Waldrand zu meucheln, dann wird man meine Schreie bis an's andere Ende des Planeten hören". Wenige Tage zuvor hatte er in der Pariser Abendzeitung Le Monde angekündigt, seine Nichtzulassung zur Wahl würde "einen Skandal mit nationaler Tragweite" darstellen. Und die Sonntagszeitung JDD zitiert ihn am 15. Februar mit den Worten: "Wenn ich daran gehindert werde, in Paca zu kandidieren, dann werde ich nirgendwo antreten, aber überall (= in allen Regionen) Wahlkampf machen".

Trotz allem ist auch bereits ein Nachfolger für Le Pen als Listenführer des FN in der Region im Gespräch: Der (pensionierte) General Louis Martin. Beide Männer hatten sich 1957 in Algier kennen gelernt. Damals war Le Pen freiwillig dienender Offizier im Algerienkrieg, der in den ersten Jahresmonaten 1957 ­ wie in Frankreich inzwischen gerichtlich nachgewiesen ist, das Urteil im letzten Prozess diesbezüglich fiel am 26. Juni 2003 ­ eigenhändig gefangene Angehörige der algerischen Unabhängigkeitsbewegung folterte.

Fraglich ist, ob in einem solchen Fall die vorab verbreitete Aufregung um Le Pens Kandidaturchancen das Abschneiden der Rechtsextremen günstig oder ungünstig beeinflussen wird. Le Pen wird mit der Ansicht zitiert: "Diese neue Verfolgung wird dem FN zwei bis drei Prozent zusätzlich Prozentpunkte einbringen." Der sozialistische Regionalpräsident Michel Vauzelle in Marseille ist gegenteiliger Auffassung und vertritt die Ansicht, der FN in Südostfrankreich werde 2 bis 3 Prozent verlieren, da Le Pen "seine Imkompetenz und seinen Mangel an Voraussicht" unter Beweis gestellt habe. Allerdings ist er auch der Auffassung (so zitiert ihn jedenfalls das Journal du dimanche, JDD), dass Le Pen in Wirklichkeit "das einfache Problem des steuerlichen Wohnsitzes seit langem gelöst" habe.

Auch der konservative Spitzenkandidat in Marseille, Renaud Muselier, vertritt einen ähnlichen Standpunkt: Er könne nicht an "einen solchen Anfängerfehler" seitens von Le Pen glauben. In Wirklichkeit, so meinen verschiedene Politiker (laut dem JDD), habe der Chef des Front National ohnehin "noch andere steuerliche Wohnsitze" in der Region, als jenen im Wahlkampflokal von Nizza. Es handele sich lediglich um eine Inszenierung, mit dem Ziel, dass man möglichst viel von und über Le Pen rede.

Noch einmal sei das JDD zitiert: "Einzige Sicherheit: Diese 'Affäre' erlaubt es ihm (Le Pen), die Aufmerksamkeit in diesem Wahlkampf zu monopolisieren".

Tatsächlich: Einmal mehr versucht der rechtsextreme Politiker sich als Opfer der Machenschaften des Systems in Pose zu werfen. Bereits 2002 hatte auch das zu seinem Erfolgsrezept gehört ­ damals hatte er Schwierigkeiten dabei gehabt, die 500 Unterschriften von Mandatsträgern zusammen zu bekommen, die für eine Präsidentschaftskandidatur erforderlich sind. Das hatte ihm auch erlaubt, im März/April 2002 Wochen lang im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit zu stehen, kurz vor dem Wahltermin am 21. April...

Die Pariser Abendzeitung Le Monde übertitelt deswegen ihre Dienstagsausgabe: "Welches Spiel treibt Le Pen?" Und eine daneben stehende Karikatur zeigt Jean-Marie Le Pen, der eine Wahlurne schüttelt, nebst einer Sprechblase mit den Worten: "Dieses Mal ist es wirklich wahr: Es ist ein Komplott!" (Gemeint ist einmal mehr: "Ein Komplott gegen mich"...) Daneben steht ein altes Mütterchen, das dazu nur meint: "Schon wieder?"

Dennoch wäre es möglicherweise politisch riskant, würde Le Pen aus formal-administrativen Gründen vom Urnengang ausgeschlossen. Da Le Pen bereits mehrfach in der südostfranzösischen Paca-Region kandidiert hat, beispielsweise bei den Parlamentswahlen 1993 (in Nizza) und bei den Regionalparlamentswahlen 1998, wäre es vielleicht nicht für alle WählerInnen einsichtig, warum er dieses Mal der Wahl fernbleiben sollte. Vielleicht wären manche Wähler bereit, an Le Pens These zu glauben, es habe "Anordnungen aus dem Elysée-Palast" an die örtliche Verwaltung gegeben. Aber vielleicht geht diese Rechnung auch doch nicht auf, weil die Kampagne gar zu abgeschmackt wirkt...

