Antisemitismus in Babenhausen:
Sechs Jahre nach dem Brandanschlag
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Sechs Jahre nach dem Brandanschlag auf die Häuser von
Tony Merin plagt die SPD-Babenhausen die "Außendarstellung" der Stadt. Im
vergangenen Jahr klagte sie in einer Pressemitteilung: "Wenn wir weg wollen
von dem Image einer Kleinstadt, die am Rande einer schmuddeligen
Bundesstraße liegt, dann müssen wir endlich die Ärmel hochkrempeln. Unsere
Außendarstellung ist noch immer geprägt von Kaserne, Unterführung und dem
höchst unansehnlichen Schlusspunkt "Merin-Ruine" Richtung Aschaffenburg.
Fast niemand kennt unsere schöne Altstadt und unser Schloss"
(SPD-Bürgermeisterkandidat
Claus Coutandin).
Nicht der Brandanschlag selbst ist ihr Problem und
schadet dem Ansehen der Stadt, sondern das, was davon übrig geblieben
ist. Und das, was die SPD als "unsere schöne Altstadt" bezeichnet, ist
das ehemalige jüdische Viertel, "arisiertes" jüdisches Eigentum. Denn im
Gegensatz zu Toni Merin, haben die deportierten und ermordeten Juden
ordentliche Fachwerkhäuser hinterlassen, solche die Touristen anlocken,
während Merin diese Tradition nicht zu pflegen vermochte und nicht
bereit war das Ergebnis der Brandstifter zu verschönern oder am besten
ganz abzureißen. Im Gegenteil, er wollte die ausgebrannten Häuser als
Mahnmal für das antisemitische Babenhausen stehen lassen.
Zur Erinnerung: 1993 hatte sich Tony Merin entschlossen,
aufgrund der sich häufenden antisemitischen Angriffe, in die USA zu
gehen ("Wir brennen dir die Bude ab" war eine der vielen Drohungen; 2
Dutzend Jugendliche demonstrierten am Vatertag vor seinem Haus mit
Hitlergruß; die Radmuttern seines Autos wurden gelöst). Er fürchtete um
sein Leben.
In der Nacht zum (national)revolutionären 1.Mai 1997
wurden dann die ständigen Drohungen und Babenhausener
Stammtischgespräche wahr gemacht: Seine Häuser wurden angezündet und
brannten vollständig aus. Es muss eine größere Truppe unterwegs gewesen
sein: Das Feuer wurde gleichzeitig an mehreren Stellen gelegt, 9
Benzinkanister wurden im Haus gefunden, die Wände waren mit
antisemitischen und rechtsradikalen Schmierereien übersät. Weder
monatelange Ermittlungen durch die Polizei noch eine ausgesetzte
Belohnung konnte die verschworen-verschwiegene Babenhausener
Volksgemeinschaft zur Kooperation bewegen. Die Ermittlungen wurden
eingestellt, ohne Täter zu benennen.
"Jetzt ist Babenhausen judenfrei", hat Tony Merin den
Bewohnern nicht nur ins Stammbuch, sondern auch auf ein Schild an seinen
Häusern geschrieben. Aus Protest gegen den Anschlag und die Bewohner
fand am 18.05.1997 eine kleine, aber feine Demo in Babenhausen statt.

6 Jahre nach unserer Demo kamen wir wieder zu einer
Visite in die Stadt. Das dort Erlebte hat uns auf den Boden der
deutschen Realität gebracht und den Verdacht verstärkt, dass auch wir -
trotz wesentlicher Fortschritte - noch weit davon entfernt, sind das
Ausmaß des permanenten Elends dieser Population zu erfassen.
Wir kamen über die B26 direkt an die ausgebrannten
Ruinen von Toni Merin ("Richtung Aschaffenburg"). Nach Aussage der SPD
hatten wir an irgendwelche städtischen Zwangsmaßnahmen (der Zwangsabriss
der Häuser wurde damals schon Toni Merin angedroht), im Rahmen des
üblichen Motto "unser Dorf soll schöner werden", gedacht. Aber die
ausgebrannten Häuser stehen noch. Nichts hat sich geändert. Nur das Gras
um die Häuser herum ist meterhoch gewachsen. An einigen Stellen der
Fassade sind noch die Spuren der übermalten Nazi-Symbole zu sehen. An
einer anderen Stelle ein frisches Hakenkreuz, hastig gesprüht. Ein
Schild "Zu verkaufen" hängt im Hof, von Toni Merin angebracht.
