Theodor Lessing Preis für Aufklärerisches Handeln:
Rede von Ilka Schröder
Preis für aufklärerisches Handeln:
Ilka
Schröder erhält Lessing Preis
Frau Schröder hat sich im Europäischen Parlament vielfach dafür
eingesetzt, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss
einzuberufen, der die Finanzierung der Palästinensischen
Autonomie-behörde durch die Europäische Union überprüft und
transparenter macht...
"Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Haben Sie herzlichen Dank für Ihre Einladung und die
Verleihung dieses Preises an mich. Sie haben mir für mein Engagement gegen
die EU-Politik im Nahen Osten und die indirekte Finanzierung antisemitischer
Terror-Attacken einen Preis für aufklärerisches Handeln verliehen. Lassen
sie mich ein paar Worte über die Grenzen der Aufklärung sprechen.
Schnittlauch, meine Damen und Herren, hat mit Antisemitismus
und Antizionismus eigentlich gar nichts zu tun. Außer wenn das reizvolle
Küchenkraut aus Israel kommt und in die EU eingeführt werden soll. Dann kann
dieses Lauchgewächs Auslöser heftigster antizionistischer Hassattacken sein,
und zum Beweis dafür werden, dass Israel absichtlich und aus Prinzip gegen
das Völkerrecht, gegen abgeschlossene Verträge und gegen Treu und Glauben
verstößt — jedenfalls, wenn das Europäische Parlament, wie vor zwei Wochen,
über das Assoziierungsabkommen mit Israel diskutiert.
Die Sache ist eigentlich recht einfach: Waren aus Israel
unterliegen bei der Einfuhr in die EU, wie Waren aus vielen anderen Ländern
auch, geringeren Zöllen. Das wurde in den 70er Jahren vereinbart, als die
Europäische Gemeinschaft noch ein treuer Verbündeter von USA und Israel war.
Heute will man Israel destabilisieren und schwächen, um diesem Staat einen
Frieden aufzuzwingen, der ihn wehrlos macht. Ein Mittel dazu können auch
Zölle auf Schnittlauch sein — und auf anderes Obst und Gemüse. Zwischen
Israel und der EU gibt es bekanntlich Meinungsverschiedenheiten darüber, was
die Grenzen von Israel sind, und was die Hauptstadt von Israel ist. Die EU
betrachtet Gaza, Westbank und Ost-Jerusalem als Palästina, Israel hält den
Status für völkerrechtlich ungeklärt, bis es einen endgültigen
Friedensvertrag gibt. Die EU möchte Israel nun ihre Sicht aufzwingen, in dem
sie Produkte aus den sog. "besetzten Gebieten" und aus Ost-Jerusalem mit
höheren Zöllen belegen will.
Allerdings nicht alle Produkte. Die EU will nur jene Produkte
aus diesen Gebieten, die von Juden produziert werden, mit höheren Zöllen
belegen, denn mit den Palästinensischen Autonomiegebieten hat die EU ja auch
ein Zollabkommen.
Wären Sie vor drei Wochen in Straßburg gewesen, Sie hätten
angesichts der Debatten über Israel nicht geglaubt, dass die Europäische
Union einer der größte Finanziers des Kriegs gegen Israel ist. Es wäre Ihnen
unwahrscheinlich vorgekommen, dass europäische Länder Schulbücher mit
antisemitischen Texten finanziert haben, und Sie hätten es für ein Gerücht
gehalten, dass im Europäischen Parlament eine Fotoausstellung über den
angeblichen "Apartheidstaat" Israel stattgefunden hat - während man übrigens
eine Ausstellung über den türkischen Völkermord an den Armeniern 1917
verboten hat, weil man befürchtete, sie sei zu kontrovers.
Der Gestus, mit dem Israel angeklagt wird, und zwar nicht nur
der illegalen Einfuhr von Schnittlauch wegen, ist der des getäuschten
Gutmütigen, der jetzt endgültig der Geduldsfaden gerissen ist. Man hat sich
wirklich bemüht, Israel seine Existenz zu verzeihen. Aber dieser Staat will
einfach nicht aus Dankbarkeit für dieses großzügige Entgegenkommen alle
Waffen strecken und sich dem europäischen Protegé Arafat auf Gnade und
Ungnade ergeben. Darum verlangt man im Europäischen Parlament, welches
glücklicherweise wenig zu sagen hat, die Aufhebung des
Assoziierungsabkommens. Die Kommission ist da gelassener, sie treibt Handel
mit Israel und finanziert den palästinensischen Krieg.