Allgemein: Das Klima ist günstig für die extreme Rechte

Das Klima erscheint günstig für den Front National, dessen Umfragewerte tatsächlich steigen und bereits die 15-Prozent-Marke überschritten haben. In den Umfragen für die Pariser Abendzeitung Le Monde etwa kletterte der FN Anfang Februar von vorher 14 auf 15,5 Prozent. Dabei ist die extreme Rechte in den Vorwahlumfragen normalerweise unterbewertet, da viele ihrer Anhänger "Journalisten" (inklusive BefragerInnen) grundsätzlich nicht über den Weg trauen, oder sich aus anderen Gründen nicht offen zu ihrem Votum bekennen.

Nachdem die "Kopftuch"-Debatte seit Anfang Dezember fast alle sonstigen innenpolitischen Diskussionen überlagert hatte, kommt nun auch ein zweites Thema dem Front National entgegen, ohne dass er sich selbst anstrengen müsste, es in die Köpfe zu hämmern.

Ganz Frankreich hat in den letzten zwei Wochen den Atem angehalten, um zu verfolgen, wie der frühere Premierminister Alain Juppé von einem Gericht in Nanterre wegen der Organisierung eines Korruptionssystems verurteilt wurde - woraufhin seine konservativen Parteifreund ein Rührstück rund um das "Justizopfer" inszenierten und die Richter offen herausforderten. Sogar Tränen flossen. Premierminister Jean-Pierre Raffarin hatte öffentlich gewünscht, im Berufungsverfahren in einigen Monaten vor einem Versailler Gericht möge "das Urteil anders ausfallen", was eine offene Einmischung der Exekutive in die Angelegenheit der Judikative darstellt. Justizminister Dominique Perben soll, wie über die Presse ruchbar geworden ist, seinerseits bereits die Möglichkeiten zu einem Freispruch im Berufungsverfahren eruiert haben.

Und die Spatzen pfeifen von den Dächern, dass der bisher als kalter Technokrat verschmähte Juppé derzeit nur deswegen von seinen UMP-Parteifreunden umhätschelt wird, weil es gilt, seinen früheren Vorgesetzen im Pariser Rathaus zu schützen: einen gewissen Jacques Chirac. In dessen Interesse hatte damals der Filz aus privaten Unternehmen, die aus dem fetten Kuchen der Pariser Steuergelder genährt wurden, neogaullistischer Partei ­ die dabei die nötigen illegalen Spenden einsammelte, um die Chirac'schen Ambitionen auf das höchste Staatsamt mit einer Wahlkampfmaschinerie auszustatten ­ und "Chirac-Clan" funktioniert.

Deswegen braucht die rechtsextreme Partei gar nicht mehr extra laut "Korruption" zu rufen. Dabei ist es ein altes strategisches Ziel der extremen Rechten, die politische Debatte auf eine solche Schlammschlacht (der angeblich "Sauberen" gegen die "Korrupten"; auch wenn es innerhalb der rechtsextremen Partei selbst oft sehr vetternwirtschaftsmäßig zugeht) zu reduzieren. Handelt es sich doch um ein allerbestes, wenngleich "billiges", populistisches Schmiermittel...

Marine Le Pen auf Charme-Tournee im Raum Paris

Die Tochter des alternden Parteigründers ­ er wurde im Juni vorigen Jahres bereits 75 - , die ehemalige Anwältin Marine Le Pen, macht unterdessen ihren ersten "eigenen" Wahlkampf in der Ile-de-France (der Hauptstadtregion, also in und rund um Paris).

Am vorigen Freitag, dem 13. Februar sollte die Wahlkämpferin etwa vom Arbeitgeberverband Medef der Region Ile-de-France offiziell empfangen werden; der Medef ist landesweit der mit Abstand größte, zentrale Unternehmerverband. Vorgesehen war, dass sie dabei von Jean-Michel Dubois, der sich beim FN um die mittelständischen Unternehmer kümmert, und den ultra-wirtschaftsliberalen Professor an der Universität Paris-9, Jean-Richard Sulzer begleitet würde. Letzterer hat sich in den letzten Monaten immer offener dem FN angenährt, könnte aber als Bindeglied in Teile der bürgerlichen Rechten hinein funktionieren.

Seitens des Medef rechtfertigte man sich gegenüber der Tageszeitung Libération (11. Februar) damit, dass man alle Kandidaten empfangen wolle, die auf die Wahlprüfsteine des Medef geantwortet und dabei ihren Wunsch nach einem Treffen bekundet hätten. So habe man auch den Sozialdemokraten Jean-Paul Huchon und den Christdemokraten André Santini empfangen.

