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Die Beerdigung von Stefan Heym s"l,
findet am Freitag, dem 21. Dezember 2001 um 11.00 Uhr, auf dem Jüdischen
Friedhof Weißensee, Herbert-Baum-Straße 45, 13088 Berlin-Weißensee, statt.

Einer, der immer aneckte
Stefan Heym ist gestorben. Widersetzen war der Lebensinhalt des
Schriftstellers - bis zum Schluss
von NICK REIMER
Parterre. Zum Schluss stand der Computer im Wohnzimmer. "Ich bin ein
alter Knochen", pflegte Heym zu kokettieren. Natürlich meinte er damit den
immer schwereren Gang über die Treppen, die in sein Arbeitszimmer führten,
und nicht sein Schreiben. Stefan Heym hat immer geschrieben. Schon auf dem
Gymnasium in Chemnitz brachte er mit für seine Jugend erstaunlich spitzer
Feder Antikriegsgedichte zu Papier, was ihm prompt die Relegation
einbrachte. Aber auch das ist charakteristisch für Stefan Heym: Kantig,
trotzig, bissig widersprach er, wo es nötig schien; weise, hitzig,
wortgewandt legte er sich an mit Macht und Mächtigen. Was schwer ist und
Schwierigkeiten macht. Aber genau so war das Leben von Stefan Heym.
Schwierigkeiten. Sein Ganzes Leben begleiteten sie ihn. Stefan Heym, der
als Helmut Flieg geboren wurde, gelang unter Schwierigkeiten 1933 über Prag
die Flucht nach Amerika. Heym hatte in Ossietzkys Weltbühne gegen die
Nazis angeschrieben. Unter Schwierigkeiten leitete er in New York das
Deutsche Volksecho", eine antifaschistische Wochenzeitung, die schon
bald Pleite ging, weil sie ins offizielle Deutschlandbild der USA so gar
nicht passen wollte. Als Propagandaoffizier für die US Army lernte Heym dann
die Schwierigkeiten des Krieges gegen sein Volk kennen - und muckte gegen
die amerikanische Besatzungsmacht auf, was ihm die Versetzung nach Amerika
einbrachte. Dort interessierten sich bald die Kommunistenjäger für den
Deutschen: Der Ausschuss für unamerikanische Umtriebe des Senators Joseph
McCarthy ließ Heym überwachen und vorladen. Heym hielt es für an der Zeit,
in seine Heimat zu übersiedeln, in den demokratischen Teil, nach Ostberlin,
was ihm allerdings mehr Schwierigkeiten einbrachte als gedacht. Und kaum
anderthalb Jahre zurück, erregte er ob seines Eintretens für eine kritische
Debatte nach dem 17. Juni 1953 das Missfallen Walter Ulbrichts. Die offene
Kontroverse mit Ulbricht folgte beim Schriftstellerkongress 1956, und als
Erich Honecker im November 1965 auf dem 11. Plenum des Zentralkomitees der
SED Heyms Roman "5 Tage im Juni", der den Aufstand von 1953 reflektierte,
resolut angriff, war die politische und persönliche Isolation des
Schriftstellers besiegelt. Stefan Heym durfte nicht mehr publizieren.
Heym gehörte zu den Ersten, die sich 1976 gegen die Ausbürgerung Wolf
Biermanns wandten. Fortan war Stefan Heym die schreibende Unperson Nummer
eins der SED. "Das Bild unserer Menschen ist empörend verfälscht", schrieb
die Kulturzeitschrift Sonntag 1979 über seine neuesten
Unbotmäßigkeit. Die war unter dem Titel "Collin" im deutschen Westen
erschienen, ein Roman, der schonungslos mit der stalinistischen Realität des
ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden abrechnet. Bislang
lediglich isoliert, lieferte jenes Buch der Staatsmacht den willkommenen
Anlass, Heym nun auch strafrechtlich zu verfolgen - etwa wegen des Vergehens
gegen die Devisenbestimmungen der DDR. Aus dem Schriftstellerverband der DDR
wurde daraufhin der unbequeme Autor ausgeschlossen. Aber Stefan Heym blieb
in der DDR, seinen Lesern zu Liebe: die saugen seine kluge Ketzerei auf wie
das Wasser in der Wüste. Was Heym zum Nestor der Bewegung werden ließ, die
1989 die SED hinwegfegte.
