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Podiumsdiskussion zum Thema:
"Rechtsextremismus im Internet"
Medienforum der Bundesregierung
Berlin, Presseamt der Bundesregierung
05-07-2001, 17:30h
David Gall (haGalil onLine): Um unsere Lösungsansätze
verständlich zu machen, muss ich ihnen erst zwei grundsätzliche Thesen
vortragen:
- Zum einen wissen wir, dass Antisemitismus
das zentrale Merkmal der nazistischen Weltanschauung
und gleichzeitig Bindemittel der unterschiedlichsten Bewegungen, von
Pamjat in Russland bis zum Ku-Klux-Klan in Amerika ist. Diese Tatsache
wird inzwischen nicht mehr verborgen, sondern deutlich zur Schau
gestellt. Dass diese Stimmung bis weit in die Mitte der Gesellschaft
hinein reicht, sehen wir zum Beispiel daran, dass eine Regierungspartei
in Österreich beim Wiener Kommunalwahlkampf bereits ganz gezielt auf
antisemitische Stimmungen gesetzt hat. Auf den sogenannten "Hate-Pages"
nimmt der Antisemitismus eine immer dominantere und immer aggressivere
Stellung ein.
Aus dieser eigentlich beunruhigenden Tatsache läßt sich aber auch ein
"positiver Aspekt" folgern: Über eine Schwächung dieser
Argumentationslinie ist die Schwächung der gesamten Nazi-Bewegung - in
ihrem innersten Kern möglich.
- Zweitens stellen wir fest, dass die
NS-Propaganda im Internet, obwohl noch immer viel zu wenig erst
genommen, viel gefährlicher ist, als die bisher üblichen
Propagandamittel
(Zeitungen, Flugblätter und
NPD-Vorträge in irgendwelchen Hinterzimmern)
- ganz einfach, weil sie in der Lage ist über relevante Stichworte
völlig "unbedarfte Leser" zu erreichen, das heißt zum Beispiel einen
Schüler, der ein Referat zum Thema "jüdische Feiertage" schreiben muss.
Um dieser Bedrohung etwas entgegenzusetzen haben wir in
den letzten Jahren verschiedene Lösungsansätze entwickelt:
- --- Am wichtigsten ist uns die
Schaffung eines massiven Gegengewichts durch aufklärende Inhalte,
das heißt Wahrheit gegen Lüge und Hass. Der NPD-Anwalt Horst Mahler, um
nur ein Beispiel zu nennen, sieht den Hauptfeind des Deutschtums
inzwischen nicht mehr in der "jüdischen Rasse", sondern in der jüdischen
Religion. Dementsprechend finden wir auf den einschlägigen Seiten eine
unglaubliche Menge an Artikeln die sich mit dem "Judentum" befassen –
beziehungsweise dem, was Mahler und seine Kollegen (im weitesten Sinne)
dafür halten.
Wenn wir nun einhundert unserer Seiten gegen eine dieser Seiten setzen -
zum Beispiel zum Thema "jüdische Feiertage", dann liegen die Chancen
eines Schülers auf der Suche nach Informationen zu seinem Referat bei
haGalil onLine zu landen bei 100:1, gegen die Nazis.
Bestechend an diesem absolut einfachen Ansatz ist, dass dieser
"inhaltliche Schutzwall" unabhängig von allen Schwachpunkten der bisher
von offizieller Seite angedachten Strategien funktioniert.
Das Verhältnis 100:1 bleibt effektiv auch ohne den in der "Berliner
Erklärung" des Justizministeriums erhofften weltweiten
Wertekonsens'. Es wird auch bestehen bleiben, nachdem sich die
vielleicht irgendwann einmal installierten Filterprogramme als
wirkungslos - da umgehbar - erwiesen haben und selbst im Falle, dass
antisemitische Hetze einmal straffrei sein sollte – was ich vorerst
nicht annehme, wird dieser "Block" weiter funktionieren.
- --- Unser zweiter Ansatz
nutzt die
kommunikativen Möglichkeiten eines lebendigen
Onlinedienstes, denn die beste Vorraussetzung für Verständigung sind
Begegnung und Information.
Wir wissen längst, dass Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit gerade
dort am meisten verbreitet sind, wo die wenigsten Juden leben. Für einen
Jugendlichen in Brandenburg ist haGalil onLine die erste und oft einzige
Möglichkeit mit Juden in einen Dialog zu treten.
Aus einer Menge von 140.000 Besuchern, jeden Monat, erhalten wir täglich
Dutzende von e-Mails mit Anfragen von Schülern und Lehrern und unsere
Foren und Chats bieten die Möglichkeiten zur Kommunikation der Leser
untereinander.
So lernte beispielsweise eine Nazi-Aussteigerin die Vorsitzende einer
jüdischen Gemeinde in Bayern kennen. Die beiden veranstalten inzwischen
gemeinsame Vorträge an Schulen und Jugendzentren.
Von vielen werden wir als Anlaufstelle für den Kampf gegen Rechts
wahrgenommen und unsere Ausdauer, gerade auch nach verheerenden
Angriffen auf unsere offenen Foren, ist für viele ein ermutigendes
Zeichen in dieser Auseinandersetzung.
- --- Unser dritter Ansatz resultiert aus diesen
Angriffen, die dazu führten, dass wir die
juristische Komponente
unserer Arbeit immer weiter ausgebaut und verbessert haben.
Schon vor Jahren haben wir das erste Meldeformular für NS-Seiten ins
Netz gestellt. Im Jahr gehen hier ca. 1.000 Anzeigen ein und inzwischen
ist fast jede dritte Strafanzeige in diesem Bereich auf eine Meldung
über diese Anlaufstelle zurückzuführen.
Es geht hier aber nicht nur um Quantität, sondern vor allem um Qualität:
Wir leiten die hier gemachten Beobachtungen unserer Leser nicht einfach
an die Staatsanwaltschaften weiter, sondern führen eigene – oft auch
anlassunabhängige - Ermittlungen zur Täterfeststellung durch und geben
den Staatsanwaltschaften sowohl juristische als auch technische
"Nachhilfe", so dass der größte Teil der über uns erstatteten Anzeigen
auch tatsächlich zu einer Verurteilung führt. Es sind nicht neue Gesetze
notwendig, die Anwendung der bestehenden würde bereits ausreichen.
Grundsätzlich lässt sich zusammenfassen, dass Hass und
Demokratiefeindlichkeit im Internet, im Internet und mit den
Möglichkeiten des Internets bekämpft werden müssen. Wenn wir uns heute
anschauen, welche Effektivität haGalil onLine mit welch geringen
Mitteln, finanziell und personell, erreicht hat, dann besteht durchaus
Hoffnung, dass die weitere Ausbreitung der NS-Propaganda – mit den
Mitteln des Internets – ganz entscheidend behindert werden kann.
HaGalil onLine kommt übrigens nicht als
Hochglanzbroschüre daher und nicht als pädagogisches Projekt zur
theoretischen Konzeption politischer Bildungsarbeit, sondern ganz
einfach als lebendiges und alltägliches und selbstverständliches Zeichen
in einer offenen und vielfarbigen Gesellschaft.
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