Frankreich vor den
Regionalparlamentswahlen:
Droht eine neue Serie rechtsextremer Erfolge?
Von Bernard
Schmid, Paris
"Wird der 21.
März zum 21. April?" Diese Frage wird derzeit gern von Journalisten und
Politikern gestellt. Nicht, dass dem französischen Kalender revolutionäre
Umwälzungen bevor stünden. Aber am Tag des diesjährigen Frühlingsbeginns
werden frankreichweit alle Regional- und ein Teil der Bezirksparlamente neu
gewählt im ersten Durchgang, am 28. März findet dann ein zweiter Wahlgang
statt.
Der 21. April
wiederum verweist auf die Präsidentschaftswahl vor zwei Jahren. Damals waren
der bürgerliche Amtsinhaber Jacques Chirac und der rechtsextreme Politiker
Jean-Marie Le Pen als bestplatzierte Kandidaten aus dem ersten Wahlgang
hervorgegangen. Für viele Franzosen und Französinnen war es ein Schock. Nach
zwei Wochen und zahlreichen Demonstrationen konnte sich dann aber in der
Stichwahl Präsident Chirac mit über 82 Prozent der Stimmen klar durchsetzen.
Sollte sich das
Szenario jetzt in einigen französischen Regionen wiederholen? Daran glauben
derzeit einige Beobachter. Noch weiter verbreitet ist jedoch die Annahme,
dass die extreme Rechte zumindest hohe Wahlergebnisse in einigen Regionen
und im Landesdurchschnitt erzielen werde.
So hatte die
Parteien- und Wahlforscherin Nonna Meyer schon vor dem Jahreswechsel
öffentlich erklärt, sie rechne damit, dass der Front National "leicht 17
Prozent im landesweiten Durchschnitt" erreichen könne; dies entspräche dem
Stimmenanteil von Le Pen 2002. Denn das Klima dafür stehe günstig,
angesichts mehrerer Faktoren. Dazu zählt die Abnutzung der regierenden
Konservativen angesichts einer weithin als antisozial betrachteten Politik,
und gleichzeitig das Ausbleiben einer halbwegs glaubwürdigen Alternative auf
der Linken. Dazu gehören ferner die Ängste, die durch die EU-Osterweiterung
und die deswegen befürchtete Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ausgelöst
werden.
Politische Debatte um die
"kulturelle Identität"
Die klarste
Parallele zur Konstellation der Präsidentschaftswahl von 2002 zog der
Chefredakteur der Pariser Abendzeitung Le Monde, Jean-Marie Colombani. In
einem Leitartikel vom 9. Januar dieses Jahres warnte er davor, die Debatte
rund um das Gesetz zum Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen das vorige
Woche in erster Lesung verabschiedet wurde öffne eine "wahrhafte Büchse
der Pandora". Der liberale Journalist sieht die Eile, mit der die
Konservativen gesetzgeberisch aktiv wurden, im Zusammenhang mit den
anstehenden Regional- und Bezirksparlamentswahlen. Tatsächlich ist diese
Verbindung des öfteren auch von konservativen Politikern hergestellt, etwa
in Gestalt der Drohung, falls die Gesetzesvorlage nicht in Bälde
verabschiedet werde, dann werde Le Pen von der Verzögerung profitieren.
Colombani
unterstrich: "Alle haben gesehen, wie der extremen Rechten (2002) das
Ausweiden des Themas 'Innere Sicherheit' genutzt hat. Sie wird erneut an
Legitimität gewinnen, weil jetzt die Frage der <kulturellen Identität> in
den Mittelpunkt der innenpolitischen Debatte gerückt wird." Dem
Editorialisten zufolge herrscht dabei ein politisches Kalkül: Bleibe die
extreme Rechte als einzige starke Alternative übrig, dann könne das die
Konservativen über die Wahlen retten, wie bereits vor zwei Jahren Chirac,
dem im Vorfeld niemand eine erfolgreiche Wiederwahl zugetraut hätte. "Dieses
politische Kalkül", so fährt der Leitartikel fort, "wirft eine
schwerwiegende historische Verantwortung auf."
