Islamische Fundamentalisten:
Ein neues Phänomen in Kosova
Von Max Brym
Die in Prishtina erscheinende Zeitung "Koha Ditore"
(Tageszeitung) beschäftigte sich am 7.10.03 mit den Aktivitäten islamisch
fundamentalistischer Organisationen in Kosova. Dieses Phänomen ist relativ
neu. In Kosova sind ca. 70% der Albaner Moslems, fast 20% haben ein
römisch-katholisches Glaubensbekenntnis, der Rest gehört entweder keiner
religiösen Richtung an oder ist christlich-orthodox. Eine fanatische
Religionsinterpretation gehört nicht zur Geschichte der Albaner.
Im Gegenteil, die Gesetze des Kanuns (alter
Verhaltenskodex) und die Ideologie der 1878 gegründeten Liga von Prizeren,
waren bestimmende Elemente der nationalen Kultur. Friedrich Engels nannte
1878 die Liga von Prizeren die "fortschrittlichste bürgerlich demokratische
Strömung am Balkan". Der Parole der Liga von Prizeren: "Die Religion des
Albaners ist das Albanertum" richtete sich im Rahmen des Kampfes um
nationale Unabhängigkeit gegen die Hegemoniebestrebungen Serbiens und gegen
das osmanische Reich. Das Programm der "Liga von Prizeren" orientierte sich
stark an den Ideen der französischen Aufklärung.
Grundsätzlich gingen die Brüder Frasheri von einer
Trennung von Kirche und Staat aus. Besondere oder gar fanatische
Religiosität ist bis heute der absoluten Mehrheit der Albaner fremd. In
Prishtina ruft zwar am Freitag der Vorbeter zum Gebet, daneben geht der
Autoverkehr munter weiter. Frauen mit Kopftuch sind die absolute Ausnahme
und die Albaner wählten im Jahr 1999 eine "Miß UCK". Die Dame auf dem Poster
war extrem leicht bekleidet und posierte mit einer Kalaschnikow. Dies kann
kritisiert werden, spricht aber deutlich gegen eine islamisch-
fundamentalistische Orientierung.
Im Frühjahr 1999 fand in Ägypten ein Prozeß gegen
Angehörige der Muslembruderschaft statt. In der internationalen Presse wurde
das Verfahren damals "Albanerprozeß" genannt, weil neun der Hauptangeklagten
von der albanischen Regierung an Ägypten ausgeliefert wurden. Der
Hauptangeklagte erklärte über seine Zeit in Albanien und über seine
Anbiederungsversuche an die UCK: "Das sind ungläubige Menschen, die Frauen
gleich behandeln und kämpfen lassen, diese Leute trinken Alkohol und essen
Schweinefleisch, auch das Gebet spielt keine Rolle". Trotzdem warnt jetzt
die liberale Tageszeitung Koha Ditore vor islamisch fundamentalistischen
Kräften in Kosova.
Warum gibt es jetzt Probleme ?
Völlig neu für die Gesellschaft in Kosova ist das, was
Koha Ditore beschreibt. In der Zeitung ist zu lesen: "Basketballfans
skandieren leidenschaftlich religiöse Slogans (Allah Akbar)" und weiter
"wenn man das hört, kommt man nicht umhin, sich zu wundern und zu fragen:
Sind Sportereignisse der Ort für die Äußerung religiöser Gefühle?" Die
Zeitung nennt den Zustand paradox, "denn niemand würde doch auf den Gedanken
kommen, ein Sportereignis in einer Moschee stattfinden zu lassen". Der Autor
des Artikels unterscheidet zwischen "dem Phänomen des Hooliganismus", auf
den die Öffentlichkeit mit Ablehnung reagiert, und der Erscheinung, "dass
das Anfeuern bei Sportereignissen mit der Darstellung religiöser Gefühle
verbunden ist".
Die Zeitung mahnt das Publikum, diese Ereignisse ernst zu
nehmen. Es wird ein Vergleich mit der historischen Entwicklung im Libanon
gezogen. Im Artikel ist zu lesen: "Im Libanon waren kurz vor dem
Bürgerkrieg, wenn auch angestiftet von äußeren Faktoren, Gebete (
muslimische wie christliche ) in den Sportstadien zu hören, um die Gegner zu
provozieren."
"Identitätskrise"
Wie sind solche Erscheinungen zu erklären? In Kosova gibt
es eine tiefe soziale und kulturelle Krise. Offiziell liegt die
Arbeitslosigkeit bei 57%, in Wirklichkeit ist die Zahl wesentlich höher. Ein
Pensionist erhält oft nur eine Rente von 20 bis 35 Euro im Monat. Das
Durchschnittseinkommen eines Arbeiters liegt bei 135 Euro. Reguläres
Arbeitslosengeld gibt es in Kosova nicht. Beschäftigungslose sind auf die
finanziellen Zuwendungen der Arbeitsemigration angewiesen. Die Preise in
Kosova sind zu 80% mit den Preisen in Deutschland vergleichbar. Wer Glück
hat, bekommt gelegentlich noch Zuwendungen von NGO- Organisationen.
