Alter Wein in neuen Schläuchen:
"Zentrum gegen Vertreibung"
Von Max Brym
Wohlig und ungefährlich hören sich die Befürworter
eines "Zentrums gegen Vertreibung" in Berlin an. Frau Steinbach, CDU
Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des "Bundes der Vertriebenen", wird
nicht müde, den Revanchismus-Vorwurf zurückzuweisen. Angeblich soll allen
Vertriebenen des 20. Jahrhunderts gedacht werden, das Zentrum will
"sämtlichen Vertriebenen in Europa, ein Denkmal setzen". Damit beginnt das
Problem, denn wenn die Ermordeten und vertriebenen Armenier (1915/16), die
vertriebenen Griechen und Türken (hauptsächlich nach dem ersten Weltkrieg)
und die malträtierten Albaner mit der Behandlung der Deutschen in den Jahren
1945/46 verglichen werden, dann sind alle unterschiedslos Opfer.
Historische Besonderheiten gibt es nicht mehr,
letztendlich wird die Schoa "normalisiert". Endlich kann über das angeblich
vergleichbare, individuelle Schicksal Geschichte entsorgt und die konkrete
Frage nach Schuld und Sühne umgangen werden. Über die nicht zu bestreitenden
Grausamkeiten, die einzelne deutsche Vertriebene erduldenden mussten, soll
ein neuer deutscher Opferdiskurs entstehen. Dieses Ziel wird mit einer
europäischen Tarnkappe anvisiert.
Dass die Aussiedlung ab 1945 eine konkrete Folge der
unsäglichen Verbrechen des Nazismus war, wird vernebelt. Statt dessen sollen
"Einzelschicksale" und die Suche nach "Opfergruppen" im europäischen Rahmen
die konkrete Unterstützung des Hitlerfaschismus durch die Mehrheit der
Deutschen verdrängen. Die Frage nach Ursache und Wirkung, eine Gesamtschau
auf historische Ereignisse, wird im Nebel der Mystik und des persönlichen
Schicksals ertränkt. Alle sind Opfer, besonders die Deutschen und demzufolge
historisch im Recht. Forderungen gegen die damaligen "Täter" werden gestellt
und eine Umkehrung der Opfer-Täter Rolle angestrebt. Es ist kein Zufall,
dass die Bundesrepublik Deutschland bis heute das "Münchner Abkommen" von
1938 nicht für null und nichtig erklärt hat.
Manöver gegen Tschechien
Die Süddeutsche Zeitung schreibt am 14. Oktober 03 über
den "Deutsch-Tschechischen Zukunftsfond": "Humanitäre Geste abgelehnt".
Gemeint war eine Forderung der "Sudetendeutschen Sozialwerke", aus dem Fond
eine Zahlung von 4,5 Millionen Euro zu erhalten. Diese Forderung lehnte der
Verwaltungsrat, dem die frühere tschechische Justizministerin Dagmar
Buresova und der Hamburger Ex- Staatsrat Helmut Bilstein vorstehen,
endgültig ab. Für die SZ scheint dies ein Skandal zu sein. Dabei ignoriert
die Zeitung vollständig, dass der "Deutsch-Tschechische Fond" offiziell den
Zweck haben sollte, Entschädigungszahlungen für tschechische KZ-Überlebende
und Zwangsarbeiter zu leisten. Der Fond wurde 1997 mit der kleinlichen Summe
von knapp 85 Millionen Euro ausgestattet. Zudem sollte er in Tschechien und
Deutschland die Erinnerung an die Naziverbrechen wach halten.
Der bayerische Ministerpräsident Stoiber unterstützte das
Anliegen der "Sudetendeutschen Landsmannschaft". Auch Außenminister Fischer
sprach sich in einem Brief an Stoiber im Frühsommer diesen Jahres für die
Zweckentfremdung der Stiftungsmittel aus. Der gelernte "Sponti" Fischer
fügte aber hinzu, "dass der Verwaltungsrat der Stiftung frei und unabhängig
entscheide". Offensichtlich will Fischer die tschechische Seite diplomatisch
eleganter unter Druck setzen. Im Frühjahr 2003, kam ihm die tschechische
Staatsführung entgegen. Präsident Klaus erklärte: "Die Gewalt, die Tschechen
Sudetendeutschen während der Vertreibung nach dem zweiten Weltkrieg angetan
hätten, sei nicht akzeptabel".
