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Eine - leider - wahre Geschichte:
Chanukka oder die Spätfolgen der Schoah

Von Iris Noah

1. Szene 1998

"Weihnachtserzählungen aus dem Heiligen Land" springt mich ein Titel auf dem Büchertisch einer Kirchengemeinde, in der ich eingeladen bin, an. Ich bin irritiert, denn auf dem Umschlag befindet sich keine Krippenszene mit Maria, Josef und Jesus sondern ein siebenarmiger Leuchter - eine Menorah.

Das Buch, herausgeben von einem renommierten evangelischen Verlag, enthält samt und sonders Chanukka-Geschichten von chassidischen Rabbis, Bella Chagall, Isaac B. Singer bis zu Valentin Senger. Die Herausgeberin, eine Anglistin und Amerikanistin, leitet das Buch unter der Überschrift "das jüdische Lichterfest und seine Annäherung an Weihnachten" ein und läßt nach einer geschichtlichen Einordnung des Festes die "messianische Deutung von Chanukka und Weihnachten" folgen, die aus dem Johannesevangelium abgeleitet wird. "Während des Laubhüttenfestes bezeichnete Jesus sich als Licht der Welt" (Johannesevangelium Kapitel 8 und 9). Diese Aussage wird beim darauf folgenden Fest der Tempelweihe, so erfahre ich, überboten. Jesus wurde von Juden umringt und gefragt, warum er sie im Ungewissen ließe. Er solle doch frei heraus sagen, ob er nun der Messias sei oder nicht. Das eigentliche Problem, so meint die Herausgeberin, sei nicht "sein Mangel an Deutlichkeit, sondern der fehlende Glaube der Juden". Und nun "macht Jeschua eine vierte oder sehr klare Aussage: "Ich und der Vater sind eins".

Abgesehen von dieser christlichen Vereinnahmung eines jüdischen Festes ist die Auswahl der Geschichten sehr gelungen. Zu meiner Lieblingserzählung wird "Zlateh, die Geis" von Isaac B. Singer, die in Osteuropa spielt. Aaron wird von seinen Eltern mit der Ziege Zlateh in die Stadt geschickt, um sie zum Metzger zu bringen und vom Erlös für das Chanukkafest einzukaufen. Unterwegs geraten die beiden in einen Schneesturm. Auf wunderbare Weise werden sie durch einen Heuhaufen, in dem sie sich verkriechen können, gerettet. Diese Geschichte gehört seit dem ersten Lesen zu meinen Lieblingsgeschichten, und ich lese sie an jedem Chanukkafest immer wieder gern.

2. Szene Januar 2003

In der Berliner Staatsbibliothek ist eine Ausstellung über "300 Jahre jüdische Kinderbücher in Deutschland" zu sehen. Sie wurden zwischen 1976 und 1993 vom Ehepaar Hyams in der ganzen Welt zusammengetragen: Schulbücher, Lesefibeln, religiöse Schriften, Gebetbücher, Haggadot, Kinderkalender, Erzählungen und Romane, die nicht nur Einblicke in vernichtete jüdische Lebenswelten geben, sondern auch die gescheiterte Geschichte der deutsch-jüdischen Assimilation erzählen. Das älteste Buch ist eine Pessach-Haggada aus dem Jahr 1667. Eines der jüngsten Bücher ist ein Handbuch für jüdische Auswanderer aus dem Jahr 1938 als alle jüdischen Verlage verboten wurden. Zur Freude vieler Besucher waren die Exponate nicht nur hinter Glas zu bewundern. Eine Auswahl war kopiert und stand zum Lesen zur Verfügung.

Ganze Nachmittage verbrachte ich in dieser Ausstellung, blätterte Kinderbücher durch, las Jugendromane und studierte Lehrerhandbücher für jüdischen Religionsunterricht, wie es sie heute in dieser Art in Deutschland noch nicht wieder gibt. Da wurden Bausteine für einzelne Altersstufen entwickelt, welches Fest in welcher Altersstufe wie zu behandeln ist mit verschiedensten Varianten für unterschiedliche Vorkenntnisse des Hebräischen. Ich war begeistert, fasziniert, fassungslos und am Ende des Nachmittags tief traurig. Denn in meiner Grundschulzeit kannte ich kein jüdisches Buch in deutscher Sprache. Als 10jährige war ich stolze Besitzerin von sieben Metern Büchern. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich auch schon unzählige Bände in der Schulbücherei und der öffentlichen Bibliothek verschlungen und auch mein Taschengeld investierte ich regelmäßig in Bücher. Ob nun Pippi Langstrumpf, Hanni und Nanni, Bärchen Brumm Brumm oder die kleine Hexe, vor meiner Leselust war nichts sicher. Aber jüdische Kinder und jüdische Themen kamen nicht vor. Jüdisches kannte ich nur aus mündlichen Erzählungen.