In ihrer Ausgabe vom Dienstag Abend (17.Februar) gibt die Pariser Abendzeitung Le Monde bekannt, dass das Treffen am vorigen Freitag vom regionalen Medef-Präsidenten Didier Duran "aus familiären Gründen" auf Anfang dieser Woche verschoben worden sei. Am Montag dann sagte der Medef der Region Ile-de-France aber doch noch ab - wie Le Monde schreibt, aufgrund des Drucks des nationalen Arbeitgeberverbands auf seine regionale Sektion. Wahrscheinlich ist, dass vor allem der mittelständische Flügel innerhalb des regionalen Medef ein Interesse an dem Treffen hatte. Ihm gehört auch der FN-Mittelstandspolitiker Dubois an, der in den Neunziger Jahren - als Vertreter eines mittleren Betriebes in einer nördlichen Pariser Trabantenstadt - als Gewählter in der Industrie- und Handelskammer der Region saß.

Tatsächlich ist das vorwiegend auf Mittelständler sowie eine für Anti-Steuer-Parolen empfängliche Klientel zugeschnittene Wahlprogramm von Marine Le Pen angetan, in solchen Kreisen Sympathien zu erwecken. Teilweise wurde in solchen Kreisen die Drohung damit, für den FN zu votieren, auch zum Erpressungsinstrument gegenüber der konservativen Rechten. Denn bei dieser klafft ein wachsender Widerspruch zwischen ihrer eher kleinbürgerlichen Basis und der nackten Politik zugunsten des Großkapitals, die sie faktisch betreibt. An dieser Kluft versucht die extreme Rechte anzusetzen.

Beispielsweise berichtete die grünen-nahe Wochenzeitung "Charlie Hebdo" im Dezember 2003, ein wichtiger Fachverband der Hotel- und Gaststättenbetreiber drohe damit, seine Klientel im März zugunsten der extremen Rechten stimmen zu lassen, falls nicht "endlich" die Mehrwertsteuer für Restaurantbetriebe und das Gaststättengewerbe von 20,6 auf 5,5 Prozent abgesenkt werde. (Das hatte 2002 zu den Wahlversprechen der konservativen Regierungsmannschaft Raffarin gehört. Doch seine Verwirklichung war mit dem Verweis auf Widerstände bei der EU-Kommission in Brüssel immer wieder hinausgeschoben worden.) Jetzt hat die Raffarin-Regierung, in der zweiten Februarwoche, dieser Forderung aber doch noch nachgegeben.

Zugleich betreibt Marine Le Pen auch einen betont sozialdemagogisch aufgezogenen Wahlkampf ­ der allerdings vor allem auf die Frage der "wirtschaftlichen Globalisierung" zugeschnitten ist. Diese bildet, zusammen mit der Immigration, angeblich eine Bedrohung von außen, gegen welche die Nation vereint zusammen müsse ­ im Bündnis von nationaler Arbeit und nationalem Kapital.

So verteilen die FN-Wahlkämpfer im Großraum Paris seit Ende Januar/ Anfang Februar ein hoch professionnell gemachtes, vierseitiges Faltblatt. Das Titelblatt ist unter das Motto der "Sozialen Unsicherheit" gestellt. Man sieht darauf einen offensichtlich nackten Mann, dessen Blöße lediglich in einen Karton gekleidet ist ­ auf dem "Made in China" zu lesen ist. Liest man den Inhalt des Faltblatt, dann wird einem oder einer "die französische Industrie" als solche, pauschal, als Opfer von Desindustrialisierung, Produktionsverlagerung und Globalisierung vorgestellt ­ eben als handele es sich um eine äußere Verschwörung und nicht um einen aus materiellen Interessen resultierenden Prozess, an dem französische Kapitelinhaber eifrig teilnehmen. Doch bei der extremen Rechten kommt man letzten Endes immer wieder bei einer "Verschwörung gegen die (eigene) Nation" heraus.

De facto ist das Wahlprogramm jedoch eher arm an realen sozialen Versprechungen. Für Arbeitslose etwa enthält es eher die Drohung mit verstärkten Kontrollen und dem Kappen aller Unterstützung für erwerbslose Personen, die "zumutbare Arbeitsplätze ablehnen". Dennoch bilden diese Personen eine, auf der Ebene von Demagogie, umworbene Klientel. Immer wieder seit Anfang der Neunziger gelang es dem FN auch, nicht unerhebliche Stimmenanteile unter Arbeitern und Arbeitslosen einzustreichen. Jedenfalls unter jenem Anteil von ihnen, der überhaupt noch wählen geht.

