Kurzgeschichte:
Krieg Im Supermarkt
Von Goren
Albahari
Gestern bat
mich meine Frau Erna in den Supermarkt zu gehen und ein Pfund Brot sowie
eine Tüte Milch zu holen. Da der Supermarkt gleich um die Ecke liegt,
erreichte ich ihn binnen kürzester Zeit. Es war fünf Uhr am späten
Nachmittag, als ich den großen Laden betrat.
Ich grüßte die
Kassiererin mit einem freundlichen Kopfnicken und begab mich ohne Umschweife
zum Brotregal. Ein junger Mann, den ich noch niemals zuvor in unserem
Supermarkt gesehen hatte stand breitbeinig und scheinbar unschlüssig vor
meinem Brotregal. Nicht, dass mich das weiter gestört hätte. Nein, nein, es
war vielmehr die Art und Weise in der er vor dem Regal stand. Seine
Körperhaltung hatte etwas gewalttätiges und provozierendes an sich. Wie
hypnotisiert stand er vor den Brottüten. Ab und zu streckte er seine rechte
Hand aus, holte ein Brot aus dem Regal, nur um es gleich wieder
zurückzulegen. Da ich von Natur aus ein geduldiger Mensch war, wartete ich
höflich zehn Sekunden.
"Sie brauchen
die Brotscheiben nicht zu zählen junger Mann, es genügt wenn sie das
Gewicht, das auf der Tüte aufgedruckt ist, prüfen." Das saß. Er zuckte wie
unter einem Peitschenhieb zusammen. Dann knurrte er irgend etwas, was sich
wie "Scheren sie sich um ihre eigenen Sachen" anhörte, und vertiefte sich
erneut in die Brotlektüre.
So war das also.
Er suchte Streit. Na, den sollte er haben. Das wäre ja noch schöner gewesen.
Zuerst in mein Territorium eindringen und dann noch beleidigend werden? So
etwas konnte und durfte ich in meinem Supermarkt nicht dulden.
Endlich hatte er
gefunden was er suchte. Er nahm die letzen dreißig Tüten Brot, sowie alle
einhundert Brötchen und verfrachtete sie in seinen Einkaufswagen. Ungläubig
starrte ich auf das jetzt leere Regalfach. Er hatte mir nicht einmal einen
Brotkrümel übrig gelassen.
Ich versuchte
ruhig zu bleiben, aber ohne Erfolg. Panik erfaßte mich. Was wenn er den
gleichen hinterhältigen Trick mit der Milch versuchte? Ich drehte mich auf
dem Absatz um und sprintete zum Kühlfach. Meine Befürchtung hatte sich
bewahrheitet. Jetzt packte der Kerl die Milchtüten in seinen Einkaufswagen.
Ich hätte mir in den Hintern beißen können vor Wut. Das wars, das schlug dem
Faß den sooft zitierten Boden aus. Dieser miese Typ hatte mir den Krieg
erklärt. Somit mußte er auch die Konsquenzen tragen. Ich rannte zum Eingang
zurück und holte mir einen Einkaufswagen. Dann lief ich im Laufschritt zur
Getränkeabteilung. Während der Feind noch immer mit den wehrlosen
Milchprodukten beschäftigt war, leerte ich rasch das komplette
Getränkeregal. Dann wandte ich mich der Schokolade und den Waffeln zu. Ich
mußte schnell handeln, wenn ich den Kerl besiegen wollte. Ich nahm mir nicht
die Mühe, die Produkte einzeln in den Wagen zu legen. Nein, ich benutzte
eine eigens für diesen Notfall von mir erfundene Taktik. Ich stellte den
Einkaufswagen direkt unter das betreffende Regal und schob die Ware mit
ausgestrecktem Arm in den Wagen. Auf diese Art und Weise hinterließ ich
nichts dem Feind. Apropos Feind. Ich schielte zu meinem Todfeind hinüber.
Er hatte jetzt
zwei volle Einkaufswagen neben sich stehen. Aha, er begann jetzt also
schwere Geschütze aufzufahren. Was der kann, kann ich schon lange. Ich
entriß einer älteren Dame ihren noch leeren Einkaufswagen. "Der Wagen ist
konfisziert, holen sie sich einen anderen!", schrie ich sie an. Ich sah wie
sie erschreckt zusammenzuckte.