Auch manche
islamistischen Reaktionen in Reaktion auf dieses Gesetz, so möchte man
hinzufügen, haben zu dieser kulturellen "Ethnisierung" der innenpolitischen
Debatte mit beigetragen. Aber man hätte vielleicht damit rechnen müssen.
Und wenn Le Pen gar nicht
kandidieren könnte?
Nicht sicher ist
jedoch, ob die extreme Rechte zugleich auch in der Lage sein wird, eine
französische Region zu regieren. Diesen Anspruch erhebt sie vorab besonders
im südostfranzösischen Paca (Provence Alpes Côte d'Azur), wo der
alternde Parteigründer Jean-Marie Le Pen persönlich antreten will, als
Direktkandidat im stockreaktionären Nizza sowie als Spitzenkandidat für die
Regionalpräsidentschaft in Marseille.
Dabei steht
allerdings noch immer nicht fest, ob der FN-Chef überhaupt die rechtlichen
Voraussetzungen erfüllt, um in Südostfrankreich zu kandidieren. Denn dazu
müsste er steuerlich in Nizza gemeldet sein. Normalerweise wäre das kein
Problem, da es ausreichen würde, die kommunalen Steuern - die in Frankreich
auf Wohn- und Geschäftsraum erhoben werden - für das Wahllokal auf seinen
Namen abzuführen. Doch die örtlichen Parteifreunde haben angeblich
geschlampt - und das Wahllokal nur auf den Namen der Partei eintragen
lassen, und nicht auf denjenigen Le Pens, dessen Name allerdings auf dem
Mietvertrag steht. Dem Vernehmen nach drohen jetzt innerparteilich deswegen
einige Köpfe zu rollen...
Da die örtlichen
Finanzbehörden in seinen Augen nicht schnell genug auf die Forderung
reagierten, ihm doch noch einen "steuerlichen Wohnsitz" zu bescheinigen, hat
Le Pen nun Mitte voriger Woche das örtliche Verwaltungsgericht in Nizza
angerufen. Dieses sollte das Finanzamt zur Ausstellung einer entsprechenden
Bescheinung zwingen. Doch das Gericht hat am vorigen Samstag (14. Februar)
die Klage abgewiesen: Le Pen könne keine Verletzung seiner Grundrechte von
solchem Ausmaß geltend machen so die Begründung -, dass sie es
rechtfertigen würde, eine Eilentscheidung binnen 48 Stunden zu treffen, wie
Le Pen gefordert hatte.
Am Montag (16.
Februar) ist der Stichtag für die Anmeldung der Listen, die zu den
Regionalparlamentswahlen antreten wollen, abgelaufen. Le Pen hat die
FN-Kandidatenliste für die Region Paca bereits am frühen Vormittag in
Marseille angemeldet, trotz des fehlenden "steuerlichen Wohnsitz-Nachweises"
für seinen Spitzenkandidaten. Jetzt liegt es am Regionalpräkten (dem
Vertreter des Zentralstaats bei der Region) in Marseille, Christian Frémont,
die Rechtmäßigkeit der Listen zu überprüfen.
Der
Regionalpräfekt kann die durch Jean-Marie Le Pen eingereichte Liste - trotz
des vorhandenen Mangels - zur Wahl zulassen, er muss es aber nicht. Er kann
sie auch wegen mangelnder Eignung des Spitzenkandidaten abweisen, ist dazu
aber nicht verpflichtet. Der Regionalpräfekt hat bis zum 27. Februar Zeit,
um seinen Ermessensspielraum auszuschöpfen und eine Entscheidung zu treffen.