3. Szene - letzte Novemberwoche 2003

Den ersten Chanukka-Abend verbringe ich regelmäßig mit einem befreundeten Ehepaar und dessen zwei Kindern. Der Junge ist eben in die Grundschule gekommen. Das Mädchen geht in den Kindergarten. Ich gehe in die jüdische Buchhandlung, weil ich den beiden ein Bilderbuch zu Chanukka mitbringen möchte. Es sind nur Bücher auf englisch und hebräisch erhältlich. Zlateh, die Geis gibt es weder als Bilderbuch noch als Hörspiel. Also werde ich wieder auf meine selbstgestrickte Übersetzung von "Dreidel-Cat" und seiner Katzenfrau mit den vier Katzenkindern Nun, Heh, Gimmel und Schin zurückgreifen, denen die Geschichte von Chanukka erzählt wird, die als Katzenfamilie glücklich mit Latkes das Fest begehen sich freuend, daß sie zusammen sind.

4. Szene - 1. Dezemberwoche 2003

In den Buchhandlungen und Buchabteilungen der Kaufhäuser brechen die Tische schier zusammen unter den Büchern zu Advent und Weihnachten für Kinder: Malbücher, Bastelbücher, Backbücher, Erzählendes und Gedichte. Und da wir im Medienzeitalter leben, kommen noch die vielen Kassetten, Computerspiele und Videos dazu. Für jüdische Kinder in Deutschland gibt es immer noch nichts Vergleichbares. Zwar finden sich in unterschiedlichen Büchern Geschichten zum jüdischen Lichterfest, aber die Zahl jüdischer Kinder in Deutschland ist zu klein als daß sie eine lohnende Zielgruppe für Verlage wären. Also behelfen sich Eltern und Miterziehende nach wie vor mit Büchern aus dem Ausland, Malvorlagen aus dem Internet oder der Kinderbeilage einer jüdischen Zeitung, falls es eine solche gibt.

5. Szene - 2. Dezemberwoche 2003

Könnte man nicht versuchen, einige der Erzählungen zu Chanukka, die es für Kinder gibt und die hier und dort einzeln verstreut sind, im Internet zu publizieren? Warum nicht mit Zlateh, der Geis beginnen? Die Rechte für die Geschichte hat der Verlag Sauerländer, der seit 2002 dem renommierten katholischen Verlagshaus Patmos gehört. "Der Name "Patmos" steht für die Insel, auf der der Seher Johannes seine geheime Offenbarung hatte. Patmos machte sich einen Namen als Verlag für katholische Theologie und Religionspädagogik. Seit den 60er Jahre vertrat der Verlag im theologischen Diskurs eine kritische Position" heißt es auf der Internetseite.

Per eMail erkläre ich der für Rechte und Lizenzen zuständigen Mitarbeiterin mein Anliegen. Umgehend kommt die Nachfrage nach Auflagenzahl und Erscheinungshäufigkeit des Mediums zurück. Ich erkläre, daß es keine Printversion von haGalil online gibt und gebe die Zugriffszahlen an.

10 Tage später wird mir per eMail Bedauern ausgedrückt. Man könne die Geschichte von "Zlateh, der Geis" nicht für eine Internetnutzung freigeben, denn diese Rechtevergabe wurde vom Orginalverlag nicht eingeräumt. Ich bitte um Auskunft, welches der Orginalverlag ist und bekomme keine Antwort mehr. Erstaunlich, daß man für diese Erkenntnis 10 Tage braucht, und noch erstaunlicher ist, daß der Orginalverlag Sauerländer im Besitz des Patmosverlags ist. Wo also soll das Problem sein?

Aber es geht noch weiter. Da die rechtlichen Fragen im Hinblick auf Internetnutzung so lückenhaft geklärt seien, könne man grundsätzlich nicht erlauben, daß Texte, Illustrationen und Musik aus Produkten der Verlagsgruppe verwendet würden. Das ist mir neu und erstaunt mich, denn in den letzten Jahren habe ich gelegentlich für haGalil online Kinder- und Jugendbücher rezensiert und immer wieder bei den Verlagen angefragt, ob das eine oder andere Kapitel als Leseprobe verwendet werden dürfe. Eine Ablehnung habe ich nie bekommen. Mit solch einer Leseprobe ist auch ein Werbeeffekt verbunden. Der entfällt natürlich, wenn das entsprechende Medium nicht auf dem Markt bzw. vergriffen ist.

6. Szene - einige Tage vor Weihnachten

Ich bin mit einer Klasse von Oberstufenschülern aus Brandenburg verabredet. Sie interessieren sich für jüdisches Leben heute, sind aufgeweckt und haben sich schon intensiv mit jüdischer Religion und Kultur beschäftigt. Wir sehen uns im jüdischen Kulturverein die Ausstellung "Begegnungen zwischen Ramadan und Chanukka" an. Zögernd will gegen Schluß ein Schüler von mir wissen, wie das mit der Normalität zwischen jüdischen und nichtjüdischen Leuten wäre; wie ich das einschätze und wieviel Zeit das noch brauchen wird.

Zu dieser Zeit hatte ich die Antwort des Patmosverlags noch nicht erhalten. Sonst hätte ich dem Schüler die Geschichte erzählt und gesagt: "Solange in Deutschland in Sonntagsreden immer wieder betont wird, wie sehr einem an neuem jüdischen Leben in Deutschland liegt und ein renommiertes katholisches Verlagshaus werktags nicht zu einer Geste menschlicher Großzügigkeit in der Lage ist um jüdischen Kindern eine Chanukka-Geschichte zugänglich zu machen, da sind wir von Normalität noch ganz weit entfernt".

hagalil.com 25-12-2003

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