Hohmann und der Kanzler:
Gemeinsamkeiten und DifferenzenMax Brym
3 linke Thesen zu Antikommunismus und Antisemitismus
1. Wer konsequenter Antikommunist ist, kann nicht entschieden den
Antisemitismus bekämpfen.
Denn alle gerechtfertigte Ablehnung gegenüber Hohmann
bleibt kurzatmig, wenn seine Aussage, die Oktoberrevolution wäre ein
Verbrechen gewesen, geteilt wird. Hohmanns Antisemitismus artikuliert sich
deutlich in der Aussage “Die Juden könnten aufgrund ihrer Rolle in der
russischen Revolution als Tätervolk bezeichnet werden“. Die Legende vom
“jüdischen Bolschewismus“ erfährt damit neuerlich irrationale Weihen. Wer
gegen diesen völkisch antisemitischen Unsinn ernsthaft argumentieren will,
muss sich selbst von jeder irrationalen Geschichtsinterpretation befreien.
Dazu genügt es nicht auf die soziologische Tatsache hinzuweisen, dass es
blödsinnig ist, ein Volk oder eine Nation in einen Sack zu stecken und
draufzuhalten. Im Gegenteil: Diejenigen Juden, die im Gegensatz zu anderen
Juden, an der russischen Oktoberrevolution 1917 und an der deutschen
Novemberrevolution 1918 mitwirkten, hatten gute Gründe, so und nicht anders
zu handeln. Ihr Handeln war absolut legitim, genauso wie die genannten
Revolutionen ihre historische Berechtigung hatten. Leider scheiterte die
deutsche Novemberrevolution 1918 endgültig im Jahr 1919; neben die Bahre von
Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht konnte die Wiege Adolf Hitlers gestellt
werden.
2. Die russische Revolution war auf ihre Art eine gigantische
Friedensbewegung.
Im Februar 1917 wurde der Zar gestürzt und es etablierte
sich neben der von unten kommenden Rätebewegung die bürgerlich provisorische
Regierung. Die Friedenssehnsucht war allgemein verbreitet, Russland hatte
aufgrund seiner Rückständigkeit besonders hohe Verluste im ersten Weltkrieg.
Insgesamt kostete der Weltkrieg 14 Millionen Menschen das Leben. Der
revolutionäre Wille, mit diesem Massaker Schluss zu machen, wurde von den
Bolschewiki gebündelt und mit dem Ziel verbunden, weltweit mit einem
Gesellschaftssystem aufzuräumen, das den ersten Weltkrieg verursachte.
Im riesigen Russland erstickten damals die bäuerlichen Massen an Landarmut.
Dem Ruf der Massen nach Land widersetzte sich die bürgerliche Regierung. In
den Städten herrschte größte Armut, der Hunger gehörte zum Alltag. Die
russischen Bolschewiki nahmen die Forderung der Massen auf und entwickelten
drei einfache Parolen: Frieden - Brot - Land. Unter diesen Losungen wurde
die Oktoberrevolution durchgeführt. Es war tatsächlich eine Revolution und
kein Putsch, es gab keine Verschwörung einer kleinen Clique. Niemals hätten
sich die Bolschewiki ohne breiteste Massenunterstützung gegen 14
ausländische Interventen im “Bürgerkrieg“ behaupten können.
Der Kriegskommisar der Roten Armee hieß Leo Trotzki. Die damalige
weißgardistische Reaktion versuchte die jüdische Abstammung von Leo Trotzki
zu instrumentalisieren. Dort, wo sie kürzere Zeit die Macht hatten,
veranstalteten die Weißgardisten antisemitische Pogrome und Schlächtereien.
Besonders wütete der antisemitische Mob in der Ukraine.
Wenn Hohmann den Bolschewismus genauso wie die konservativen Historiker in
Grund und Boden verdammt, dann ist in dieser unwissenschaftlichen und
inhumanen Geschichtswahrnehmung der Antisemitismus angelegt wie der Blitz in
der Gewitterwolke. Die die Oktoberrevolution wird hier nicht im konkreten
historischen Kontext auf der Basis einer materialistischen Analyse, sondern
aufgrund einer irgendwie gearteten absoluten Idee erklärt. Diese Idee wird
nicht nur von Hohmann, sondern auch von weit über den rechten Rand der
Sozialdemokratie reichenden Kreisen für grundsätzlich verbrecherisch
erklärt. Herr Hohmann ergänzt nur diese aberwitzige Sicht und bringt den
Juden als solchen, einschließlich entsprechender Verschwörungen, ins Spiel.
Der Irrationalismus gängiger Geschichtsbetrachtung steigert sich bei Hohmann
und General Günzel zum antisemitischen Wahn.
3. Ohne Antikapitalismus kann kein erfolgreicher Kampf gegen den
Antisemitismus geführt werden.
In Deutschland begann die Novemberrevolution am 3.11.1918
in Kiel. Matrosen weigerten sich ein weiteres Mal, in eine sinnlose Schlacht
auszulaufen. Sie forderten zuerst die Freilassung ihrer gefangenen
Kameraden, dann setzten sie die Offiziere ab und entfernten die kaiserlichen
Banner. Die Erhebung in Kiel breitete sich über das ganze Reich aus. Überall
bildeten sich Arbeiter, Bauern und Soldatenräte, erste Räterepubliken wurden
ausgerufen.