Die politische Tradition besteht darin, dass er binnen 48 Stunden
entscheidet, um den Abgewiesenen ggf. Zeit für ein Gerichtsverfahren zu
lassen, bevor die Wahlen stattfinden; aber er ist auch dazu nicht
verpflichtet. Falls die Ermessensentscheidung zu Ungunsten Le Pens ausfällt
und wenn er noch genügend Zeit dafür hat der 27. Februar dürfte dafür zu
spät sein - dann kann er noch den Conseil d'Etat dagegen anrufen. Das ist
das oberste Verwaltungsgericht in Paris.
Welche Auswirkungen hat die
neue "Le Pen-Affäre"?
Am vorigen
Freitag hat Le Pen bereits auf Radio France angekündigt: "Wenn man versucht,
mich im Morgengrauen am Waldrand zu meucheln, dann wird man meine Schreie
bis an's andere Ende des Planeten hören". Wenige Tage zuvor hatte er in der
Pariser Abendzeitung Le Monde angekündigt, seine Nichtzulassung zur Wahl
würde "einen Skandal mit nationaler Tragweite" darstellen. Und die
Sonntagszeitung JDD zitiert ihn am 15. Februar mit den Worten: "Wenn ich
daran gehindert werde, in Paca zu kandidieren, dann werde ich nirgendwo
antreten, aber überall (= in allen Regionen) Wahlkampf machen".
Trotz allem ist
auch bereits ein Nachfolger für Le Pen als Listenführer des FN in der Region
im Gespräch: Der (pensionierte) General Louis Martin. Beide Männer hatten
sich 1957 in Algier kennen gelernt. Damals war Le Pen freiwillig dienender
Offizier im Algerienkrieg, der in den ersten Jahresmonaten 1957 wie in
Frankreich inzwischen gerichtlich nachgewiesen ist, das Urteil im letzten
Prozess diesbezüglich fiel am 26. Juni 2003 eigenhändig gefangene
Angehörige der algerischen Unabhängigkeitsbewegung folterte.
Fraglich ist, ob
in einem solchen Fall die vorab verbreitete Aufregung um Le Pens
Kandidaturchancen das Abschneiden der Rechtsextremen günstig oder ungünstig
beeinflussen wird. Le Pen wird mit der Ansicht zitiert: "Diese neue
Verfolgung wird dem FN zwei bis drei Prozent zusätzlich Prozentpunkte
einbringen." Der sozialistische Regionalpräsident Michel Vauzelle in
Marseille ist gegenteiliger Auffassung und vertritt die Ansicht, der FN in
Südostfrankreich werde 2 bis 3 Prozent verlieren, da Le Pen "seine
Imkompetenz und seinen Mangel an Voraussicht" unter Beweis gestellt habe.
Allerdings ist er auch der Auffassung (so zitiert ihn jedenfalls das Journal
du dimanche, JDD), dass Le Pen in Wirklichkeit "das einfache Problem des
steuerlichen Wohnsitzes seit langem gelöst" habe.
Auch der
konservative Spitzenkandidat in Marseille, Renaud Muselier, vertritt einen
ähnlichen Standpunkt: Er könne nicht an "einen solchen Anfängerfehler"
seitens von Le Pen glauben. In Wirklichkeit, so meinen verschiedene
Politiker (laut dem JDD), habe der Chef des Front National ohnehin "noch
andere steuerliche Wohnsitze" in der Region, als jenen im Wahlkampflokal von
Nizza. Es handele sich lediglich um eine Inszenierung, mit dem Ziel, dass
man möglichst viel von und über Le Pen rede.
Noch einmal sei
das JDD zitiert: "Einzige Sicherheit: Diese 'Affäre' erlaubt es ihm (Le
Pen), die Aufmerksamkeit in diesem Wahlkampf zu monopolisieren".
Tatsächlich:
Einmal mehr versucht der rechtsextreme Politiker sich als Opfer der
Machenschaften des Systems in Pose zu werfen. Bereits 2002 hatte auch das zu
seinem Erfolgsrezept gehört damals hatte er Schwierigkeiten dabei gehabt,
die 500 Unterschriften von Mandatsträgern zusammen zu bekommen, die für eine
Präsidentschaftskandidatur erforderlich sind. Das hatte ihm auch erlaubt, im
März/April 2002 Wochen lang im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit
zu stehen, kurz vor dem Wahltermin am 21. April...
