Koha Ditore:
Warum gab es in Albanien keinen Antisemitismus?
Max Brym
Mit dieser Frage beschäftigt sich
gegenwärtig die in Prishtina erscheinende albanische Zeitung Koha Ditore (
Tageszeitung). In der Tat, in Albanien fiel während des zweiten Weltkrieges
kein einziger Jude den nazistischen Mördern in die Hände. Alle Juden aus den
Gemeinden in Vlora und Delvine wurden damals von Albanern in ihren Häusern
versteckt. Nur zwei Juden fanden in dieser Zeit, als Mitglieder der
Partisanenarmee, den Tod.
Im Jahr 1945, gab es in Albanien mehr Juden
als vor dem Krieg. Das war in Europa ein einmaliges Phänomen. Fast 2000
Juden überlebten die Shoa in Albanien. Darunter befanden sich auch Juden aus
Deutschland und Österreich. Die Erinnerungen von Frau Johanna Neumann über
die Rettung ihrer Familie in Albanien verarbeitete der in Hamburg lebende
deutsche Historiker Michael Schmidt-Neke in einem längeren Artikel “Albanien
ein sicherer Zufluchtsort“.
Aus diesem Artikel zitiert Herr Ulk Lushi in
Koha Ditore am 2.9.2003. In Koha Ditore werden die Erinnerungen von Frau
Neumann wiedergegeben, die in der Zeit des Hitlerfaschismus von ihren
albanischen Gastgebern und Beschützern immer wieder gefragt wurde: “Was ist
eigentlich Antisemitismus, was wollen die von euch“. Nachdem sie versuchte,
die mörderische Naziideologie zu erklären, erntete sie stets ablehnendes
Kopfschütteln seitens der Albaner. Die Haltung war: “Ihr seid Menschen,
Religion ist Privatsache und Rassen kennen wir nicht“. Gleichzeitig wurde
der jüdischen Familie gesagt: „Ihr seid unsere Gäste, das Gastrecht ist uns
heilig, niemand darf es verletzen“.
Woher kam diese Haltung?
Herr Ulk Lushi versucht in einer mehrteiligen Serie in
Koha Ditore der Frage auf den Grund zu gehen. Die fortschrittliche und
humanistische Haltung der Albaner in jener Zeit erklärt Herr Lushi zunächst
mit der “Rückständigkeit des Landes“. Die “Analphabetenrate lag bei fast
90%“. Dadurch hatten die Menschen keinen Kontakt mit der “deformierten
europäischen Moderne“. Die Verbreitung antisemitischer Schriften “war
demzufolge objektiv unmöglich“. Der alte albanische Kanun, “ein Sitten und
Ehrenkodex“, wurde mündlich von Generation zu Generation übertragen. Neben
reaktionären, patriachalen Momenten hatte der Kanun wichtige Regularien wie
die “Gastfreundschaft“.
Zudem definierte der Kanun die Albaner nicht rassistisch
als Kollektiv, sondern: als Albaner galt, wer die Sprache beherrschte und
gewisse Sitten hatte. Ein entscheidendes Prinzip des Kanuns ist, einen
Menschen nach seinen Taten zu beurteilen. Die Abstammung und Religion darf
dabei keine Rolle spielen. Ulk Lushi weißt in seinem Artikel nach, dass die
Albaner mehreren Religionsgemeinschaften angehören. Ein Teil ist römisch
katholisch, ein anderer christlich-orthodox, die Mehrheit ist islamisch. Die
Verankerung der verschiedenen Religionen unterband jedoch niemals das
Zusammengehörigkeitsgefühl der Albaner.
Der Kanun und die Tätigkeit der lesekundigen albanischen
Intelligenz ab dem vorletzten Jahrhundert schloß den religiösen Hader oder
gar rassistischen Haß aus. Die 1878 gegründete “Liga von Prizeren“
bezeichnete Friedrich Engels “als fortschrittlichste bürgerlich
demokratische Bewegung auf dem Balkan“. Folgt man Herrn Lushi, so ist die
Mixtur aus “Rückständigkeit“ im Volk und fortschrittlicher albanischer
Intelligenz ein historischer Glücksfall gewesen. Diese ungleichzeitige und
kombinierten Entwicklung ersparte den Albanern den antisemitischen Wahn.
Konkrete Beispiele
Die klassenübergreifende Ablehnung des Antisemitismus
belegt Ulk Lushi mit vielen historischen Details. Ab 1930 war Hermann
Bernstein amerikanischer Botschafter in Albanien. In einigen Schriftstücken
an das US-Außenministerium in den dreißiger Jahren kommt Bernstein zu dem
Schluß: “Die albanische Gesellschaft hat die wenigsten Antisemiten weltweit.
Es gibt keine Angriffe gegen Juden in Albanien und keine Diskriminierung“.
Dieser Botschafter, den Lushi freundlich beschreibt, engagierte sich ab 1933
besonders für die von den Nazis verfolgten Juden. Er schloss mit dem damals
regierenden König von Albanien, Ahmet Zogu, ein Abkommen, nachdem Juden aus
Deutschland und Österreich nach Albanien kommen könnten. Dabei wurde es
ihnen freigestellt, zu bleiben oder nach Palästina weiterzureisen. Dass das
Weiterreisen oft von den Engländern verhindert wurde, ist eine andere
Geschichte.
Was Koha Ditore macht, ist wichtig.
Koha Ditore ist eine linksliberale Zeitung, die in
Prishtina erscheint. Bekanntlich gibt es in Kosova/Kosovo immer noch
beträchtliche nationale Spannungen. Die albanischsprachige Zeitung spricht
sich in ihrem tagespolitischen Teil für die Gleichheit aller Bürger in einem
souveränen Kosova aus. Wenn jetzt seit Tagen im Feuilleton an die Ablehnung
des Antisemitismus erinnert wird, dann ist das vorzüglich und wichtig. Dies
richtet sich gegen einzelne Personen albanischer Nationalität, die in Europa
mit dem “modernen barbarischen Rassismus und Antisemitismus“ in Berührung
gekommen sind. Zudem besteht bei einigen die Gefahr, diesen Schmutz zu
übernehmen.
Kürzlich schrieb ein Albaner auf den Seiten von Kosova.de,
einem deutschsprachigen Internetorgan, einen wüsten antitalmudistischen
antisemitischen Artikel im Forum. Er stieß auf breite Ablehnung. In
Prishtina wird der alte jüdische Friedhof von der Studentenvereinigung der
Uni Prishtina gepflegt. Der Autor dieser Zeilen, wollte vor einiger Zeit den
Friedhof besichtigen, dabei wurde ihm von Driton Lajci einem bekannten
Politiker aus der Studentenbewegung erklärt: “Sie müssen eine Kopfbedeckung
tragen, ich weiß nicht ob Sie das wissen“.
hagalil.com
03-09-2003 |