Nun gehört Heuchelei zur Politik dazu, insbesondere in der
Europäischen Union. Jeder weiß, dass wenn die Kommission eine Empfehlung für
"leichter zugängliche, gerechtere und besser funktionierende Asylsysteme"
vorlegt, es darum geht, die Opfer europäischen und amerikanischen
Wirtschaftswachstums schneller in die Folterkeller der geschätzten
Handelspartner zurückzutransportieren.
Und doch geht es um mehr, als nur um Heuchelei, wenn man sich
das wachsende europäische Selbstbewusstsein gegen Israel und die USA
ankuckt. Denn es sind nicht nur ein paar Vorder- und Hinterbänkler im
sowieso recht unwichtigen Europäischen Parlament die gegen Israel hetzen;
und Antizionismus ist auch nicht nur das Steckenpferd von Außenkommissar
Christopher Patten. Das Wachsen des Antiamerikanismus und Antizionismus in
Europa, die Zunahme antisemitischer Übergriffe in Europa zeigen, das wir es
mit einem bedrohlichen Bündnis von offizieller Politik und Massenstimmung zu
tun haben. Dass in diesem Bündnis linke Gesellschaftskritik zur Planke im
europäischen Ticket verkommt, dass die Linke in den letzten zwei Jahren zum
Backstage-Chor der EU-Großmachtpolitik wurde, das alles ist tragisch.
In einer Zeit, in der wieder einmal weltweit "die Juden" an
allem Schuld sein sollen, was der globalisierte Kapitalismus so anrichtet,
ist das Bündnis zwischen europäischem Antizionismus und arabischem
Antisemitismus, das Israel zu destabilisieren und in letzter Konsequenz zu
zerstören sucht, sehr bedrohlich. Dieses Bündnis ist umso effektiver, als
dass es die Emanzipation der EU von den USA begleitet.
Die Europäische Union ist seit dem Oslo-Prozess einer der
wichtigsten Geldgeber der Palästinensischen Autonomiebehörde. Als die ersten
Vorwürfe laut wurden, diese Mittel könnten benutzt worden sein, um der PA
"Schwarze Kassen" zur Finanzierung ihres Kriegs gegen Israel zu schaffen,
habe ich eine Initiative gestartet, einen Untersuchungsausschuss im
Europäischen Parlament einzurichten.
Dass die Hilfen der Europäischen Union für die PA nicht
ordentlich ausgegeben wurden, ist im Parlament und in der Kommission ein
offenes Geheimnis. Trotzdem gab es viel Widerstand dagegen, einen
Untersuchungsausschuss einzurichten.
Das ist auch kein Wunder, wenn man sich die europäische
Politik in diesem Bereich ansieht.
Denn die EU ist bei diesem Krieg — und es ist ein Krieg gegen
Israel, den die PA da führt — alles andere als ein neutraler Beobachter.
Seit Beginn der 90er Jahre versucht die EU — basierend auf den
hervorragenden Beziehungen, welche die BRD zu den meisten arabischen Ländern
hatte und hat — in dieser Region eine Rolle zu spielen. Man kann sagen, das
nach dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 der Friedensprozess im Nahen
Osten das nächste Testfeld europäischer militärischer Großmachtambitionen
ist. Das haben damals auch hellsichtige israelische Politiker schon während
des Bombardements von Belgrad prognostiziert. Die EU hat sich seit 1992 zur
Schutzmacht der Palästinenser aufgeworfen. Dabei agiert die EU nicht nur als
einheitlicher Staatenbund, auch verschiedene Mitgliedsländer tun sich hervor
— auf der Ebene diplomatischer Unfreundlichkeiten gegen Israel wie durch die
direkte Unterstützung palästinensischer Einrichtungen.