Bayern wurde durch Kurt Eisner zum Freistaat erklärt. Doch die
Massenerhebung wurde zerschlagen, es bildete sich ein Bündnis aus rechter
Sozialdemokratie, Reichswehr und den Freicorps. Letztere wendeten das im
Krieg erlernte rücksichtslos an. Später bildeten Freicorps die Basis für
Hitler und die SA. Dennoch sollte nicht vergessen werden: Einige
Errungenschaften der Novemberrevolution gelten bis heute und sollen jetzt
zerschlagen werden.
Der gesetzlich geschützte Tarifvertrag wurde 1918 erreicht, 1933
abgeschafft, 1948 wieder eingeführt und 1949 von der BRD übernommen.
Gegenwärtig laufen Bemühungen, um aus dem Tarifvertrag eine Farce zu machen.
Einzeln und wehrlos soll das Individuum der ökonomischen Macht
gegenüberstehen. Die Beseitigung sozialer Errungenschaften schreitet in
ungeheurem Tempo voran. Bundeskanzler Schröder hält sozialpolitische
Grausamkeiten, wie die drastische Senkung der Versicherungsleistungen und
die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für notwendig, um
den Standort Deutschland zu verteidigen.
Um den wirtschaftlichen Sozialdarwinismus durchzusetzen, braucht Schröder
die Hohmanns im Bundestag und Bundesrat. Die öffentliche Empörung gegen
Hohmann ist eher falscher Budenzauber. Hohmann brachte in seinen Reden nur
das kapitalistische Prinzip, dass der Stärkere den Schwächeren frisst, auf
den Punkt. Im allgemeinen Diskurs gelten Rentner, Arbeitslose,
Sozialhilfeempfänger und Asylbewerber nicht als Menschen, sondern als
Kostenfaktoren. In diesem Diskurs schwingt die Todesdrohung mit. Rassismus,
Menschenverachtung und Egozentrik gelten als hohe “Kulturgüter“. Der
Antisemitismus des Herrn Hohmann und seines Generals, musste auf die
Tagesordnung kommen.
Der Antisemitismus als höchste Form des Rassismus, mit dem scheinbar alles
erklärt werden kann, bietet mehrere Vorteile. Der Gedanke an Widerstand oder
gar Revolte, kann mit dem Antisemitismus nachhaltig denunziert werden. Der
Antisemitismus eignet sich für reaktionären irrationalen Antikapitalismus.
Viele Menschen verbinden die Gefährdung ihrer Existenz mit dem Geld. Dass
die Ausbeutung im Produktionsprozess stattfindet, wird nicht erkannt.
Bürgerliche Bildung vermittelt genau solche Erkenntnisse nicht. Ergo muss
hinter den wirtschaftlichen Unsicherheiten der Spekulant mit seinen
Zinsmachenschaften stecken. Wer dieser Spekulant ist, ist für den
Antisemiten klar. Der schon von Luther propagierte abstrakte deutsche
Arbeitswahn (arbeiten ohne nach der Nützlichkeit der Arbeit zu fragen) wird
von den Antisemiten auf die Spitze getrieben. Der Antisemit stellt dem
“arbeitsamen braven deutschen Volk“ ein “hedonistisches böses“ Gegenvolk
gegenüber. Der projizierte Jude verkörpert pure Lebenslust, Intellekt und
Sexualität (Kampagne gegen Friedman), beschäftigt sich mit bolschewistischen
Verbrechen (Leo Trotzki, Gregori Sinowjew, Karl Radek) und ist in seiner
plutokratischen Rolle (Stichwort Zwangsarbeiterentschädigung und Haim Saban)
für das wirtschaftliche Desaster verantwortlich.
Schröder scheint zu ahnen, welche Geister die kapitalistisch
sozialdarwinistisch durchgestylte Gesellschaft hervorbringt. Dies ist
besonders gefährlich aufgrund des historisch geformten deutschen
Volkscharakters und der antisemitischen Tradition. Da Schröder mit und für
die deutsche Industrie regiert, kann er keinen wirkungsvollen Kampf gegen
den Antisemitismus führen. Denn das gegebene Wirtschaftssystem ist grausam
und irrational. Menschen werden arm, nicht weil es zuwenige Güter gibt,
sondern weil zu viele vorhanden sind. Das Ganze nennt man
Überproduktionskrise. Die Produzenten schaffen Reichtümer, die sie
letztendlich arm machen. In der Wirtschaftskrise erreicht diese
Irrationalität eine neue Qualität. Solange dieser ökonomische Wahnsinn
existiert, muss er besonders in Krisensituationen ideologischen Wahn
hervorbringen.
Die Ideologieproduktion knüpft an historisch entwickelte Wahngebilde an. Der
Kanzler kann, da er jeden vernünftigen Diskurs über den Umgang mit der
kapitalistischen Krise im Zusammenspiel mit einer Vielzahl von Medien
ablehnt, keinen Kampf gegen die Struktur und Basis des Antisemitismus
führen.
[FORUM]
hagalil.com
09-11-2003 |