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Gebt den Palästinensern einen Staat!

Und zwar nicht als Ergebnis eines Friedensvertrages, sondern als einen ersten Schritt zur Versöhnung. Israel kann noch mehr tun: Bewegungs- und Arbeitsfreiheit für die Menschen, Zutritt für internationale Beobachter. Sonst findet die Gewalt nie ein Ende.

Von Tom Segev, Jerusalem

Die Mauern im Stadtzentrum von Jerusalem sind dieser Tage mit folgendem Graffito bedeckt: "Keine Araber - kein Terror". Hier und da prangt in roter Farbe die sarkastische Replik: "Keine Juden - keine Krankheiten (Deutschland 1934)". Die Stadtverwaltung beeilt sich, die Anspielung auf die Nazis zu entfernen, aber mit dem antiarabischen Rassismus lässt sie sich Zeit. Auch die schwarze Farbe, mit der arabische Schriftzüge auf den Straßenschildern übermalt wurden, wird nicht sofort entfernt.

Der palästinensische Terrorismus lässt den tiefen, aber bisher weitgehend latenten Hass vieler Israelis wieder offen zutage treten. Es ist wieder legitim, sich die Palästinenser fortzuwünschen. Während weiterhin in allen Städten des Landes Bomben explodieren, erwachen bei den Israelis lange unterdrückte tribale Instinkte und tief verwurzelte Ängste; andere suchen Zuflucht im Zynismus. Frustrierter und fatalistischer als seit langem, scheinen die einen wie die anderen die Möglichkeit eines neuen Krieges bereits verinnerlicht zu haben.

Es ist, als ginge die Geschichte rückwärts. Man fühlt sich an eine Bemerkung des britischen Generals Bernard Montgomery vor 60 Jahren erinnert: "Der Jude bringt den Araber um, und die Araber bringen den Juden um. So ist heute die Lage in Palästina, und höchstwahrscheinlich wird sich daran in den kommenden 50 Jahren nichts ändern." In der Tat bestehen die Elemente des Konflikts, die die Briten veranlassten, ihre 30-jährige Herrschaft in Palästina zu beenden, unverändert - bloß können die Israelis und Palästinenser, anders als die Briten, nirgendwohin abziehen.

Bis September vergangenen Jahres, als die jüngste Welle der Gewalt begann, richteten die Israelis den größten Teil ihrer Energie auf innenpolitische Fragen. Der Konflikt mit den Palästinensern schien fast unter Kontrolle zu sein. Die Tatsache, dass sowohl Premierminister Benjamin Netanjahu als auch sein Nachfolger Ehud Barak die Friedensverhandlungen ihren privaten Anwälten übertrugen, bestärkte das Gefühl, dass es nur noch darum ging, die letzten Details der Einigung zu gestalten. Die Zeit war reif, konnte man meinen, die Grundwerte der eigenen nationalen Identität zu hinterfragen - bis zur Gültigkeit der zionistischen Ideologie an sich. Es wirkte tatsächlich so, als sei Israel im Begriff, eine faszinierende Transformation zu erleben, und sich stetig auf ein so genanntes "postzionistisches" Stadium seiner Entwicklung hinzubewegen. Damit hat es wohl nun ein Ende, zumindest vorerst.

In 100 Jahren hat die zionistische Bewegung einem Teil des jüdischen Volkes partielle Unabhängigkeit in einem Teil Palästinas verschafft, und allen tragischen Schattenseiten zum Trotz ist dies noch immer eine Erfolgsgeschichte; die Entwicklung des Staates Israel ist eine der dramatischsten Erfolgsgeschichten des 20. Jahrhunderts. Anfangs schien alles so vorläufig - wer wusste schon, ob Israel in ein paar Jahren überhaupt noch existieren würde? Dieses weit verbreitete Gefühl erklärt eine merkwürdige Angewohnheit israelischer Passagiere der staatlichen Fluggesellschaft El-Al: Sie pflegten in Applaus auszubrechen, wenn ihr Flugzeug in Tel Aviv landete. Ihre Ausgangshypothese war nämlich, dass die Maschine abstürzen würde. Eine sichere Landung war Anlass zum Feiern!