Als wir kamen, sind zwei Deutsche aus den Häuserruinen
gerannt, eilig in ihren Wagen eingestiegen und weggefahren (wir haben
sie anscheinend gestört). Gerade noch das Auto-Kennzeichen konnten wir
notieren (MIL-...). Es sieht so aus, als ob die ausgebrannten Häuser zur
Pilgerstätte für Bewunderer solcher Taten geworden sind. Wir haben ein
paar Fotos gemacht und sind nach Babenhausen rein gefahren, entlang der
damaligen Demo-Route, durch die engen Gassen mit den "arisierten"
Fachwerkhäusern, vorbei an der Parkanlage, wo sie ihr Volksfest wegen
der befürchteten Demo-Militanz absagen mussten, bis zum Platz der
Abschlusskundgebung, dem Mahnmal für die ermordeten Juden von
Babenhausen.
Das Mahnmal war nicht beschädigt (so was muss man
inzwischen extra betonen), nur 2-3 kleine Steine waren drauf gelegt (es
ist zu vermuten, dass irgendwelche Gutdeutsche sie darauf gelegt haben,
solche von der Sorte, die sich in den Bräuchen und Sitten des Judentums
so gut auskennen, dass sie zum Ritual keine wirklichen Juden mehr
brauchen - wie gesagt, "zu vermuten").
Anschließend fuhren wir zum jüdischen Friedhof. Auch
hier, an der benachbarten Mauer, sind die Spuren von Nazischmierereien -
trotz Übermalung - noch deutlich zu sehen. Dagegen sieht man vom
Friedhof kaum mehr was. Drei Meter hohe, extra dafür angelegte
ausgewachsene Büsche rund herum, lassen nicht mal einen Spalt. Grund: Um
den Friedhof herum stehen deutsche Einfamilienhäuser, in Reih und Glied,
mit gepflegten Gärten, Gartenmöbeln, Kinderspielplätzchen - ordentliche
Anlagen. Nur noch vom Friedhofseingang war ein Blick ins Innere möglich.
Ein paar Grabsteine sind/wurden umgekippt. Am Eingang besagt ein Schild,
dass für Besucher der Schlüssel im Rathaus hinterlegt ist. Selbst den
jüdischen Friedhof haben sie komplett unter ihre Kontrolle gebracht.
Dazu passt auch, dass eine Spende, die Tony Merin der Stadt nach
antisemitischen Schmierereien am Friedhof angeboten hatte, abgelehnt
wurde. Schließlich haben Juden in Babenhausen bzgl. jüdischen Friedhofes
nichts zu melden.
Gespenstische Ruhe im Viertel.
Es war genug, wir beschlossen abzuhauen. Zuvor wollten
wir was trinken und haben eine türkische Imbiss-Bude ausgesucht (es war
unmöglich in diesem emotionalen Zustand, irgendwelche deutsche Kneipen
zu besuchen).
Kaum waren unsere Getränke bestellt, kam forsch eine
deutsche Frau mit Latzhose, blumig-alternativem Hemd und entsprechender
Mine und sagte laut und bestimmend: "Wer ist der Junge, mit dem ich
vorhin am Telefon gestritten habe?". Der Junge, der uns bedient hatte,
meldete sich als der Gesuchte. Wir haben unser Gespräch unterbrochen, da
die Szene und die zu erwartende Eskalation altbekannt und alltäglich
ist. Daher der Versuch, den Dialog möglichst originalgetreu
wiederzugeben:
Babenhauserin: "Passen Sie mal auf !
Ich bin hierher gekommen, um unseren Streit zu klären. Denn ich will
nicht, dass ihr mein Haus anzündet und ich will auch nicht, dass wir
dann euer Haus anzünden".
Plötzlich wurden wir 6 Jahre zurück katapultiert: das
Grölen der Jungdeutschen vor Merins Haus, die Nacht der Benzinkanister
und der Brandanschläge, die Hassblicke der Babenhausener während unserer
Demo.
Déja vu. Alles steht in Beziehung und Kontinuität
zueinander: Der gepflegte Garten des SS-Mannes gegenüber den Krematorien
und die deutsche Einfamilienhäuser um den jüdischen Friedhof herum.