Sofort legte der deutsche Bundesrat nach und verlangte die
"Aufhebung der Benes-Dekrete". Das stieß in Tschechien auf große Empörung.
Es setzte sich die Erkenntnis durch: "Wenn man denen den kleinen Finger
gibt, verlangen sie die ganze Hand." Die Zumutungen des deutschen
Bundesrates wurden zurückgewiesen. In jenen Tagen sprach man von einer
ernsthaften Krise zwischen Deutschland und Tschechien. Aus der politischen
Spitze in Deutschland wurden Tschechien ernsthafte Konsequenzen angedroht.
Gemeint waren die Wirtschaftsbeziehungen und die angestrebte
EU-Mitgliedschaft Tschechiens. In dieser Hinsicht ist Tschechien tatsächlich
in einer schwachen Position. Das Land hat 21.7 Milliarden Dollar
Auslandsschulden und ein Leistungsbilanzdefizit von 2,6 Milliarden Dollar
(dtv-Jahrbuch 2004). Allein 2002 investierten internationale Kapitaleigner
in Böhmen und Mähren 8.Milliarden Euro, eine Steigerung von drei Milliarden
im Vergleich zum Vorjahr. Tschechien ist dank niedriger Löhne und Steuern,
gut ausgebildeter Arbeitskräfte und seiner geographischen Nähe vor allem für
deutsches Kapital ein wichtiges Investitionsziel.
Die meisten Investitionen stammen von deutschen Konzernen
und deutsche Banken, sie sind die größten Gläubiger des Landes. Die deutsche
Textilindustrie benützt Tschechien als "billiges Taiwan vor der Haustüre"
und VW dominiert die Skoda Werke in Pilsen. Der Pressemarkt, und somit die
publizierte Meinung in Tschechien, ist stark von der Passauer Neuen Presse
als wichtigem Eigentümer auf dem tschechischen Markt geprägt. Dennoch
widersetzt sich die Mehrheit der Tschechen einer deutschdurchtränkten
Geschichtsanalyse. Jene ist aber für den Ostdrang der deutschen Industrie
nötig, um ökonomische Interessen ideologisch zu unterfüttern.
Im eigenen Interesse nahm Tschechien während des Krieges
gegen den Irak eine "indifferente Haltung" ein, wie der Spiegel zu
kritisieren wusste. Gemeint war, dass sich die tschechische Regierung eine
andere Haltung zum Irak-Krieg der USA leistete als der deutsche Kanzler
Schröder. In einem Zeit-Interview erklärte der tschechische Präsident Klaus
zur Frage Europa und USA: "Wir lehnen es ab von einer europäischen
Zentralmacht dominiert zu werden". Der "politische Ränkeschmied Klaus" (dtv
Jahrbuch 2004) gilt als Störenfried bezüglich der angestrebten
EU-Verfassung. Er fordert "ein Land eine Stimme".
Die bundesdeutsche Politik hätte es gerne anders. Diese
"Eigenmächtigkeiten" sollen den Tschechen und Polen (Polen nannte Bush
"Unsere besten Freunde in Europa") ausgetrieben werden. Sowohl die
tagespolitische wie auch die historische Sichtweise soll auf Berlin
zentriert werden. Das "Zentrum gegen Vertreibung" hat hierbei eine wichtige
Schlüsselfunktion. Wer dem "Bund der Vertriebenen" das Gefasel von
historischer Gerechtigkeit und Menschenrechten abnimmt, weiß entweder, was
er tut, oder er glaubt noch an den Weihnachtsmann. Das Einzige, worum es
geht, ist die deutsche Geschichte zu entsorgen und den immer häufiger
vorgetragenen Willen "Wieder souverän in der Welt zu agieren" (Orginalton
Schröder) abzusichern.
Selbstverständlich hat das Ganze eine europäische
Perspektive, frei nach dem Motto: Und willst du nicht mein Bruder sein, so
schlag ich dir den Schädel ein.
hagalil.com
15-10-2003 |