Die Pariser
Abendzeitung Le Monde übertitelt deswegen ihre Dienstagsausgabe: "Welches
Spiel treibt Le Pen?" Und eine daneben stehende Karikatur zeigt Jean-Marie
Le Pen, der eine Wahlurne schüttelt, nebst einer Sprechblase mit den Worten:
"Dieses Mal ist es wirklich wahr: Es ist ein Komplott!" (Gemeint ist einmal
mehr: "Ein Komplott gegen mich"...) Daneben steht ein altes Mütterchen, das
dazu nur meint: "Schon wieder?"
Dennoch wäre es
möglicherweise politisch riskant, würde Le Pen aus formal-administrativen
Gründen vom Urnengang ausgeschlossen. Da Le Pen bereits mehrfach in der
südostfranzösischen Paca-Region kandidiert hat, beispielsweise bei den
Parlamentswahlen 1993 (in Nizza) und bei den Regionalparlamentswahlen 1998,
wäre es vielleicht nicht für alle WählerInnen einsichtig, warum er dieses
Mal der Wahl fernbleiben sollte. Vielleicht wären manche Wähler bereit, an
Le Pens These zu glauben, es habe "Anordnungen aus dem Elysée-Palast" an die
örtliche Verwaltung gegeben. Aber vielleicht geht diese Rechnung auch doch
nicht auf, weil die Kampagne gar zu abgeschmackt wirkt...
Allgemein: Das Klima ist
günstig für die extreme Rechte
Das Klima
erscheint günstig für den Front National, dessen Umfragewerte tatsächlich
steigen und bereits die 15-Prozent-Marke überschritten haben. In den
Umfragen für die Pariser Abendzeitung Le Monde etwa kletterte der FN Anfang
Februar von vorher 14 auf 15,5 Prozent. Dabei ist die extreme Rechte in den
Vorwahlumfragen normalerweise unterbewertet, da viele ihrer Anhänger
"Journalisten" (inklusive BefragerInnen) grundsätzlich nicht über den Weg
trauen, oder sich aus anderen Gründen nicht offen zu ihrem Votum bekennen.
Nachdem die
"Kopftuch"-Debatte seit Anfang Dezember fast alle sonstigen innenpolitischen
Diskussionen überlagert hatte, kommt nun auch ein zweites Thema dem Front
National entgegen, ohne dass er sich selbst anstrengen müsste, es in die
Köpfe zu hämmern.
Ganz Frankreich
hat in den letzten zwei Wochen den Atem angehalten, um zu verfolgen, wie der
frühere Premierminister Alain Juppé von einem Gericht in Nanterre wegen der
Organisierung eines Korruptionssystems verurteilt wurde - woraufhin seine
konservativen Parteifreund ein Rührstück rund um das "Justizopfer"
inszenierten und die Richter offen herausforderten. Sogar Tränen flossen.
Premierminister Jean-Pierre Raffarin hatte öffentlich gewünscht, im
Berufungsverfahren in einigen Monaten vor einem Versailler Gericht möge "das
Urteil anders ausfallen", was eine offene Einmischung der Exekutive in die
Angelegenheit der Judikative darstellt. Justizminister Dominique Perben
soll, wie über die Presse ruchbar geworden ist, seinerseits bereits die
Möglichkeiten zu einem Freispruch im Berufungsverfahren eruiert haben.
Und die Spatzen
pfeifen von den Dächern, dass der bisher als kalter Technokrat verschmähte
Juppé derzeit nur deswegen von seinen UMP-Parteifreunden umhätschelt wird,
weil es gilt, seinen früheren Vorgesetzen im Pariser Rathaus zu schützen:
einen gewissen Jacques Chirac. In dessen Interesse hatte damals der Filz aus
privaten Unternehmen, die aus dem fetten Kuchen der Pariser Steuergelder
genährt wurden, neogaullistischer Partei die dabei die nötigen illegalen
Spenden einsammelte, um die Chirac'schen Ambitionen auf das höchste
Staatsamt mit einer Wahlkampfmaschinerie auszustatten und "Chirac-Clan"
funktioniert.