Die Schwierigkeiten waren tatsächlich enorm, doch Israel hat die meisten davon überwunden. Der Staat hat gelernt, sich und die Seinen zu verteidigen; die Lebensqualität, die er ihnen nun bietet, ist so gut wie in vielen europäischen Staaten. Der Mehrzahl der Israelis geht es von Jahr zu Jahr besser; und trotz der wachsenden Kluft zwischen Armen und Reichen können die meisten davon ausgehen, dass ihre Kinder ein besseres Leben haben werden als sie selbst - so wie auch ihr Leben besser ist als das ihrer Eltern.

Der Zionismus ist fast am Ziel

Inzwischen gibt es Israelis der dritten und vierten Generation; mit ihren Eltern sprechen sie Hebräisch und besuchen die Schulen, auf die schon ihre Eltern gingen. Sie haben den gleichen Lebensstil, den gleichen Sinn für Humor und die gleichen Hoffnungen. Israelische Kinder haben heutzutage etwas, das ihre Eltern und deren Eltern oft nicht hatten: Großeltern, die noch leben und nicht weit weg sind. Eine schon banale Tatsache - und eine der größten Errungenschaften des Landes. Heute applaudiert kaum noch einer, wenn seine El-Al-Maschine sicher gelandet ist: Die Passagiere wissen, dass ihr Flugzeug, bei allen Macken, nicht abstürzen wird. Die zionistische Bewegung, das begreifen immer mehr Israelis, hat ihre Ziele fast alle erreicht - und damit bleibt ihr eigentlich nicht mehr viel zu tun.

Gut möglich, dass Israel in den nächsten anderthalb Jahrzehnten der größten jüdischen Gemeinde der Welt eine Heimat bieten wird und dass mit dem Ende der jüdischen Einwanderung der größte Traum der Zionisten in Erfüllung gegangen sein wird. Allein im vergangenen Jahrzehnt haben sich etwa eine Million Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion in Israel angesiedelt. Allerdings kamen sie zumeist aus wirtschaftlichen und nicht etwa aus ideologischen Gründen, womit sie den postzionistischen Trend bestärkten. Bis zu ein Drittel dieser russischen Neuankömmlinge sind vermutlich nicht einmal Juden. Hinzu kommen Hunderttausende ausländischer Arbeiter, viele davon aus Afrika; sie werden wohl für immer bleiben und der ohnehin schon bunt gemischten israelischen Gesellschaft einen weiteren Farbton hinzufügen. Auch die Zahl der ultraorthodoxen Juden, von denen viele sich nicht als Zionisten betrachten, wächst; das gilt auch für die arabische Bevölkerung. Jedes dritte israelische Kind, so besagt eine Schätzung, besucht heutzutage keine zionistische Schule.

So ist eine neue Generation von Israelis herangewachsen - ihr Zentrum ist in Tel Aviv zu finden -, die nicht mehr für gemeinsame nationale Ideale einsteht oder überhaupt für eine Ideologie. Sie leben das Leben um seiner selbst willen, als Individuen, im Geiste der amerikanischen Jetzt-Kultur. Mit ihren zugegebenermaßen ein wenig verschwommenen multikulturellen Überzeugungen üben sie einen prägenden Einfluss auf Kunst und Literatur, auf die Medien und andere Bereiche der öffentlichen Meinung aus. Eine neue Generation israelischer Historiker hat die Mythen der Nation überprüft und dabei unter anderem Israels Anteil an der palästinensischen Tragödie offen gelegt. Natürlich sind nicht alle Israelis Anhänger dieser neuen Entwicklungen, und womöglich nicht einmal die meisten: Vielmehr ist seit den Friedensverträgen von Oslo ein heftiger und mitunter sogar gewalttätiger Kulturkampf unter den Israelis ausgebrochen. Trotzdem waren es diese neuen postzionistischen Tendenzen, welche die Mehrheit der Israelis dazu bewegten, den Friedensprozess von Oslo zu unterstützen - den Rückzug auf palästinensischen Siedlungen einbegriffen.