Nach außen hin erklären die Einrichtungen der Europäischen
Union immer, dass sie — ganz ausgewogen — beide Seiten ermahnen würden, doch
wieder Frieden miteinander zu halten. Doch wer die Resolutionen liest, wer
die Politik der EU verfolgt, der weiß, dass dem nicht so ist. Man muss nur
einmal im Foyer des EP die Ausstellungen über Israel und Palästina sehen, in
denen Israel des Soziozids beschuldigt wird, und als Apartheid-Staat
gebrandmarkt wirkt, um zu wissen, auf welcher Seite die EU steht. Während
die israelische Seite immer wieder mit konkreten Forderungen konfrontiert
und jeder Schritt Israels ausführlich kommentiert und kritisiert ist, wird
von der PA immer nur abstrakt gefordert, alles mögliche gegen die Attentate
zu tun. Man ist wirklich gegen Selbstmordattentate. Auch wenn sie von den
Stellen, die man mit Geld versorgt, in Auftrag gegeben werden. Verständnis
hat man aber selber sehr viel, und darum kann man Zweifel daran haben, dass
die EU-Offiziellen bei Treffen mit ihren Schützlingen von Hamas, Fatah und
anderen Mörderbanden allzu lange auf dem Thema Selbstmordattentate
insistierten.
Die propagandistische Unterstützung wird durch die
finanzielle ergänzt.
Während der letzten zwei Jahre (2000-2001) belief sich die
tatsächlich gezahlte Gesamtsumme der EU-Hilfen in den Palästinensischen
Gebieten auf mindestens 330 Millionen Euro.
An einem besonders frappanten Beispiel möchte ich Ihnen
zeige, worin die EU-Politik besteht. Mit dem MEDA-Programms unterstützt die
EU die Mittelmeer-Anrainer-Staaten. Dieses Programm wurde plötzlich wichtig,
als kurze Zeit nach dem Ausbruch der Al-Aqsa-Intifada Israel beschloss,
bestimmte Steuern und Abgaben, die Israel bis dahin für die PA eingezogen
hatte, nicht weiter an die PA zu übermitteln, sondern einzufrieren. Die
israelische Regierung begründete diesen Vertragsbruch damit, dass die PA mit
ihren Geldern terroristische Aktivitäten gegen Israel unterstütze. In dieser
Situation beschlossen die Europäer nicht, wie man vermuten möchte, der Sache
auf den Grund zu gehen, und zu überprüfen, ob solche Vorwürfe an den
Empfänger von so viel europäischem Geld begründet seien. Die Vorwürfe wurden
vielmehr pauschal als "israelische Propaganda" abgetan. Ende des Jahres 2000
wurde der Beschluss gefällt, der PA kurzfristig 90 Millionen € zusätzlich
zur Verfügung zu stellen, allerdings unter Auflagen, unter anderem einer
ordentlichen Kontrolle . Wiewohl die PA erklärte, diese Forderungen
einhalten zu wollen, geschah eher das Gegenteil. Das hielt die
EU-Außenminister im Juni 2001 aber nicht davon ab, der PA fortlaufend 10
Millionen Euro pro Monat per direkter Budgetzuzahlung zur Verfügung
gestellt. Diese Direktzahlungen belaufen sich auf mehr als 10% des gesamten
Budgets der PA.
Also, um es noch mal zu verdeutlichen: Israel sagt, es gibt
kein Geld mehr, weil es befürchtet, dass dies für antisemitische Terrorakte
verwendet werden könnte — und die EU hat nichts Eiligeres zu tun, als genau
in diese Finanzlücke zu springen und das Geld zur Verfügung zu stellen. Und
zwar als direkte Budgetunterstützung, d.h. als nicht-zweckgebundene,
allgemeine Unterstützung.
Die Reaktion der Kommission auf das Material, das die
Israelis vorlegten, war — vorsichtig ausgedrückt — nicht sonderlich
überzeugend. Letztlich wiederholte der zuständige Kommissar dauernd, es gäbe
keine Anhaltspunkte für die Vorwürfe. Wenn er doch mal zu einem der vielen
"nicht-existenten" Anhaltspunkte Stellung nahm, dann wich er allen konkreten
Vorwürfen aus, machte absurde Vergleiche, widerlegte Vorwürfe, die niemand
gemacht hatte, erläuterte technische Details, die mit der Angelegenheit
nichts zu tun hatten — und dies mit der einschläfernden Beharrlichkeit einer
tibetanischen Gebetsmühle.
Wundert es Sie jetzt noch, dass das Europäische Parlament
nicht ernsthaft vorhat, zu überprüfen, ob die Gelder europäischer
Steuerzahler benutzt worden sein könnten, um antisemitische Mordanschläge zu
finanzieren? Man hat wirklich Wichtigeres zu tun. Ich sage nur:
Schnittlauch.
