Feige Juden, starke
katholische Kommissarin am Bodensee:
Ein deutscher Tatort in der ARD
Von Clemens
Heni und Susanne Wein, Berlin
Es sollte also um einen
Ritualmord-Vorwurf am Bodensee gehen bei der ältesten, renommiertesten und
meist gesehenen Krimi-Reihe im deutschen Fernsehen: knapp 8 Millionen
ZuschauerInnen haben sich am 7. Dez. 2003 den Tatort 'Der Schächter'
angeschaut. Eine sich selbstverständlich schnell zerschlagende kleine
Hoffnung wurde geweckt: Juden im deutschen Unterhaltungs-Fernsehen als
normale Realität. Stattdessen schien der Krimi gewollt von einem vorletzte
Jahrhundertwende-Flair umweht, was für sich genommen ein durchaus mögliches
Stilmittel hätte sein können.
Aber bereits in der ersten
Szene wird deutlich: Wir haben es mit zwei 'Sonderlingen' zu tun (und einer
einfühlsamen Hauptkommissarin, die sich um beide kümmert): einem orthodoxen
Juden und einem psychotischen netten Kerl, von dem im Laufe des Films
schnell klar wird, dass er etwas mit dem Mord zu tun hat oder selbst der
Mörder ist.
Praktisch für den Plot:
Die Tat hat nicht nur keinen politischen Hintergrund, sondern selbst der
Bruder des Mörders, der vertuscht und allen Verdacht auf den Juden lenkt,
ist eigentlich kein Judenhasser – er hat ja nur rührend seinen geistig
unmündigen Bruder schützen wollen.
Zurück zum anderen
'Sonderling', denn als solcher wird er präsentiert: der Schächter Jakob
Leeb. Zur Belehrung des Publikums geht es in seiner Anwesenheit immer um
Gesetze, die er einhält. Vor allem aber 'jiddelt' er und spricht eine Art
Wiener Akzent – obwohl, so die Filmgeschichte, er im Elsass lebt, woher auch
seine Familie kommt und er bis zur Flucht vor den Nationalsozialisten in
Konstanz aufgewachsen ist!
Der Jude Leeb
ist fremd und wirkt irgendwie herzig, antiquiert – auch die Einrichtung
seiner Ferienvilla ist scheinbar exakt die von vor der Flucht. Als ob es
keine Arisierungen und Schnäppchenjäger am Bodensee gegeben hätte! Solche
vermeintlichen Nebensächlichkeiten drücken doch die ungeheure
Oberflächlichkeit und zugleich perfide geschichtsklitternde Dimension des
Films aus: Ein Jude wird hier so vorgestellt, wie es ihn bis Mitte der
1930er Jahre in anderen deutschen Städten noch gab. Doch dieses deutsche
Judentum wurde mit dem restlichen Europas vertrieben oder vergast. Das will
der Film nicht wahrhaben, denn selbst die wenigen Überlebenden kamen eben
nicht in ihre eingerichteten Villen und Häuser zurück. Offensichtlich ist es
zu viel verlangt in der Sonntagabend-Unterhaltung auch noch einen Hinweis
auf Arisierung zu liefern, den es in Dokumentationen der ARD-Anstalten NDR
oder WDR ja durchaus gibt – es wäre zu 'wirklich' geworden. Es hätte
beispielsweise um die heute in Konstanz lebenden Juden gehen können. Doch
dann wäre der orthodoxe Kitsch, der die deutsch-jüdische Symbiose heute
evoziert, verblasst. So darf die Hauptkommissarin Klara Blum, die Leeb mag,
auf keinen Fall eventuell eine unorthodoxe und somit weniger oder nicht
erkennbare Jüdin sein, sondern sie muss irgendwie als Katholikin gezeigt
werden; und das Drehbuch schreibt ihr vollkommen zusammenhangslos, atypisch
und hier geradezu grotesk vor, sich vor einem Heiligenbild zu bekreuzigen.
Das sich
verbreitende Gerüchte und der Judenhass, der im bürgerlichen Bodenseeidyll
daheim ist, wurde im Film gerade nicht gut eingefangen. Ritualmord-Vorwurf
ohne den gesellschaftlich virulenten Antisemitismus der Bevölkerung zu
thematisieren, schafft auch nur deutsches Fernsehen. Die einzige
Kameraeinstellung, in der die Konstanzer Innenstadt mit Bevölkerung- und
Touristenmassen auftauchen, bietet sich als Leeb just aus der schließlich
haltlosen Untersuchungshaft entlassen, traumatisiert durch die Stadt läuft.