Der Osloer Friedensprozess ist Teil eines langsamen und oft schmerzhaften Prozesses der Annäherung an die Realität. Es ist nicht viele Jahre her, dass Israel sich weigerte, die Palästinensische Befreiungsbewegung PLO überhaupt anzuerkennen. Das Gesetz verbot sogar private Kontakte zu der Organisation, und einige israelische Friedensaktivisten wurden vor Gericht gestellt und inhaftiert. Israel beteuerte damals auch, dass es ohne endgültiges Friedensabkommen nie irgendeines der 1967 besetzten Gebiete aufgeben werde - doch auch das geschah. Der Staat Israel war strikt gegen die palästinensische Unabhängigkeit; vor der jüngsten Welle der Gewalt zumindest hatten die meisten Israelis den Widerstand dagegen aufgegeben. Israel widersetzte sich beharrlich und leidenschaftlich jeder Veränderung des Status von Jerusalem, doch dann bot Premier Barak den Palästinensern an, die Stadt zu teilen, und brach damit ein fast heiliges Tabu. Weit mehr Israelis, als zu erwarten war, unterstützten diese Entscheidungen, wie auch die meisten enthusiastisch den Rückzug der Armee aus dem Libanon begrüßt hatten.

Der Osloer Vertrag, eine Illusion

Das Abkommen von Oslo setzte auf Zeit - in der Annahme, dass viele Jahre des gewaltfreien Miteinanders nach und nach den Weg für einen echten Frieden ebnen würden. Und so richteten die Israelis sich ohne besondere Ungeduld darauf ein, dass das, was wir heute als die Illusion von Oslo erkannt haben, irgendwann einmal Realität würde. Dabei fiel ihnen nicht auf, dass gar nicht so viele Palästinenser etwas von der neuen Lage hatten, ja, dass für viele das Leben sogar schwieriger geworden war. Die palästinensische Selbstverwaltung erwies sich nämlich als mindestens so erdrückend wie die israelische Besatzung und zudem als korrupter; gleichzeitig siedelten die Israelis sich weiterhin in den besetzten Gebieten an, als ob es nie ein Abkommen gegeben hätte. So waren die Chancen des Abkommens von Oslo von Anfang an gering. Und dann kam Ehud Barak.

Anstatt das schrittweise Vorgehen von Oslo beizubehalten und den Palästinensern pragmatische Lösungen für konkrete Probleme anzubieten, versuchte Barak, den Palästinensern ein endgültiges Friedensabkommen aufzuzwingen. Zwar schien er den Palästinensern größere Konzessionen anzubieten als je zuvor, nur wurden die meisten nie offiziell in Schriftform vorgelegt. Doch kein Entgegenkommen konnte die Palästinenser befriedigen: Die Kluft zwischen beiden Seiten ist einfach zu tief. Jassir Arafat kann nicht drei Millionen Flüchtlingen in die Augen sehen und sagen, der Konflikt sei nun vorbei. Israel kann nämlich bestenfalls einer Hand voll von ihnen gestatten, nach Hause zurückzukehren. Und es kann auch nicht alle Siedlungen in den besetzten Gebieten auflösen, aber nichts Geringeres als das darf Arafat akzeptieren.

Jerusalem ist seit 3000 Jahren ein Problem ohne Lösung, und es mag sein, das sich daran auch in den kommenden 3000 Jahren nichts ändert. Barak wollte sich all dies nicht eingestehen. Er war ein Gefangener seiner eigenen napoleonischen Fantasien, und sein Ehrgeiz, als Friedensstifter in die Geschichte einzugehen, verleitete ihn zu einem Nullsummenspiel; das Ergebnis war weniger als null. Der Zusammenbruch des Friedensprozesses von Oslo ließ den Palästinensern keine Alternative als die Rückkehr zur Gewalt, samt bestialischen Terrorakten gegen die israelische Zivilbevölkerung.

Die meisten Israelis betrachten den palästinensischen Terror weniger als politisches Problem sondern vielmehr als eine Bedrohung der eigenen Sicherheit. So überlegen sie zwei Mal, bevor sie einen Ausflug machen oder einkaufen gehen, einen Bus besteigen oder ihre Töchter zum Ballettkurs schicken. Noch vor einigen Jahren hätten sie zähen Heroismus demonstriert, heute bleiben viele einfach zu Hause. Da auch der Tourismus fast zum Erliegen gekommen ist, hat sich die Stimmung ziemlich verdüstert. Viele Israelis fallen in die längst vergessene Belagerungsmentalität zurück und rufen nach mehr nationaler Einheit, ganz im Geist des ursprünglichen zionistischen Kampfes. Premierminister Ariel Scharon hat die gegenwärtige Lage als die neueste Runde im Unabhängigkeitskrieg von 1948 beschrieben, die Bildungsministerin sortiert neuere Geschichtsbücher aus und ersetzt sie durch ältere, "patriotischere". Der schwarze Humor meldet sich auch zurück: Um den israelisch-palästinensischen Dialog wiederzubeleben, so geht ein Witz, sei ein Team aus schwer verwundeten Israelis und Palästinensern aufgestellt worden, um die Region bei den nächsten Paralympischen Spielen zu repräsentieren. Zunehmend verstehen Kommentatoren Kritik aus dem Ausland, vor allem aus Europa, wieder als Zeichen eines unterschwelligen Antisemitismus. Gegen die palästinensische Zivilbevölkerung sind harte Maßnahmen ergriffen worden, darunter schwere Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Folter; weniger Israelis als früher erheben dagegen ihre Stimme.

