Bericht "aus den Gebieten":
In Nablus hat man keine Angst vor der israelischen Armee
Von Amira Hass, Ha’aretz, 27.08.2003,
Auszüge
http://www.haaretz.com
Vor nicht laufenden Kameras und Tonbändern
geben die Bewohner von Nablus zu, dass sie die Ausgangssperre, die Soldaten
der israelischen Verteidigungsarmee (IDF) am vergangenen Donnerstag über
Nablus verhängt haben, begrüßen. Die Ausgangssperre verhinderte –oder
vertagte zumindest- einen Kollaps der inneren Ordnung und der Sicherheit in
der großen Westbank-Stadt. Nablus war in den letzten Monaten von einer Serie
von Morden und deren Vergeltung erschüttert worden. Es gab Schießereien auf
der Straße, die von solchen ausgeführt wurden, die das Ziel haben, die
Ortsansässigen einzuschüchtern oder sich eigenes Territorium zu schaffen.
In Nablus hatten die Bürger in den vergangenen Tagen wenig Geduld für die
Berichte über "Die Reise nach Jerusalem", die im Gebäudekomplex der
palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in Ramallah gespielt wurde. Jibril
Rajoub oder Mohammed Dahlan, Nasser Yussef oder Mahmoud Abbas (Abu Mazen) –
die Leute in Nablus sagen, was sie angeht, kann jeder die Macht ergreifen,
solange er nur etwas gegen den Status der Belagerung und des Terrors tut,
der die Stadt im Griff hält.
Und diese Herrschaft des Terrors, betonen Ortsansässige, wurde nicht durch
die israelische Armee verursacht: das Problem rührt von bewaffneten
Palästinensern her, die sagen, sie gehören der Fatah-Bewegung an.... Für die
Bewohner ist es nicht leicht zuzugeben, dass sie glücklich über die
Ausgangssperre sind....
Am vergangenen Donnerstag baten die Bürger die IDF sogar, auch in Salam,
einem Dorf östlich von Nablus, eine Ausgangssperre zu verhängen. Eine Fehde
zwischen zwei Familien des Dorfes führte zur Ermordung einer Person.
Infolgedessen kam es zu einer Serie von gewalttätigen Vergeltungsmaßnahmen
(inklusive 16 brennender Häuser). Die gesamte Familie desjenigen, der des
Mordes verdächtigt wurde, stahl sich aus dem Dorf hinaus.... Die IDF öffnete
daraufhin eine ihrer Straßensperren, damit palästinensische Autos von Nablus
nach Salam fahren und Vermittler versuchen konnten, die zwei streitenden
Familien zu beruhigen. Außerdem kam die IDF der Bitte der Ortsansässigen
nach und überführte den gefangen genommenen Verdächtigen in ein
Internierungslager in Nablus. So dramatisch diese Dorfangelegenheit war, sie
war nichts im Vergleich zum Tumult, der sich in Nablus ereignet.
Am 18. August wurde Shua’ib Shakshir ermordet. Er war Arbeiter in einer
Möbelfabrik, die "B" –einem Mitglied einer der reichsten Familien in Nablus-
gehört. Das Ziel der Ermordung war eigentlich "B", nicht Shakshir. Laut
eines Berichtes brachen maskierte Männer in die Fabrik ein, eröffneten das
Feuer, bevor das Sicherheitspersonal eingreifen konnte, und töteten
Shakshir. Einen Tag zuvor hatten maskierte Männer einen Freund von "B" in
die Beine geschossen. Dieser Freund "Y" stammte ebenfalls aus einer reichen
Familie in Nablus. Beide prominente Familien haben enge Beziehungen zu
einflussreichen Politikern der PA. Ein Flugblatt der
Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden kursierte und erklärte, dass der Schussangriff die
Reaktion auf die angebliche Vergewaltigung einer jungen Frau in Dschenin
gewesen sei. Ortsansässige glauben jedoch, dass die Schießereien die Folge
von Machtkämpfen zwischen rivalisierenden Familien waren.
Am darauf folgenden Tag töteten maskierte Männer den Wachposten eines
Geschäftes für Mobiltelefone, das "Y" gehörte. Das Opfer, Ziyad Abu Hamdan,
lebte im Flüchtlingslager Balata, in der Nähe von Nablus. (Einige Bürger
behaupten, Abu Hamdan habe vor etwas sieben Monaten an einer Schießerei in
Nablus teilgenommen und dabei einen Menschen getötet.) Infolge dieses Mordes
begannen bewaffnete Gruppen in der Stadt, sich gegenseitig anzugreifen und
Autos und Häuser in Brand zu setzen. Der Bruder des Gouverneurs von Nablus
wurde für mehrere Stunden entführt und ein Restaurant, das dem Entführten
gehört, wurde zerstört. Etwa zehn Menschen wurden durch die Schießereien auf
der Straße verwundet. Bewaffnete, maskierte Männer –unter ihnen einige
Teenager- errichteten in der Stadt "Kontrollpunkte". Angeblich wegen der
Jagd nach Abu Hamdans Mörder verlangten sie von Fußgängern, ihre Ausweise
vorzuzeigen.
Es gibt keinen Mangel an politisch-soziologischen Erklärungen für diese
Zustände in Nablus.... Welches auch immer die richtige Erklärung ist, die
Bilanz lautet, dass die meisten Bürger von Nablus in Angst leben und von
verschiedenen bewaffneten Gruppen gefangen gehalten werden. Offizielle
Repräsentanten der PA (sowohl auf örtlicher wie auf nationaler Ebene) sind
machtlos, den Bürgern auf irgendeine Art und Weise zu helfen....
Die Bewohner von Nablus macht die fadenscheinige Ausrede, die
PA-Sicherheitsmänner könnten wegen der Belagerung der Stadt durch die IDF
nichts tun, krank und müde. Sie glauben, dass es eine Verbindung dieser
bewaffneten Gruppen zu Machtkämpfen zwischen Arafats Fatah und der PA gibt
und außerdem zu Machtkämpfen zwischen Bewohnern der Flüchtlingslager und der
Stadt. Mit anderen Worten: das Thema ist nicht einfach nur Kriminalität: die
Verhaltensmuster, die mit der Fatah assoziiert werden, der Organisation, die
vorgibt den palästinensischen nationalen Kampf gegen Israels Eroberung zu
führen, haben sich in der Stadt, die am Rande des Chaos steht, erheblich
verschlechtert.
hagalil.com
27-08-2003 |