Deswegen braucht
die rechtsextreme Partei gar nicht mehr extra laut "Korruption" zu rufen.
Dabei ist es ein altes strategisches Ziel der extremen Rechten, die
politische Debatte auf eine solche Schlammschlacht (der angeblich "Sauberen"
gegen die "Korrupten"; auch wenn es innerhalb der rechtsextremen Partei
selbst oft sehr vetternwirtschaftsmäßig zugeht) zu reduzieren. Handelt es
sich doch um ein allerbestes, wenngleich "billiges", populistisches
Schmiermittel...
Marine Le Pen auf
Charme-Tournee im Raum Paris
Die Tochter des
alternden Parteigründers er wurde im Juni vorigen Jahres bereits 75 - ,
die ehemalige Anwältin Marine Le Pen, macht unterdessen ihren ersten
"eigenen" Wahlkampf in der Ile-de-France (der Hauptstadtregion, also in und
rund um Paris).
Am vorigen
Freitag, dem 13. Februar sollte die Wahlkämpferin etwa vom
Arbeitgeberverband Medef der Region Ile-de-France offiziell empfangen
werden; der Medef ist landesweit der mit Abstand größte, zentrale
Unternehmerverband. Vorgesehen war, dass sie dabei von Jean-Michel Dubois,
der sich beim FN um die mittelständischen Unternehmer kümmert, und den
ultra-wirtschaftsliberalen Professor an der Universität Paris-9,
Jean-Richard Sulzer begleitet würde. Letzterer hat sich in den letzten
Monaten immer offener dem FN angenährt, könnte aber als Bindeglied in Teile
der bürgerlichen Rechten hinein funktionieren.
Seitens des
Medef rechtfertigte man sich gegenüber der Tageszeitung Libération (11.
Februar) damit, dass man alle Kandidaten empfangen wolle, die auf die
Wahlprüfsteine des Medef geantwortet und dabei ihren Wunsch nach einem
Treffen bekundet hätten. So habe man auch den Sozialdemokraten Jean-Paul
Huchon und den Christdemokraten André Santini empfangen.
In ihrer Ausgabe
vom Dienstag Abend (17.Februar) gibt die Pariser Abendzeitung Le Monde
bekannt, dass das Treffen am vorigen Freitag vom regionalen
Medef-Präsidenten Didier Duran "aus familiären Gründen" auf Anfang dieser
Woche verschoben worden sei. Am Montag dann sagte der Medef der Region
Ile-de-France aber doch noch ab - wie Le Monde schreibt, aufgrund des Drucks
des nationalen Arbeitgeberverbands auf seine regionale Sektion.
Wahrscheinlich ist, dass vor allem der mittelständische Flügel innerhalb des
regionalen Medef ein Interesse an dem Treffen hatte. Ihm gehört auch der
FN-Mittelstandspolitiker Dubois an, der in den Neunziger Jahren - als
Vertreter eines mittleren Betriebes in einer nördlichen Pariser
Trabantenstadt - als Gewählter in der Industrie- und Handelskammer der
Region saß.
Tatsächlich ist
das vorwiegend auf Mittelständler sowie eine für Anti-Steuer-Parolen
empfängliche Klientel zugeschnittene Wahlprogramm von Marine Le Pen angetan,
in solchen Kreisen Sympathien zu erwecken. Teilweise wurde in solchen
Kreisen die Drohung damit, für den FN zu votieren, auch zum
Erpressungsinstrument gegenüber der konservativen Rechten. Denn bei dieser
klafft ein wachsender Widerspruch zwischen ihrer eher kleinbürgerlichen
Basis und der nackten Politik zugunsten des Großkapitals, die sie faktisch
betreibt. An dieser Kluft versucht die extreme Rechte anzusetzen.
