So bin ich in die Welt geworfen worden.
Kind jüdischer Eltern aus Russland und Marokko, die einen Großeltern
Kommunisten, die anderen Händler, meine Tante ist bürgerlich, meine
Schwester machte vor zwei Jahren Alliah und ist mittlerweile orthodox,
mein Bruder mit einer Nichtjüdin verheiratet besucht die Reformgemeinde.
Ich, ja ich...Zunächst einmal brennen mir, wie allen meinen
aufgezählten Verwandten übrigens auch, viele Fragen auf dem Herzen, die
nach Antworten lechzen. Und im Zentrum dieses Fragens steht, sozusagen
als Antrieb meiner Fragepumpe: Wer bin ich? Und: Was ist Judentum?
Und eben jener letzte Fragesatz springt mir auf einem Plakat entgegen,
umringt von duzenden möglicher Antworten, die gegensätzlicher nicht sein
könnten: Chabad? Anarchismus? Das Plakat weist auf die Jewish Winter
University - ein Seminar des Bundesverband Jüdischer Studierender (BJSD)
- hin, ich melde mich an.
Im ehemaligen Altersheim der jüdischen Gemeinde in Würzburg, erstreckt
sich die Veranstaltung über vier Tage. Am 50er Jahre Bau steht ein
Gerüst. Es wird gebaut, erneuert, ausgebessert. Mit dem Betreten des
Hauses dringe ich ein in eine andere Zeit. Ist sie neu? Ist sie alt?
Baustelle Judentum!
Jeder Vortrag drängt die Diskussionen in eine andere Richtung. Es
herrscht eine Atmosphäre, wie sie vielleicht seinerzeit das Frankfurter
Lehrhaus erfüllte.
Daniel Krochmalnik (Professor für jüdische Philosophie an der Hochschule
für jüdische Studien in Heidelberg) spricht über „Religion und Terror“ -
Terror in der Thora!?
„Jewish Disneyland“ - Iris Weiss (Journalistin aus Berlin) zeigt, wie
vermeintlich Jüdisches von Nichtjuden zum Zwecke des Profits und/oder
zur Beruhigung des eigenen Gewissens ausgeschlachtet wird. Sie öffnet
den Blick um Muster der Vermarktung zu erkennen und fragt inwieweit auch
wir in diesen Mustern gefangen sind.
Schließlich stellt
Prof. Moshe Zuckermann (Soziologe und Historiker an der
Universtät Tel-Aviv) die provokante These des instrumentalisierten
Holocaust in der israelischen Politik vor.
Man spürt den Anspruch der VeranstalterInnen undogmatisch ein breites
Spektrum an Themen diskutieren zu wollen. Die alten Talmudisten
kannten keine Dogmen! Auch die anderen Dozierenden wie z.B. Almut
Bruckstein (Professor für jüdische Philosophie an der Hebrew University
in Jerusalem) zeichnen ein breites Panorama aktuellen und traditionellen
Judentums.
Nach jedem Seminar stehen wir in Gruppen, vertieft in intensive
Gespräche die das eben Erfahrene umkreisen. Wir schweifen ab und
zerstreuen uns im Persönlichen.
In diesem Lehrhaus der Diskussion und des Austauschs habe ich nach
Antworten gesucht, und habe, ach, um so viel Besseres gefunden
neue Fragen! Neue Fragende!
D.K.