Auch im neuen Deutschland fand sich Stefan Heym schnell auf der Seite
derer wieder, die gegen sind. Heym wandte sich gegen eine vorschnelle
wiedervereinigung, gegen die Schließung der Kalisalzgrube in Bischofferode,
gegen die Bombardierung Serbiens. Doch das neue Deutschland bot ihm auch die
Chance einmal dafür zu sein: Im November 1994 wählte der Deutsche Bundestag
Stefan Heym zu seinem Alterspräsident, den er mit einer im Vorfeld
gefürchteten, dann als klug bezeichneten Rede eröffnete. Der einzige
wortgewaltige Auftritt des Wortgewaltigen im deutschen Parlament.Wenig
erfolgreich, wie der wenig später feststellen musste: 1995 legte er sein
Mandat nieder, aus Protest gegen eine geplante Diätenerhöhung, wie Heym
begründete; aber dass ist natürlich nur die halbe Wahrheit.
Stefan Heyms Bücher historischen Romane sind die besseren Bücher; sein
Generalthema war von Anfang an historisch und politisch: Revolution,
Diktatur, Freiheit, Demokratie und Sozialismus - abstrakta, deren Kongruenz
er nicht a priori vorraussetzt.
Woher nahm er das, woher die ganze Kraft? "Ich habe schon Bücher
geschrieben, als es die DDR noch nicht gab", pflegte Heym vor 1989 zu sagen.
Nie sei er "zu Kreuze gekrochen, habe nie eine Hand zum Verrat gereicht",
sagte er gern danach. Und die Anfeindungen machten ihn stark. Zweifelsfrei
hatte Stefan Heym das, was er bei den Ostdeutschen im Jahre 1989 so sehr
vermisste, sein Leben lang praktiziert: Den Aufrechten Gang.
"Das kenn ich gut", sagte Heym, als es die taz vor Jahresfrist mal wieder
vor finanziellen Problemen stand. Schließlich ging es 1939 seinem "Deutschen
Volksecho" auch enorm schlecht. Heym ist damals losgezogen um Unterstützung
und Geld aufzutreiben. "Aber damals interessierte sich niemand für die
Nazis". Aus Sympatie schenkte Heym der taz zum letzten Weihnachtsfest eine
Geschichte: "Mein lieber Klon!" Als hätte Heym es geahnt, kam er mit seinem
Thema - der Klonierung des Menschen - zur richtigen Zeit: Die britische
Regierung hatte gerade das Klonen von Embryonalzellen genehmigt.
Weder Weihnachten noch das Klonen des Menschen wird Stefan Heym erleben.
Gestern ist der große, linke Chronist des vergangenen deutschen Jahrhunderts
gestorben. In Israel erlag er einem Herzversagen. Der Tod ereilte ihn
symbolträchtig: Der Jude Heym war in das jüdische Land gereist, um an einem
Kongress über den Deutschen Dichter Heinrich Heine zu referieren. Den
verehrte Heym enorm. Schon in seiner Magisterarbeit an der Universität von
Chicago hatte sich Heym mit Heine befasst.
taz Nr. 6628 vom 17.12.2001, Seite 3, NICK REIMER
Volk und Heym
"Liebe Freunde, Mitbürger, es ist, als habe einer die
Fenster aufgestoßen nach all den Jahren der Stagnation, der geistigen,
wirtschaftlichen, politischen, den Jahren von Dumpfheit und Mief und
bürokratischer Willkür, von amtlicher Blindheit und Taubheit. Welche
Wandlung! [. . .] In der Zeit, die hoffentlich jetzt zu Ende ist, wie
oft kamen da die Menschen zu mir, mit ihren Klagen. [. . .] Und ich
sagte, so tut doch etwas. Und sie sagten resigniert, wir können doch
nichts tun. Und das ging so in dieser Republik, bis es nicht mehr ging.