Die Reihenfolge der ungeheuerlichen Androhung: "Ich will
nicht, dass ihr mein Haus anzündet"; das was sie dachte und vorhatte,
projizierte sie auf ihre zukünftige Opfer. Und alles war, wie gehabt:
Die Tötungsabsicht und der Wahn, dieser existentielle
Lebensvernichtungstrip einer Population, die bei jeder passenden (und
nicht passenden) Gelegenheit herausschreit: "wir sind bereit". Und kein
deutscher Angriff, ohne die obligatorische Behauptung selbst angegriffen
zu werden, sich gegen eine Bedrohung verteidigen zu müssen. Der
Imbiss-Verkäufer ignorierte die Sprüche und sagte lapidar, "geht schon
in Ordnung". Die Frau ließ aber nicht nach und setzte noch eins drauf:
"Sie können von Glück reden, dass ich hier bin und nicht mein Mann". Die
deutsche Geschlechter-Arbeitsteilung beim Vernichten: Die deutsche Frau
für die Verpflegung, der deutsche Mann für das Grobe. Ihr
Gesprächspartner blieb in seiner Ignoranz stur. "Ja, ja" sagte er und
widmete sich seiner Tätigkeit, den Telefonbestellungen von Fast-Food.
Nach einigem hin und her, hat die Frau dann das Gespräch für beendet
erklärt und schloss mit den Satz, "schließlich kaufen wir gern hier ein,
es schmeckt uns ja auch", und lieferte zugleich den Grund, warum sie
bisher die Kanaken-Bude nicht angezündet haben. Brennzlich (im
wörtlichen Sinne) wird es also erst, wenn der Koch wechselt.
Die Frau ging weg, wir fragten den Jungen, was da los
war. Er erzählte uns, dass er mit ihrem Mann - sie ist Lehrerin! - Krach
hatte, weil er ihn, bei Anlieferung einer Bestellung beleidigte, von
wegen "unzivilisierte Türken", "wie sie mit ihren Frauen umgehen" usw.
Kommentar des Verkäufers: "Das war doch alles vor 100 oder 50 Jahre,
heute ist die Türkei so wie hier, was erzählt der Mann für ein Zeug?".
Wir widersprachen ihm, wegen des "wie hier" und wiesen auf den
Brandanschlag auf das Haus von Merin hin. "Ha, der Toni" sagte er mit
freundlicher, vertrauter Mine. "Er hat das einzig Richtige getan, drauf
scheißen und abhauen. So viel ich weiß hat er zurzeit Krach mit der
Stadt". "Kennen Sie ihn?" "Na klar, er kam immer wieder hier vorbei mit
seiner dicken S-Klasse" sagte der Junge mit einer Mischung aus Stolz und
Freude (über die S-Klasse von Merin).
"Vor zwei Jahren haben die Nazis versucht durch
Babenhausen zu marschieren. Die Stadt hat aber die Demo verboten"
erzählte er weiter. Wie es aussieht, haben auch die Neo-Nazis unsere
Demo nicht verdauen können und wollten ihre Revanche haben. "Die
Nazidemo wäre ja auch überflüssig gewesen, es gab ja keinen Grund mehr,
nachdem der letzte noch in Babenhausen lebende Jude weggejagt wurde.
Wozu also die Demo zulassen?" kommentierten wir die Info. "Befürchten
Sie nicht, dass solche Sprüche von der Frau vorhin auch umgesetzt
werden?". Er machte sich nicht mal die Mühe irgendwelche relativierende
Parolen los zu werden, etwa so wie "sie sind nicht alle so" oder "es
gibt auch nette Leute" oder auf Linksdeutsch "die antifaschistischen
Kräfte vor Ort" ("gruppe demontage"), sondern antwortete mit einem
selbstsicheren Lächeln: "Wir sind zu viele, sie würden es nicht wagen"
und lieferte zugleich den einzigen, gesicherten Grund seiner
Gelassenheit.
Wir verabschiedeten uns von den Leuten aus der
Imbiss-Bude. Auf dem Rückweg kamen wir über das, was wir gerade erlebt
hatten, ins Grübeln. Denn das Erlebte sprengte jede
Wahrscheinlichkeitstheorie. Nach 6 Jahren, d.h. nach über 170.536
Stunden, kamen wir für 2 Stunden an einem Sonntagnachmittag nach
Babenhausen. Wir sprachen mit niemandem, wir provozierten niemanden, wir
"kratzten nicht an". Unter diesen Bedingungen, wäre normalerweise die
mathematische Wahrscheinlichkeit so was zu erleben, genau so hoch, wie
in der Strassenbahnlinie Nr. 11 in Zürich, um 12.30 Uhr an einem
Sonntagnachmittag, von einem Krokodil gebissen zu werden! Wie gesagt:
normalerweise.
Wir sollten wieder kommen, um auch die Leute von der
Imbiss-Bude zu besuchen. Wer weiß, vielleicht arbeitet der Junge, dessen
Haus eine Babenhauserin NICHT anzünden will immer noch da.
Morgenland, Inc. &
Fluchschrift - July 2003
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25-08-2003 |