Ein Mahnmal zum Mitmachen
US-Schüler wollen das erste "Holocaust-Mahnmal der Kinder" errichten - aus
elf Millionen Büroklammern und einem alten Reichsbahnwaggon. Dieser wird nun aus
Mecklenburg-Vorpommern gen Whitwell/USA verschifft
NICOLE MASCHLER
BERLIN taz - Der Güterwaggon
trägt die Nummer 011993. Noch ist er leer, aber bald schon sollen elf Millionen
Büroklammern den Wagen füllen. Nüchterne Zahlen und doch voller Schrecken. Denn
die Nazis benutzten den früheren Reichsbahnwagen vermutlich, um Häftlinge ins KZ
zu transportieren. Jede Klammer steht für einen Toten: sechs Millionen ermordete
Juden, fünf Millionen nicht jüdische Opfer, Kommunisten, Sozialdemokraten,
Homosexuelle, Sinti und Roma.
Waggon samt Inhalt sind Kernstück des weltweit ersten
"Holocaust-Mahnmals der Kinder", das im Herbst im US-Staat Tennessee seine
Pforten öffnen soll. Am kommenden Montag soll sich der Wagen vom
mecklenburg-vorpommerischen Röbel Richtung Cuxhaven in Bewegung setzen. Von dort
wird er gen Whitwell verschifft, wo er mit den Klammern beladen wird. Nach
dreijähriger Vorbereitungszeit sollen Mahnmal und Museum zum 63. Jahrestag der
NS-Pogromnacht am 9. November eingeweiht werden.
Die Abschlussklasse der Whitwell Middle School, 13- bis
15-jährige Jugendliche, hatte das Projekt 1999 initiiert. Eine Schülerin hatte
gelesen, dass sich die Norweger als Protest gegen die deutsche Besatzung und das
rassistische NS-System Büroklammern ans Revers hefteten. Mit den Klammern
wollten die Schüler die unfassbar große Zahl ermordeter Menschen vorstellbar
machen.
Ein Mahnmal gegen Intoleranz und Unmenschlichkeit - und eines
zum Mitmachen. Auf ihrer Homepage rufen die Schüler dazu auf, Büroklammern aus
aller Welt zu schicken. Einige zehntausend Menschen beteiligten sich an der
Aktion, vor allem aus Deutschland und Österreich. Behörden, Firmen, Schulen und
Privatpersonen.
Einige schickten Büroklammern für bestimmte Menschen. "Für
meine Tante und meinen Onkel und viele Verwandte. In Erinnerung", schrieb ein
Heidelberger. Ein Mann aus Leipzig schickte Klammern aus einer Zeit, wie er
sagt, in der viele Menschen schuldig wurden. "Diese Büroklammern gehörten zum
nationalsozialistischen System. Sie haben einfach ihre Pflicht getan. Sie haben
Schriftstücke zusammengehalten, die mit Hakenkreuzen abgestempelt waren."
Heidelberg sandte 2.230 Klammern - eine für jeden städtischen
Mitarbeiter. Beeindruckt habe sie das Projekt, sagt Oberbürgermeisterin Beate
Weber.
An der Einweihung des Mahnmals im November sollen Vertreter
der US-Regierung, Abgesandte des Washingtoner Parlaments, Delegationen aus
Deutschland, Österreich und Norwegen sowie Opfervertreter teilnehmen. Für ihr
Projekt haben die Schüler bedeutende Fürsprecher gefunden: die US-Präsidenten
George W. Bush und Bill Clinton, Regisseur Steven Spielberg und den
Holocaust-Überlebenden Eli Wiesel.
In Deutschland stößt das Projekt auf Skepsis. Einzig der
SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy unterstützt die Idee. Seine
Parlamentarierkollegen halten sich dagegen bedeckt. "Man könnte die Haltung der
deutschen Politiker als ,ablehnend' bezeichnen", sagt Dagmar
Schroeder-Hildebrand.
Die Washingtoner Journalistin, die als Mitinitiatorin auftritt
und auch ein Buch über das Projekt geschrieben hat, führt das geringe Interesse
an dem " ,Kinderkram' des Holocaust-Projekts da hinten in den USA" schlicht auf
eine Übersättigung zurück. Im Herbst 1999, auf dem Höhepunkt der
Auseinandersetzung um die Zwangsarbeiterentschädigung, hätten die Deutschen
nichts für das Vorhaben übrig gehabt.
Doch vielleicht ist es aber auch einfach die Form des
Erinnerns, die Unbehagen weckt. Im "Land der Täter" kommt die amerikanische
Gedenkkultur nicht unbedingt gut an: der Holocaust, dem in den USA zunehmend
eine universelle Bedeutung zugewiesen wird und auf den sich auch Afro- und
Latino-Amerikaner beziehen. Das, so Kritiker, führe zu problematischen
Vergleichen.
Am 23. August wird die Bundeswehr ihn in Cuxhaven auf ein
Verladeschiff gen Whitwell hieven, wo er mit großem Bahnhof empfangen wird - der
"Mahnmal-Sonderzug".
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haGalil onLine 17-08-2001 |