Die vorangegangene Intifada hatte die meisten Israelis zu der Einsicht gebracht, dass ein Großteil der besetzten Gebiete Kosten und Mühe nicht wert sind, die notwendig wären, um sie zu behalten. Ähnlich wie die Briten hatten es die Israelis einfach satt; lieber frönten sie dem ach so belebenden postzionistischen Kulturkampf. Die gegenwärtige Krise aber scheint in die entgegengesetzte Richtung zu führen: Die Palästinenser scheinen die Israelis zurück in die zionistische Gebärmutter zu treiben; das mag der palästinensischen Vorstellung von Rache entsprechen.

Die meisten Israelis sind sich mit Premierminister Scharon darin einig, dass dieser Konflikt zum jetzigen Zeitpunkt nicht gelöst werden kann. Zur großen Überraschung fast aller übt der ehemals schießfreudige General beträchtliche Zurückhaltung. Scharon wird allerdings von den extremistischen Ministern seines Kabinetts der nationalen Einheit unter Druck gesetzt, sehr viel härter gegen die Palästinenser vorzugehen - bis hin zur Entfernung Arafats. Mag sein, dass er dem nicht mehr lange widerstehen kann. Die Lage ist sehr explosiv, sehr unsicher, sehr emotionsgeladen - drei Zutaten des Krieges.

Selbst wenn man anerkennt, dass der Konflikt gegenwärtig nicht zu lösen ist, könnte Israel dennoch einiges tun, um - wenn schon keinen echten Frieden - immerhin ein Leben ohne Gewalt zu ermöglichen. Dazu könnte die einseitige Auflösung kleinerer, isolierter Siedlungen gehören, einschließlich Hebron. Diese Siedlungen sind die Ursache für viel Spannung und Feindschaft, und ihre Auflösung würde israelischen Interessen nicht schaden. Außerdem könnte Israel im Lauf der kommenden Jahre langsam die Bevölkerung einiger größerer Siedlungen reduzieren.

Beide Völker müssten einen Teil ihrer nationalen Hoffnungen aufgeben. Nach einem halben Jahrhundert gesicherter staatlicher Existenz akzeptieren viele Israelis diese Notwendigkeit. Die Palästinenser hingegen sind dem Stadium eines eher urtümlichen Nationalismus noch nicht entwachsen. Um politische Reife und ein Bewusstsein von Sicherheit zu entwickeln, wie sie die Israelis haben, müssen auch sie mindestens eine Generation der Unabhängigkeit erleben. Israel könnte also von der Errichtung eines unabhängigen Palästinenserstaates profitieren - nicht als Ergebnis eines "Friedensprozesses", sondern als einer der ersten Schritte Richtung Frieden.

Bis dahin liegt es im Interesse Israels, das Leben so vieler Palästinenser wie möglich so erträglich wie möglich zu machen: etwa indem Einschränkungen der Bewegungsfreiheit aufgehoben werden und mehr Palästinensern die Erlaubnis erteilt wird, in Israel Arbeit zu suchen. Die Entsendung internationaler Beobachter, wie sie von den Palästinensern gegenwärtig verlangt wird, wäre für die Palästinenser ein dringend benötigter Erfolg und könnte sie vielleicht dazu veranlassen, weniger Terror einzusetzen. An all das ist leider nicht zu denken, solange es beim jetzigen Ausmaß der Gewalt bleibt. Deshalb ist es im Interesse beider Seiten, sie zu mindern.

Aus dem Englischen von Andrea Exler

(c) DIE ZEIT   33/2001   

haGalil onLine 09-08-2001

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