Aber warum sollte die Palästinensische Autonomiebehörde
überhaupt Geldmittel für antisemitische Terrorakte verwenden? Ein Blick auf
die gesamtpolitische Situation kann das beantworten. Es ist mittlerweile
durch eine Fülle von Fakten erwiesen, dass die sogenannte Al-Aqsa-Intifada
ein von der PA geplanter Krieg war, beruhend auf dem Beschluss, sich von dem
Besuch Ariel Sharons auf dem Tempelberg provoziert fühlen zu wollen. Das
Ziel des Kriegs war es, von Israel die Gründung eine palästinensischen
Staates zu den Konditionen der PA zu erzwingen. Die PA hat für ihren Krieg
gegen Israel von der palästinensischen Gesellschaft keinen Widerstand,
sondern vielmehr begeisterte Zustimmung erhalten hat. Das ist eine Folge
davon, dass seit Mitte der 90er Jahre in den PAG und in allen anderen
arabischen Ländern eine wahre Flut von antisemitischer Literatur erschienen
ist, die reißenden Absatz fand. Darunter zum Beispiel die "Protokolle der
Weisen von Zion", Fords Buch über "die internationalen Juden" oder Adolf
Hitlers "Mein Kampf". Partiell handelt es sich aber auch um höchst moderne
Holocaust-Leugnungs-Literatur aus Europa und den USA, teilweise eigene
Arbeiten von syrischen, saudi-arabischen, libanesischen oder
palästinensischen Autoren. Unter diesen Autoren befinden sich hohe
Funktionäre der jeweiligen Regimes; antisemitische Hetzartikel finden sich
in regierungsnahen Zeitungen; antisemitische Statements werden von
offiziellen Studentenverbänden und angesehenen Professoren auf nationalen,
pan-arabischen und internationalen Konferenzen formuliert. Die ganze
Verbreitung dieser Literatur wäre ohne die wohlwollende Unterstützung oder
mindestens stillschweigende Duldung des jeweiligen Staatsapparates, als auch
der PA gar nicht möglich. Auch die neuen Schulbücher, von der PA produziert
und von verschiedenen europäischen Ländern finanziert, sind nicht frei von
antisemitischen Klischees.
Die geistige Mobilmachung gegen Israel hatte also schon lange
vor dem September 2000 begonnen.
Wir wissen natürlich wenig über die Vorgänge in der
palästinensischen Gesellschaft. Nicht nur wegen sprachlicher Barrieren,
sondern auch, weil Oppositionelle und so genannte Kollaborateure durch
Terror und Einschüchterung zum Schweigen gebracht werden. Es scheint jedoch
so, als ob der Antisemitismus Wurzeln im Nahen Osten geschlagen hat, dass
ein eigenständiger arabischer Antisemitismus entstanden ist. Wir sollten uns
darum nicht in der falschen Sicherheit wiegen, die antisemitische Welle in
der arabischen Welt, sei nur eine kurzfristige Blüte der Kriegspropaganda,
die mit einer Entspannung der Situation wieder verschwinden würde.
Es ist klar, dass bei der Verfolgung der Kriegsziele
antisemitische Terrorakte eine große Rolle spielen. Sie machen das Leben in
Israel schwer erträglich, sie führen zu einem Ansteigen der Auswanderung und
zu einem Sinken der Einwanderung. Im übrigen können die Israelis tun und
lassen, was sie wollen — für ihre Gegner ist es immer nur Ausdruck des
"zionistischen Imperialismus".