Doch ich konnte
keine Rücksicht auf sie nehmen. Hier ging es um mehr als nur um eine alte
Dame. Hier ging es um den ganzen Supermarkt, ach was sage ich da, hier ging
es um die ganze Nachbarschaft. Denn so wie ich diesen rücksichtslosen Kerl
einschätzte, würde er nach der gewalttätigen Übernahme des Supermarktes
nicht Halt machen, sondern versuchen sich an unserer Nachbarschaft zu
vergreifen. Ich mußte ihm hier und heute die Grenzen aufzeigen. Die Zeit
wurde knapp. Es war kurz vor Ladenschluß. Im Eiltempo und ohne anzuhalten,
beförderte ich hunderte von Dosen, Päckchen, Rollen, Tüten, Würstchen, und
was mir sonst noch alles in die Hände kam, in den beschlagnahmten
Einkaufswagen. Plötzlich sah ich wie der Feind seine beiden Einkaufswagen
seelenruhig in Richtung Kasse schob. Dieser plötzlichen Truppenbewegung
mußte ich zuvorkommen.
Ich hievte den
letzten 50 Kg-Kartoffelsack in den Wagen und sprintete was das Zeug hielt
mit meinen vier Einkaufswagen auf die Kasse zu. Geschafft. Ich war noch vor
ihm an der Kasse. Das Blatt hatte sich verdientermaßen zu meinem Gunsten
gewendet.
Doch hoppla, was
war das? Mein militärisch geschulter Blick fiel auf die Waren neben dem
Kassenband. Mit einem überraschenden Angriff konnte ich noch fünfzig
Videokasetten, einhundert Batterien, zwanzig Rasiermesser sowie zweihundert
Zigarettenschachteln sicherstellen. Ich hörte wie der Feind hinter mir
resignierend die Luft durch die Nase einsog.
Ich hatte
gewonnen. Der Krieg war vorbei. Mit seinen zwei mickrigen Einkaufswagen
hatte er gegen mich keine Chance gehabt. Überglücklich stellte ich einen
Scheck über 5255 Euro und siebzig Cent aus. Der Schaden war verhältnißmäßig
klein im Vergleich zu der Gefahr, die dem Supermarkt und der gesamten
Nachbarschaft gedroht hatte.
Ich fühlte mich
als Held, als Retter. Mit stolzer Brust und schadenfreudigem Lächeln steckte
ich das Scheckheft wieder ein, als sich die Kassiererin an mich wandte:
"Herr Meyer, darf ich ihnen unseren neuen Mitarbeiter vorstellen. Das ist
der Herr Schulze." Der Feind nickte mir ungeniert zu und streckte mir sogar
unverfroren seine Hand entgegen. Seine Unverschämtheit kannte keine Grenzen.
Er sprach mich sogar an:
"Wie sie sehen mußten wir leider die ganzen Teigwaren und Milchprodukte
heute aussortieren, da das Gesundheitsamt....." Den Rest des Satzes hörte
ich schon nicht mehr.
Ich wachte erst
wieder im Krankenhaus auf. Meine Frau Erna saß besorgt neben meinem Bett.
Wie aus großer Entfernung hörte ich sie fragen: "Liebling, wo ist das Brot
und die Milch?"
Der Autor:
Goren
Albahari wurde 1958 in Belgrad, Jugoslawien geboren, und wuchs in
Deutschland auf. Dort studierte er Nachrichtentechnik an der FH
Giessen/Friedberg. 1984 wanderte er mit Kind und Kegel nach Israel aus.
Obwohl er in der High-Tech Branche tätig ist, galt seine wirkliche Liebe
schon immer dem Schreiben und der Literatur. Zur Zeit stellt er satirische
Kurzgeschichten zusammen, um sie bei gegebener Zeit und mit etwas Glück bei
einem interessierten Verlag zu veröffentlichen.
Kontakt:
goren_alb@yahoo.com
hagalil.com
21-12-2003 |