Beispielsweise
berichtete die grünen-nahe Wochenzeitung "Charlie Hebdo" im Dezember 2003,
ein wichtiger Fachverband der Hotel- und Gaststättenbetreiber drohe damit,
seine Klientel im März zugunsten der extremen Rechten stimmen zu lassen,
falls nicht "endlich" die Mehrwertsteuer für Restaurantbetriebe und das
Gaststättengewerbe von 20,6 auf 5,5 Prozent abgesenkt werde. (Das hatte 2002
zu den Wahlversprechen der konservativen Regierungsmannschaft Raffarin
gehört. Doch seine Verwirklichung war mit dem Verweis auf Widerstände bei
der EU-Kommission in Brüssel immer wieder hinausgeschoben worden.) Jetzt hat
die Raffarin-Regierung, in der zweiten Februarwoche, dieser Forderung aber
doch noch nachgegeben.
Zugleich
betreibt Marine Le Pen auch einen betont sozialdemagogisch aufgezogenen
Wahlkampf der allerdings vor allem auf die Frage der "wirtschaftlichen
Globalisierung" zugeschnitten ist. Diese bildet, zusammen mit der
Immigration, angeblich eine Bedrohung von außen, gegen welche die Nation
vereint zusammen müsse im Bündnis von nationaler Arbeit und nationalem
Kapital.
So verteilen die
FN-Wahlkämpfer im Großraum Paris seit Ende Januar/ Anfang Februar ein hoch
professionnell gemachtes, vierseitiges Faltblatt. Das Titelblatt ist unter
das Motto der "Sozialen Unsicherheit" gestellt. Man sieht darauf einen
offensichtlich nackten Mann, dessen Blöße lediglich in einen Karton
gekleidet ist auf dem "Made in China" zu lesen ist. Liest man den Inhalt
des Faltblatt, dann wird einem oder einer "die französische Industrie" als
solche, pauschal, als Opfer von Desindustrialisierung,
Produktionsverlagerung und Globalisierung vorgestellt eben als handele es
sich um eine äußere Verschwörung und nicht um einen aus materiellen
Interessen resultierenden Prozess, an dem französische Kapitelinhaber eifrig
teilnehmen. Doch bei der extremen Rechten kommt man letzten Endes immer
wieder bei einer "Verschwörung gegen die (eigene) Nation" heraus.
De facto ist das
Wahlprogramm jedoch eher arm an realen sozialen Versprechungen. Für
Arbeitslose etwa enthält es eher die Drohung mit verstärkten Kontrollen und
dem Kappen aller Unterstützung für erwerbslose Personen, die "zumutbare
Arbeitsplätze ablehnen". Dennoch bilden diese Personen eine, auf der Ebene
von Demagogie, umworbene Klientel. Immer wieder seit Anfang der Neunziger
gelang es dem FN auch, nicht unerhebliche Stimmenanteile unter Arbeitern und
Arbeitslosen einzustreichen. Jedenfalls unter jenem Anteil von ihnen, der
überhaupt noch wählen geht.
Wie Libération
(vom 4. Februar) berichtet, planen mehrere Arbeitlosen-Selbstorganisationen
deswegen eine aktive Einmischung in den Wahlkampf - mit dem Ziel, dem
Einfluss des FN entgegen zu treten, dessen wachsenden Einfluss sie
konstatieren könnten.
Wachsende Unzufriedenheit
findet sie einen progressiven Ausdruck?
Genau zwei
Drittel der Franzosen, so ergab eine Befragung im Auftrag von Le Monde,
wollen derzeit "Protest wählen" oder abstimmen, um die Regierung
"abzustrafen". Mit Ausnahme der konservativen UMP wollen fast alle Parteien
aus dem regionalen Urnengang eine nationale Testwahl machen, zumal sie
neben den diesjährigen Europawahlen die letzten landesweiten Wahlen vor
2007 sind.