Das Ziel dieses Kriegs gegen Israel ist die Destabilisierung
der israelischen Gesellschaft, die Schwächung Israels als militärischer und
politischer Faktor und letztendlich die Zerstörung Israels. Die Anschläge
auf Israelis werden nicht nur von oppositionellen Kräften in den PAG verübt,
sondern von Brigaden, die der Fatah nahe stehen. Sie werden logistisch und
militärisch von Polizei- und Geheimdienstapparaten der PA unterstützt, es
werden von Israel als "Terroristen" gesuchte Leute auf die Gehaltsliste der
PA gesetzt. Nun gibt es, um es einmal polemisch zuzuspitzen, einen
Wettbewerb in Sachen Mord und Totschlag: Zwischen den Brigaden, die der PA
nahe stehen auf der einer und jenen Einheiten, die von Syrien, dem Iran und
bis vor Kurzem dem Irak bezahlt wurden auf der anderen Seite. Diese
Konkurrenz findet natürlich auch auf finanziellem Gebiet statt. Wer zahlt,
bestimmt die Melodie. Die PA hat noch ein paar zusätzliche Nachteile, die
sie ausgleichen muss, will sie nicht die Kontrolle verlieren: Ihre
Doppelstrategie, Anschläge zu verüben und mit Israel über ein Ende des
Terrors zu verhandeln, könnte in den Augen der antisemitisch verhetzten
Bevölkerung wie Verrat an der palästinensischen Sache wirken. Außerdem muss
die PA auch von ihrer Verantwortlichkeit für die Lebensumstände in den PAG
ablenken.
Sie werden mir die Ausführlichkeit verzeihen, aber ich denke,
dass ohne diesen Kontext nur schwer zu verstehen wäre, warum der — so gut
wie bewiesene — Vorwurf von "Schwarzen Kassen" der PA fast automatisch zur
der Vermutung führt, dass aus diesem Schattenhaushalt Anschläge gegen
israelische Bürger und Einrichtungen finanziert wurden.
Bleibt die Frage offen, warum die Europäische Union, warum
das Europäische Parlament dies scheinbar nicht wahrhaben will. Ich denke,
dass dies an einer weitgehenden Interessenidentität zwischen EU und PA in
Bezug auf den Konflikt liegt. Diese wesentliche Übereinstimmung ist die
sogenannte "Internationalisierung des Konflikts". Die PA wünscht diese
Internationalisierung, weil sie sich von den Europäern eine engagierte
Parteinahme für ihre Interessen verspricht. Nicht zu unrecht, wie man
vermuten darf.
Die EU als Staatenbund will die Internationalisierung des
Konflikts, um den Bedarf nach ihrer Vermittlerrolle deutlich zu machen. Je
länger und härter der Konflikt ausgetragen wird, umso deutlicher zeigt sich
nach europäischer Lesart, dass die USA nicht in der Lage sind, den
Friedensprozess zu moderieren. Daraus schlussfolgert die EU, dass beide
Seiten einfach, des guten Onkels aus Europa mit seinen demokratischen und
ökologischen Werten, seinem Sozialstaat und seiner Zivilgesellschaft
bedürfen, um diesen Konflikt zu lösen. Wie gut für beide Seite, dass es
Europa gibt, und wie schlecht für die Welt, dass die eine Seite, nämlich
Israel, sich einfach eine Wild-West-Politik à la USA leistet. Der
Bewusstseinszustand des durchschnittlichen Parlamentsmitglieds unterscheidet
sich von dem durchschnittlichen Teilnehmer einer deutschen
Friedensdemonstration nicht, und ich halte diese Mischung aus Naivität,
Moralismus, Antiamerikanismus und Antizionismus für eine ernsthafte Gefahr.
Die EU leistet sich den Zynismus, den Konflikt, den sie
angeblich so gerne gelöst sehen möchte, am Kochen zu halten, in dem sie die
eine Seite finanziert. Denn nur so lange der Krieg dauert, gibt es auch
Bedarf für eine Lösung. Deswegen darf die PA natürlich nicht vorher klein
beigeben — also muss sie so gestärkt werden, dass sie weiter machen kann.
Das ist der ziemlich unmenschliche Zweck der humanitären Hilfe der EU. Die
Palästinenser spielen hier die unschöne Rolle des Kanonenfutters für
Europe's hidden war against the US . Nur nebenbei sei bemerkt, dass das
vermutlich niemand von denen "anti-arabisch" findet, die sonst dieses Wort
so gerne in den Mund nehmen.
Nun werden die Befürworter dieser Beihilfen einwenden, dass
es der EU nur darum gehe, die Leiden des palästinensischen Volkes zu
mildern. Doch das scheint mir selbst bei der humanitären Hilfe fragwürdig.