Allerdings folgen die NGO-s aus Westeuropa einem alten
russischen Sprichwort: "Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter". Immer
mehr humanitäre Organisationen stellen trotz der verheerenden Situation ihre
Arbeit in Kosova ein. Neue Krisenherde locken und das "spendable"
Kleinbürgertum im Westen will mit neuen "Krisenartikeln" bedient werden.
Islamisch-fundamentalistische Organisationen pflegen eine andere
Geschäftsphilosophie. In Kosova werden die Aktivitäten intensiviert, dies
reicht von der Suppenküche über Kleiderverteilstation, bis hin zur
systematischen Kaderrekrutierung. Junge Menschen soll nach Koha Ditore,
"eine religiöse Militanz beglücken, die viele Dinge verspricht, eine
imaginäre religiöse Gemeinschaft auf Erden und die Erlösung in der nächsten,
übernatürlichen Welt."
Dabei steht der Westen im Fokus der Kritik. Die Zeitung
berichtet von einem jungen Kosovaren, der in Syrien einen längeren
Religionsunterricht erhalten hat. Nach seiner Rückkehr, sagte er gegenüber
einem Freund: "Die Straßen von Prishtina wirken auf mich wie die Straßen der
Hölle." Unter Hölle verstand der junge Albaner nicht die in der Tat widrigen
sozialen Verhältnisse, sondern das Cafehaus, die Medienvielfalt, die
sichtbare Gleichberechtigung der Frauen, das freie Wort, all das, was zur
modernen bürgerlichen Aufklärung gehört.
Die "Rebellion" der islamischen Fundamentalisten ist eine
großzügig gesponsorte reaktionäre Angelegenheit. Sie kämpfen nicht für das
irdische Glück der Unterdrückten und Beleidigten, im Gegenteil, das Unglück
wird verklärt und die bestehenden negativen Zustände sollen pervertiert in
eine faschistoide islamistische Barbarei verwandelt werden. Koha Ditore tut
gut daran, vor dieser Gefahr zu warnen und zu schreiben: "Diese Tendenzen
können die Schaffung eines modernen und demokratischen Staates Kosova
verhindern".
Islamisten und die albanische Emigration
Auch in Deutschland kann dem aufmerksamen Beobachter die
zunehmende Aktivität von fundamentalistischen Organisationen unter der
albanischen Emigration nicht entgehen. Obwohl sie keinerlei
Massenverankerung haben, errichten sie ein albanisch- islamisches Zentrum
nach dem anderen. Gesponsort werden solche Einrichtungen nicht von
albanischen Vereinen, sondern das Geld kommt aus anderen Quellen. In München
ist ein solcher Laden in der Schwanthalerstraße, schräg gegenüber vom
Gewerkschaftshaus. Das Zentrum hat zwei Schaufenster, in einem davon wird
Literatur in deutscher Sprache zum Islam angeboten. Die angebotenen Titel in
deutsch wirken relativ harmlos. Im anderen Fenster liegen in albanischer
Sprache faschistische, islamistische antisemitische Bücher. Die Werke
französischer Geschichtsrevisionisten und von Shoa Leugnern, Schriften von
Konvertiten wie Roger Garaudy befinden sich im Schaufenster.
Die albanische Gemeinschaft in München steht den
Organisatoren solcher Zentren in ihrer absoluten Mehrheit ablehnend
gegenüber. Sie begreifen solche Vereinigungen als Bedrohung, da sie vom
islamischen Fundamentalismus nichts halten. Der Antisemitismus hat innerhalb
der albanischen Bevölkerung keinerlei Tradition. Dennoch finden sich
Albaner, die auf den islamischen Fundamentalismus hereinfallen, einige wegen
der Knete, andere weil sie überzeugt wurden. Der religöse Fundamentalismus
stellt die Brücke zum rassistischen Antisemitismus her. Über die
antitalmudistische Agitation der Fundamentalisten wird nicht nur religiöser
Antijudaismus befördert, sondern direkter offener Antisemitismus.
In der seriösen, deutsch und albanischsprachigen
Internetzeitung Kosovainfo.de befand sich im Frühsommer dieses Jahres im
Forum ein Artikel mit dem Titel: "Die Juden und ihr Rassismus". Der
Schreiber des Artikels leitete den angeblichen jüdischen Rassismus aus dem
Talmud ab. Positiv konnte vermerkt werden, dass sofort in vielen Beiträgen
dagegen Stellung genommen wurde. Die Beiträge wurden allesamt von Albanern
geschrieben. Mittlerweile hat die Redaktion den antisemitischen
Forumsbeitrag entfernt. Das zeigt das Kräfteverhältnis, es zeigt aber auch
mehrere Probleme auf.
Fazit
Die meisten Albaner, sind in ihrer Einstellung zur
Religion relativ tolerant. Für sie ist Religion Privatsache. Die islamischen
Fundamentalisten stellen diese Haltung in Frage, zudem werden die
mehrheitlich muslemisch orientierten Albaner durch die Fundamentalisten
diskreditiert. Arabische Gelder haben den Zweck, die Albaner vom Kampf gegen
die reale rassistische Unterdrückung in den Metropolen abzuhalten und die
Zukunft Kosovas zu gefährden. Über den Antisemitismus wird versucht, die
albanische Geschichte und Realität in das Gegenteil zu verwandeln. Diesen
"Versuchungen" muß widerstanden werden.
hagalil.com
28-10-2003 |