Die etablierten
Linksparteien befinden sich dabei aber ebenfalls in einem schlechten
Zustand. Die Sozialdemokratie hat sich noch immer nicht von der verheerenden
Wahlniederlage ihrer Präsidentschaftshoffnung Lionel Jospin erholt. Und
ernsthafte Alternativen anzubieten, kann sie kaum ernsthaft behaupten, da
die konservative Rechte in vielerlei Hinsicht Pläne der Sozialdemokratie aus
ihrer Regierungszeit aus den Schubladen geholt hat. Immer mit dem dezenten
Hinweis darauf, dass die Sozialisten im Grunde dieselben Rezepte gehabt
hätten, aber nur "zu feige gewesen sind, um die Reformen durchzusetzen, auch
wenn sie unpopulär sind".
Das tut die
derzeitige Regierung gewiss, oft in brachialer Form. Allen möglichen
sozialen Gruppen wird derzeit signalisiert, dass ihre einstmaligen sozialen
Errungenschaft systematisch zur Disposition gestellt werden, und dass es
dabei nichts zu verhandeln gibt. Doch die Widerstände bleiben bisher noch
voneinander isoliert, zumal die Niederlage angesichts der so genannten
Rentenreform im Sommer 2003 nachdem bis zu zwei Millionen Menschen dagegen
demonstriert hatten Spuren in Form einer zeitweisen Demoralisierung vieler
Kampfeswilligen hinterlassen hat.
Eine
mitreißende, kämpferische Alternative zur knallharten sozialen
Krisenverwaltung stößt daher derzeit auf ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Dennoch bieten sich auch Alternativen links von den Sozialdemokraten an.
Die KP, die
unter Jospin fünf Jahre lang mitregiert hatte, steckt tiefer in der Krise
denn je. In einigen Regionen tritt sie von vornherein auf Einheitslisten mit
den Sozialdemokraten an, um wenigstens ihre lokalen und regionalen Mandate
retten zu können. Andernorts dagegen präsentiert sie eigene Liste. Im
Großraum Paris wiederum tritt sie mit VertreterInnen aus sozialen
Bewegungen, etwa Claire Villiers aus der Arbeitslosen-Selbstorganisation
AC!, auf einer gemischten Liste an. Weiter links treten die beiden
trotzkistischen Parteien mit unterschiedlichem Profil, die LCR (Ligue
Communiste Révolutionnaire) und Lutte Ouvrière (LO, Arbeiterkampf) mit
gemeinsamen Listen an, denen bisher 6 bis 7 Prozent der Stimmen vorausgesagt
werden. Für einen Sitz in einem Regionalparlament wird das jedoch
wahrscheinlich nicht reichen.
Denn vor einem
Jahr hat die Raffarin-Regierung auch das Wahlrecht ändern lassen. Jetzt
benötigt eine Liste stattliche 10 Prozent der Stimmen, um überhaupt noch in
den zweiten Wahlgang zu kommen. Gleichzeitig erhält jene Liste, die auf
Platz Eins gelangt, 25 Prozent der Sitze im Regionalparlament vorab
zugeteilt, bevor die anderen drei Viertel auf die Listen nach ihrem
Stimmenanteil verteilt werden.
Falls drei
Listen in der Stichwahl bleiben, erhält damit die stärkste Liste ab einem
Stimmenanteil von einem Drittel der Stimmen mindestens die Hälfte der
Mandate. Raffarin hatte damals die Wahlrechtsreform die die großen
Parteien bevorzugt - unter anderem damit gerechtfertigt, sie bilde einen
Sperrriegel für den Front National. Doch jetzt wird befürchtet, in einzelnen
Regionen könnte auch dieser sich die neue "Siegerprämie" zunutze machen.
Falls er denn die Konservativen und die Sozialdemokraten überholen könnte.
hagalil.com
17-02-2004 |