[. . .] Die Mehrzahl erklärte [. . .]: Schluß, ändern, wir sind das
Volk!"
Stefan Heym, 4. 11. 1989 auf der Massenkundgebung auf dem Ostberliner
Alexanderplatz
"Die großen, die erhebenden Momente sind vorbei [. . .] Aus
dem Volk, das nach Jahrzehnten Unterwürfigkeit und Flucht sich aufgerafft
und sein Schicksal in die eigenen Hände genommen hatte und das soeben noch,
edlen Blicks, einer verheißungsvollen Zukunft zuzustreben schien, wurde eine
Horde von Wütigen, die, Rücken an Bauch gedrängt, Hertie und Bilka
zustrebten auf der Jagd nach dem glitzernden Tinnef. Welche Gesichter, da
sie, mit kannibalischer Lust, in den Grabbeltischen, von den westlichen
Krämern ihnen absichtsvoll in den Weg platziert, wühlten; und welch
geduldige Demut vorher, da sie, ordentlich und folgsam, wies ihnen
beigebracht wurde zu Hause, Schlange standen um das Almosen, das mit List
und Tücke Begrüßungsgeld geheißen war von den Strategen des Kalten Krieges.
[. . .] Nicht sie sind schuld, diese Vergierten, an ihrer Entwürdigung;
schuld sind die, die da in dem Land hinter der Mauer eine Wirtschaft
führten, in welcher Mangel an Logik zu einem Mangel an Gütern führte [. .
.]."
die bekanntesten werke
Der Geist und die Macht
Heyms erster Roman, "Hostages. A Novel" (in Deutschland erschienen als
"Der Fall Glasenapp"), war noch eine relativ einfache
Gut-böse-Geschichte über eine Geiselnahme im besetzten Prag und erschien
1942 in den USA. Erst sein dritter Roman, "Crusaders" (1948, "Der
bittere Lorbeer"), wird von den Literaturkritikern als differenzierte
Auseinandersetzung mit dem Faschismus höher eingeschätzt.
1951 siedelte Heym in die DDR über. "Im Kopf sauber.
Schriften zum Tage" wurde 1954 in Leipzig veröffentlicht, es folgte 1957
"Offengesagt. Neue Schriften zum Tage". Heym beschäftigte sich neben
zeitgeschichtlichen Themen auch mit historischen Stoffen. Zu seinen Büchern
gehören "Lenz oder die Freiheit" (1965, über den badischen Bauernaufstand)
und "Lassalle" (1969), "Collin (1979)" und "Ahasver" (1981). Mit "Der König
David Bericht" (1972), einem Buch über das Verhältnis von Geist und Macht
und die Suche nach geschichtlicher Wahrheit, gelang ihm der Durchbruch in
der Bundesrepublik. "Fünf Tage im Juni" begann Heym direkt unter dem
Eindruck des 17. Juni 1953, sechs Jahre später war die erste Fassung des
Romans fertig, wurde jedoch verboten - ebenso wie die zweite Fassung Anfang
der 70er-Jahre, die letztendlich erst 1989 gedruckt wurde. Um die Wendejahre
erschienen verschiedene Erzählungen und Essays. 1996 dann "Der Winter
unseres Missvergnügens. Aus den Aufzeichungen des OV Diversant". Sein
letzter Roman heißt "Die Architekten" und erschien im Jahr 2000.
Heyms Bücher sind derzeit bei Bertelsmann und im Fischer
Taschenbuch Verlag erhältlich. REM
taz Nr. 6628 vom 17.12.2001, Seite 3
haGalil onLine
17-12-2001
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