Protest-Aufruf:
Offener Brief an Paul Spiegel
Sehr geehrter Herr
Spiegel,
Unbehagen treibt mich
dazu, Ihnen meine Meinung zur Affäre Hohmann und zu Ihrer Rolle im Umfeld
dieser Affäre offen zu schreiben.
Über Herrn Hohmann
braucht man zu der in den letzten Tagen in der Öffentlichkeit geäußerten
Kritik nichts hinzuzufügen. Sie selbst haben sich ebenfalls in der
Öffentlichkeit geäußert und mit Recht darauf hingewiesen, dass die
CDU-Fraktion im Bundestag stärkeren Druck auf ihr Mitglied ausüben müsste.
Allerdings reicht das nicht aus. Hier kann man und muss man konsequenter und
schärfer durchgreifen. Und hier sind Sie gefragt. Ihrer Rolle als
Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland werden Sie mit Ihrem
Tun nicht gerecht.
Ich gebe zu, dass Sie
nicht jeden Antisemiten in Deutschland bekämpfen können und sollen. Es gibt
derer mehr als genug. Ich gebe zu, dass es auch im Deutschen Bundestag
Antisemiten geben kann, und dagegen können Sie nichts tun. Aber darum geht
es hier nicht. Mit Herrn Hohmann sitzt im Bundestag ein Mann, der nicht nur
Antisemit ist, sondern einer, der nationalsozialistisches Vokabular und
Gedankengut in seinen Attacken gegen Juden benutzt. Jemand, der so redet,
kann nicht als Vertreter des deutschen Volkes im Bundestag sitzen. Die Posse
um seine "Entschuldigung" macht die ganze Angelegenheit noch schlimmer. Sie
mag den Ministerpräsidenten von Hessen, Herrn Roland Koch zufrieden stellen,
das spricht aber nicht für Herrn Koch. Der Hinweis der
CDU-Bundestagsfraktion, dass man so etwas nicht wieder von Herrn Hohmann
hinnehmen würde, ist zu lächerlich, um ihn zu kommentieren ("nu, nu, nu,
aber ja nicht wieder").
Hier muss gehandelt
werden und in erster Linie müssen Sie handeln. Sie müssten täglich
Demonstrationen vor dem Bundestag organisieren, mit Transparenten, die
darauf hinweisen, dass aus diesem Haus 60 Jahre nach dem Krieg ein
Abgeordneter in Nazi-Jargon gegen Juden Propaganda macht. Solche Bilder
müssten durch die Welt gehen; in Israel und in Amerika sollte täglich
darüber berichtet werden. Es müsste der CDU so schmerzlich werden, dass sie
ihr Mitglied Hohmann aus der Fraktion ausschließt (aus dem Bundestag
hinauswerfen kann man ihn bekanntlich nicht).
Warum tun Sie nichts
Derartiges? Wollen Sie es sich etwa mit Herrn Koch oder mit Frau Merkel und
ihren Kollegen nicht verderben?
Ihr Vorgänger im Amt,
Herr Bubis, hat zusammen mit Herrn Michel Friedmann, großen Mut bewiesen,
als sie seinerzeit gegen das Theaterstück von Fassbinder "Der Müll, die
Stadt und der Tod" auf die Barrikaden gingen. Sie mussten gegen einen
angeblichen Linken zu Felde ziehen, der die so genannten Linken hinter sich
hatte, die angeblich die Meinungs- und Kunstfreiheit verteidigen wollten.
Ich weiß, hier braucht
man Mut. Aber Sie haben sich den Job ausgesucht, dann tun Sie ihn auch
richtig. Mit Herrn Hohmann hat sich nationalsozialistisches Gedankengut in
den Bundestag eingeschlichen. Hier ist eine Schmerzgrenze erreicht, die
nicht weiter erträglich ist. Hier muss gehandelt werden. Bloßes Reden reicht
nicht mehr.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gabriel Miller
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10-11-2003 |