Aber, ein feiner Unterschied: es soll seinen Blick darstellen, seine irre
Vorstellung der Stigmatisierung und Beschuldigung durch die Leute, die unter
'normalem' Blickwinkel alle ganz freundlich dreinschauen und nicht hämisch
grinsen. Außer den Kommentaren des Redakteurs, ist nur der Staatsanwalt
antisemitisch. Und der so massiv, dass es unglaubwürdig ist.
Hauptkommissarin Blum - die Gute - gibt ihm zwar contra aber ohne dass die
ekelhaft expliziten antisemitischen Äußerungen des Staatsanwalts als solche
benannt würden. Kurz vor Schluss schreitet auch sie über Leeb hinweg generös
zur Versöhnung mit dem Staatsanwalt: "Er hat sich ja entschuldigt – bei mir
zumindest", sagt sie. Der unterschwellige Antisemitismus bleibt also getrost
stehen und außerhalb des Films, wie Walsers Häuschen nebenan. Jener fand in
diesem Klima offenbar die richtige Inspiration für seinen Roman "Tod eines
Kritikers" – der selbstredend auch nicht erwähnt wird.
Richtig
unerträglich und deutsch ist die letzte Szene. Leeb möchte nach den ganzen
Ereignissen abreisen und seine Villa verkaufen. Als er und 'Freundin' Blum
das Haus verlassen, ist die Tür mit roter Farbe beschmiert. Sie –
bedeutungsschwanger - "es tut mir leid". Er geht mit Gepäck weiter. Da ruft
sie dem Holocaust-Überlebenden dummdreist nach: "In den entscheidenden
Momenten meines Lebens bin ich nie weggelaufen."
Er dreht sich
um, nicht etwa um so viel Unverfrorenheit mit einer Ohrfeige zu quittieren
oder um ihr wenigstens eine Standpauke zu halten, nein: "Ich auch nicht"
sagt er überzeugt, beide gehen glücklich ins Haus. ENDE.
Sie, die
katholische Repräsentantin der deutschen Exekutive, die sich im Griff hat,
die auch den vulgär antisemitischen Staatsanwalt in einer Szene gerade nicht
ohrfeigt, sie spricht hier Erinnerungsabwehr an die deutsche Tat so perfide
aus, wie es nur hierzulande möglich ist. Nicht nur, dass es keine deutschen
Juden mehr gibt, nein, mehr noch: wären sie damals geblieben und nicht so
feige abgehauen, wäre das vielleicht alles nicht passiert! Es ist eine
infame Suggestion die ihren Satz begleitet, und diese wird durch die Antwort
von Leeb nicht zerstört sondern im subkutanen Antisemitismus der
Hauptkommissarin, den Leeb mit seinem "Ich auch nicht" mittransportieren
muß, eher noch potenziert. Mit einem Bild dieser Schlussszene wirbt die ARD
gar auf der Tatort-Site im Internet für ihren Krimi.
Letztlich wird
also wieder alles gut, die Botschaft jeder deutschen Fernsehproduktion.
Alles ganz undramatisch am Ende.
Wie bei Walser,
der in seinem Roman alles tut, um den Juden als zu ermordenden darzustellen.
Der aber am Ende überlebt, wie Leeb, der doch unschuldig ist. In "Tod eines
Kritikers" wird Reich-Ranicki
"der Tod auf den
Hals gewünscht, weil er als Kritiker auch ohne 'Gruppe 47' groß geworden
ist. (...) Der Satz 'Eine Figur, deren Tod vollkommen gerechtfertigt
erscheint, das wäre Realismus', wird im Buch durchvariiert und schließlich
so vervollständigt: 'Das ist Realismus'. Daß ein Überlebender der Shoah auch
diesen Realismus überlebt, findet der Autor, im Einklang mit seinem Laudator
Kaiser in der 'Jungen Freiheit', komisch. Wie antisemitisch ist eine solche
'Komödie'?"
(Klaus Briegleb, Mißachtung und Tabu, Berlin/Wien 2003, S. 286.)
Im Tatort wird
die Unschuld Leebs durchkonjugiert, eigentlich wissen alle ZuschauerInnen
von Anbeginn, dass er keinen Mord begangen hat, doch tragisch-komischerweise
wird die Schuld des Juden durchkonjugiert mit einem Ratschlag für den nicht
nur hier als Objekt der deutschen Selbstbespiegelung nützlichen Juden. Seine
Wahrnehmung ist hierbei absolut sekundär.
Doch wer solch
einen Tatort kritisiert, ist undankbar, verstockt. Sie meinen es doch gut,
der Drehbuchschreiber Fred Breinersdorfer, die Schauspielenden und die
ARD-ZuschauerInnen!
hagalil.com
17-12-2003 |