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1935-38: Das Kimberley-Projekt:
Die gescheiterte Gründung einer jüdischen Kolonie in
Westaustralien
Das Kimberley-Plateau ist eine abgelegene, unwirtliche
Landschaft im hohen Norden Westaustraliens. Hier leben nur wenige Menschen
auf riesigen Schaf- und Rinderfarmen, 4.000 Kilometer von der australischen
Bundeshauptstadt Canberra entfernt. Doch trotz oder gerade wegen ihrer
Abgeschiedenheit waren die Kimberleys schon vor hundert Jahren als möglicher
Zufluchtsort für verfolgte Juden im Gespräch, die sich in Ost- und
Westeuropa antisemitischen Pogromen ausgesetzt sahen.
Die Antwort des Zionismus darauf war schon zu Beginn des 20.
Jahrhunderts die Forderung nach einem jüdischen Staat in Palästina. Doch
aufgrund der Opposition des Osmanischen Reiches und verschiedener arabischer
Gruppierungen stand als zweitbeste Lösung die Gründung einer jüdischen
Kolonie irgendwo in einer menschenleeren Gegend zur Diskussion.
1905 gründete ein britischer Gelehrter namens Israel Zangwill das Jewish
Territorialist Movement und begann, in aller Welt nach unbewohnten Regionen
zur Ansiedlung von Juden zu suchen, so auch auf dem dünn besiedelten fünften
Kontinent. 1908 traf sich Zangwill mit dem damaligen Premierminister
Australiens, Alfred Deakin. Aber dessen Regierung fürchtete offensichtlich
einen autonomen jüdischen Staat auf australischem Boden, und so führten
diese Verhandlungen zu nichts.
1935 startete Dr. Isaac Steinberg einen weiteren Versuch zur Gründung einer
jüdischen Kolonie in den westaustralischen Kimberleys. Steinberg war eine
schillernde Persönlichkeit: In Russland geboren, hatte er als
Sozialrevolutionär gegen das Zaristenregime gekämpft und nach der russischen
Resolution im Jahre 1917 das Amt des Justizministers in der Regierung unter
Lenin bekleidet. Später überwarf er sich mit den Bolschewisten, wurde
verhaftet und floh schließlich nach Deutschland. Als Hitler 1933 an die
Macht kam, musste er wiederum die Flucht ergreifen und ging nach England.
Dort initiierte er eine Kampagne zur Schaffung eines Zufluchtortes für die
vom Nationalsozialismus bedrohten europäischen Juden. In den
westaustralischen Kimberleys fand er drei Großfarmer, die bereit waren, ihm
sieben Millionen Hektar Land zur Ansiedlung von 50.000 Juden zu verkaufen.
Steinberg reiste mehrere Jahre kreuz und quer durch Australien, um für
seinen Plan zu werben, stieß dabei allerdings auf vehementen Widerstand von
vielen Seiten.
Zum einen lehnte die etablierte jüdische Führungsschicht in Australien sein
Siedlungsprojekt ab. Die Zionisten unter den australischen Juden verfolgten
weiterhin das Ziel, einen jüdischen Staat in Palästina zu gründen. Andere
fürchteten, dass die Gründung einer jüdischen Kolonie in Australien dem
Antisemitismus auf dem fünften Kontinent neuen Auftrieb geben würde.
Tatsächlich gab es damals auch in Australien faschistische Organisationen
wie die New Guard, die gegen die Juden hetzten.
Doch endgültig scheitern sollte das jüdische Siedlungsprojekt in den
Kimberleys letztlich am Widerstand bürgerlicher Gruppen aus der Mitte der
australischen Gesellschaft. Deren Sprachrohr war der Daily Telegraph. Mit
einem Leitartikel am 10. Januar 1938 entfachte diese große australische
Tageszeitung eine breit angelegte Kampagne gegen die Gründung einer
jüdischen Kolonie im Nordwesten Australiens.
Diesem öffentlichen Druck beugte sich die australische Regierung im April
1938 bei der internationalen Konferenz von Evian, auf der Vertreter aus 32
Nationen über das Schicksal der jüdischen Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland
berieten: Mit dem Argument, die Zusammensetzung der »vorwiegend
britisch-stämmigen Bevölkerung« auf dem fünften Kontinent nicht gefährden zu
wollen, erklärte sich Australien lediglich bereit, im Höchstfalle 15.000
jüdische Flüchtlinge einreisen zu lassen.
Diese Zahl lag zwar noch über den Zusagen anderer Länder aus der
Anti-Hitler-Koalition. Doch tatsächlich sollte Australien bis zum Kriegsende
nur fünf- bis sechstausend Juden aufnehmen.
Niemand weiß, wie viele der sechs Millionen jüdischen Opfer des deutschen
Faschismus möglicherweise hätten gerettet werden können, wäre die jüdische
Siedlung in Westaustralien realisiert worden. Eine endgültige Absage
erteilte die australische Regierung dem Initiator des Projekts, Issac
Steinberg, erst im Jahre 1944, also zu einem Zeitpunkt, als die deutschen
Massenmorde an den europäischen Juden auch auf dem fünften Kontinent längst
bekannt waren.
Aus: Rheinisches JournalistInnenbüro: Widerworte. Journalismus im Kollektiv,
Berlin/Hamburg 2003, Assoziation A, ISBN 3-935936-20-6, S. 51-53
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hagalil.com 2003-09-03 |
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