Wie Libération (vom 4. Februar) berichtet, planen mehrere Arbeitlosen-Selbstorganisationen deswegen eine aktive Einmischung in den Wahlkampf - mit dem Ziel, dem Einfluss des FN entgegen zu treten, dessen wachsenden Einfluss sie konstatieren könnten.

Wachsende Unzufriedenheit ­ findet sie einen progressiven Ausdruck?

Genau zwei Drittel der Franzosen, so ergab eine Befragung im Auftrag von Le Monde, wollen derzeit "Protest wählen" oder abstimmen, um die Regierung "abzustrafen". Mit Ausnahme der konservativen UMP wollen fast alle Parteien aus dem regionalen Urnengang eine nationale Testwahl machen, zumal sie ­ neben den diesjährigen Europawahlen ­ die letzten landesweiten Wahlen vor 2007 sind.

Die etablierten Linksparteien befinden sich dabei aber ebenfalls in einem schlechten Zustand. Die Sozialdemokratie hat sich noch immer nicht von der verheerenden Wahlniederlage ihrer Präsidentschaftshoffnung Lionel Jospin erholt. Und ernsthafte Alternativen anzubieten, kann sie kaum ernsthaft behaupten, da die konservative Rechte in vielerlei Hinsicht Pläne der Sozialdemokratie aus ihrer Regierungszeit aus den Schubladen geholt hat. Immer mit dem dezenten Hinweis darauf, dass die Sozialisten im Grunde dieselben Rezepte gehabt hätten, aber nur "zu feige gewesen sind, um die Reformen durchzusetzen, auch wenn sie unpopulär sind".

Das tut die derzeitige Regierung gewiss, oft in brachialer Form. Allen möglichen sozialen Gruppen wird derzeit signalisiert, dass ihre einstmaligen sozialen Errungenschaft systematisch zur Disposition gestellt werden, und dass es dabei nichts zu verhandeln gibt. Doch die Widerstände bleiben bisher noch voneinander isoliert, zumal die Niederlage angesichts der so genannten Rentenreform im Sommer 2003 ­ nachdem bis zu zwei Millionen Menschen dagegen demonstriert hatten ­ Spuren in Form einer zeitweisen Demoralisierung vieler Kampfeswilligen hinterlassen hat.

Eine mitreißende, kämpferische Alternative zur knallharten sozialen Krisenverwaltung stößt daher derzeit auf ein Glaubwürdigkeitsproblem. Dennoch bieten sich auch Alternativen links von den Sozialdemokraten an.

Die KP, die unter Jospin fünf Jahre lang mitregiert hatte, steckt tiefer in der Krise denn je. In einigen Regionen tritt sie von vornherein auf Einheitslisten mit den Sozialdemokraten an, um wenigstens ihre lokalen und regionalen Mandate retten zu können. Andernorts dagegen präsentiert sie eigene Liste. Im Großraum Paris wiederum tritt sie mit VertreterInnen aus sozialen Bewegungen, etwa Claire Villiers aus der Arbeitslosen-Selbstorganisation AC!, auf einer gemischten Liste an. Weiter links treten die beiden trotzkistischen Parteien mit unterschiedlichem Profil, die LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire) und Lutte Ouvrière (LO, Arbeiterkampf) mit gemeinsamen Listen an, denen bisher 6 bis 7 Prozent der Stimmen vorausgesagt werden. Für einen Sitz in einem Regionalparlament wird das jedoch wahrscheinlich nicht reichen.

Denn vor einem Jahr hat die Raffarin-Regierung auch das Wahlrecht ändern lassen. Jetzt benötigt eine Liste stattliche 10 Prozent der Stimmen, um überhaupt noch in den zweiten Wahlgang zu kommen. Gleichzeitig erhält jene Liste, die auf Platz Eins gelangt, 25 Prozent der Sitze im Regionalparlament vorab zugeteilt, bevor die anderen drei Viertel auf die Listen nach ihrem Stimmenanteil verteilt werden.

Falls drei Listen in der Stichwahl bleiben, erhält damit die stärkste Liste ab einem Stimmenanteil von einem Drittel der Stimmen mindestens die Hälfte der Mandate. Raffarin hatte damals die Wahlrechtsreform ­ die die großen Parteien bevorzugt - unter anderem damit gerechtfertigt, sie bilde einen Sperrriegel für den Front National. Doch jetzt wird befürchtet, in einzelnen Regionen könnte auch dieser sich die neue "Siegerprämie" zunutze machen. Falls er denn die Konservativen und die Sozialdemokraten überholen könnte.

hagalil.com 17-02-2004

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