Nicht nur, weil PA-Beamte Lebensmittelhilfen verkauft haben, also die
europäischen Konservenbüchsen ihre eigentlichen Empfänger gar nicht erreicht
haben. Ich möchte an dieser Stelle von den eher kleinbürgerlichen Formen der
Korruption und Erpressung schweigen, die sich die hohen und kleinen
Funktionäre der PA leisten. Vorsichtig formuliert: Angesichts der Höhe der
Hilfen für die PAG, ist es merkwürdig, dass Unterernährung und
Mangelversorgung dort so weit verbreitet sind.
Auch die Rolle der UNO ist in diesem Zusammenhang äußerst
fragwürdig. Es ist nicht nur das UN-Flüchtlingshilfswerk für Palästinenser,
das in trauter Zusammenarbeit mit den arabischen Staaten alles tut, um das
Flüchtlingsproblem offen zu halten, und damit der PA ein Mittel in die Hand
gibt, mit der Forderung nach einem "Rückkehrrecht" jeden ernsthaften
Friedensprozess zu verhindern. Schaut man sich die UN-Resolution an, die
permanente einseitige Verurteilung Israels, den Ausschluss Israels von
wichtigen UN-Gremien, die Ignoranz gegenüber den Handlungen und Taten der
arabischen Staaten und der PA, der Parteinahme von UN-Institutionen für die
PLO wie etwa mit dem weltweiten "Palästina Tag" — dann kann man sagen, der
Ton mag gemäßigter geworden sein, seit jener 1975er Resolution, die
"Zionismus" mit "Rassismus" gleich setzt, der Geist ist derselbe geblieben.
Sie haben nunmehr viel von mir über Außenpolitik gehört. Sie
haben gehört, was die Interessen an der Destabilisierung Israels sind, aber
was hat das mit Antisemitismus zu tun?
Meine Damen und Herren, das offene Auftreten als Antisemit
ist in Europa verpönt. Wenn man seine Vorstellung zum Ausdruck bringen will,
die Juden seien eine Macht, die durch das Geld die Welt beherrschte, so tut
man das in der Regel vorsichtig: Als Kritik an der israelischen Politik, als
Hinweise auf eine mächtige jüdische Lobby in den USA, über Verschwörungen
rund um den 11. September, als Klage über den angelsächsischen
Raubtierkapitalismus. Per se ist nichts davon antisemitisch, aber all diese
Vorstellungen sind anschlussfähig zum Antisemitismus, und genau darum
reichen sie oft aus, um die entsprechenden Vorstellungen über angebliche
jüdische Weltherrschaftspläne aufzurufen.
Es ist aber noch in einem anderen Sinn bedeutend.
Antisemitismus ist eine Form der "konformistischen Rebellion". Das heißt
einer Opposition im Namen der herrschenden Werte und Vorstellungen gegen den
momentanen Zustand der Gesellschaft — für den die Juden verantwortlich
gemacht werden. Antisemitismus ist genau darum empfänglich für scheinbare
oder wirkliche Billigung von "oben", weil sie ihn darin bestätigt,
Verteidiger der Gesellschaft gegen eine böse Minderheit zu sein. Machen wir
uns nichts vor: Der Antisemitismus war auch vor dem 11. September in Europa
nicht verschwunden, sondern ist seit 1989 kontinuierlich gestiegen. Die
politischen Ereignisse seitdem haben nicht den Antisemitismus wachsen
lassen, sondern den Mut seiner Bekenner, ihn offen zu äußern. Die Verbindung
von Antisemitismus und Anti-Amerikanismus hat eine längere Geschichte, aber
erst jetzt durch die Wendung der Europäischen Union gegen die USA erhielt
sie die öffentliche Legitimation. Das heißt wiederum nicht, dass sie mit
einer offiziellen Verurteilung, selbst wenn sie ernst gemeint wäre, wieder
verschwinden würde; sie würde dann vielmehr die Anhänger ein weiteres Mal
von der Macht der Juden bestätigen. Man wird die verhärteten Antisemiten
nicht bekehren können, aber man kann ihnen entgegentreten; man kann die
offizielle Billigung durch UNO und EU bekämpfen. Nichts stärkt eine so
unmenschliche Ideologie wie den Antisemitismus mehr, als wenn er sich die
Reputation von angesehenen Institutionen zu nutze machen kann, und sich das
Mäntelchen moralischer Empörung über Menschenrechtsverletzungen umhängen
kann.
Es ist in diesem Zusammenhang kein Zufall, dass von
palästinensischer und europäischer Seite der Krieg im Nahen Osten zur
Relativierung der Shoah benutzt wird. Die Shoah als Ausdruck der
Vernichtungsdrohung, die der Antisemitismus weltweit immer enthält, ist die
zentrale Legitimation Israels. Will man der Verteidigung Israels gegen seine
arabischen und palästinensischen Nachbarn die Legitimität streitig machen,
ein Verteidigungskampf gegen ein antisemitisches-nationales Projekt zu sein,
dann muss man Israel als den eigentlichen Aggressor darstellen, und
versuchen die Leiden der Palästinenser und die Shoah zu parallelisieren. Das
funktioniert bei nüchterner Analyse der Fakten nicht, und genau darin liegt
m.E. das Geheimnis der Resistenz gegenüber den Fakten. Man kann sich den
Mund fusselig reden, Fakten um Fakten anhäufen, Argument um Argument
anbringen - gegen den Beschluss, die Palästinenser als Opfer zu sehen, wird
man nicht ankommen. Das sind die Grenzen der Aufklärung, auch aber nicht nur
im Europäischen Parlament.
Der deutsche Außenminister Joseph Fischer vermeidet hier die
geschichtslose Gleichsetzung, die er beim Kosovo-Krieg gemacht hat, und er
wird nicht müde zu betonen, dass Deutschland eine besondere Verpflichtung
gegenüber Israel hat, und dass die Shoah singulär sei. Daraus entsteht
häufig die Einschätzung, zumindest der deutsche Außenminister sei doch in
dieser Frage recht vernünftig. Ich kann nur entschieden vor diesem
Missverständnis der deutschen Außenpolitik warnen. Denn diese Argumentation
der besonderen Verantwortung Deutschlands ist nichts weiter als die
Vorbereitung für deutsche Blauhelme in Ost-Jerusalem, denn dies wäre, wie
ein deutsches Magazin richtig feststellt, "das letzte Tabu deutscher Außen-
und Militärpolitik nach Adolf Hitler".
Das wäre ein so offensichtliche Vergangenheitsbewältigung,
vor deren ideologischen und politischen Folgen ich nicht stark genug warnen
kann. Schon heute wird es immer mehr Mode, die Erinnerung an die Shoah gegen
Israel zu benutzen, gegen den Kampf gegen Antisemitismus und Antizionismus,
z.B. wenn man von den „Opfern der Opfer“ schwätzt. Oder wenn der eigene
Antizionismus als Kampf gegen den anti-arabischen Rassismus drapiert wird.
Die größte Gefahr geht aber heute davon aus, dass das was als
Globalisierungskritik, Anti-Amerikanismus und Antizionismus in den Köpfen
von Millionen von Menschen spukt, zu einem von der europäischen Politik
unterstützten und benutzten Common Sense wird.
Im Kampf gegen diesen gefährlichen Mix aus Ressentiment und
nationale Interessen stößt man schmerzhaft auf die Grenzen der Aufklärung.
Schon Theodor Lessing hat dieses Phänomen beobachtet. Als ihn die völkischen
Studentenverbände in trauter Einigkeit mit der bürgerlichen Öffentlichkeit
wegen seines Porträts des Kandidaten Hindenburg bei der
Reichspräsidentenwahl 1925 anfeindeten, schrieb er sinngemäß: Er könne
sagen, schreiben oder tun, was er wolle, es werde immer als Beleg für seine
Niederträchtigkeit und finsteren Absichten ausgelegt. Solche abgeschottete
Wahrnehmung, die keine Tatsache und kein Argument zur Kenntnis nehmen mag,
sofern sie das eigene Weltbild in Frage zu stellen drohen, ist mit
Aufklärung nur schwer beizukommen. Aber, und das ist ja unser Problem, mit
nichts anderem lässt sich der Antisemitismus wirksam bekämpfen als mit der
Aufklärung, die sich ihrer eigenen Ohnmacht bewusst wird. Karl Marx soll mal
gesagt haben: "Es gibt nichts Verführerischeres als die Vernunft". Lassen
Sie uns alles dafür tun, dass der Mann recht behält.
Vielen Dank."
Sacha Stawski:
Laudatio für Ilka Schröder
Preis für Aufklärerisches Handeln:
Ilka Schröder erhält Theodor
Lessing Preis
hagalil.com
26-09-2003 |