Verrückte Kühe
» ...es geht
jetzt nicht um die Versachlichung des Themas, wie immer wieder gefordert
wird. Es geht um Emotion: Wut, Angst und grenzenloser Ekel sind die
einzig adäquate Reaktion auf die Rinderseuche und ihr gewaltiges
Bedrohungspotential.«
(Manfred Kriener, Leitartikel in der »Taz«, 25./26. November)
Rette sich, wer kann:
Der BSE-Wahn greift um sich,
die Killer-Prionen sind überall
Von Jürgen Elsässer
Deutschland in Angst:
Kampfhunde zerfleischen unsere Kinder, Nazis zerstören das Ansehen
unserer Nation in der Welt. Und nun greifen die Prionen an, lösen unsere
Gehirne in wäßrige Schwämme auf.
Die Bundesregierung hat den Ernst
der Lage erkannt und innerhalb weniger Tage ein Gesetz zum Schutz des
Volkes durch den Bundestag gepeitscht. »So eilig hatte es seit dem
Kontaktsperregesetz von 1977 keine Regierung mehr«, kommentierte die
»Frankfurter Rundschau« anerkennend. Damals, als die RAF Buback, Ponto
und Schleyer ermordet hatte, erließ der Staat eine Kontaktsperre für die
inhaftierten Gewalttäter. Doch was tun gegen eine terroristische
Vereinigung, die auf jedem Dorf, in beinahe jedem Stall einen
Unterschlupf hat? Da hilft nur noch die Todesstrafe. Was der Krisenstab
1977 bloß diskutiert hatte: die Exekution der Wahnsinnigen, wurde jetzt
exekutiert - ab auf die Schlachtbank.
Die Volksgemeinschaft, die sich
seit einiger Zeit Zivilgesellschaft nennt, steht hinter ihrer Regierung:
Der Absatz der Fleischbranche sackte um 30 bis 50 Prozent ab, Großküchen
und Firmenkantinen strichen Rind und Kalb von den Speiseplänen.
Kriegsberichterstatter liegen an der unsichtbaren Front, die quer durch
unsere Kühlschränke und über unsere Eßtische verläuft. Die
»Tageszeitung« hilft täglich mit BSE-freien Rezepten und warnt, daß
»Braten, Kochen und Einfrieren« keinen Schutz bieten. Der »Berliner
Kurier« hat herausgefunden, daß BSE »auch in Gemüse« vorkommen könnte.
»Bild« demonstriert wissenschaftliche Kompetenz: »Die Prionen stellen
die Ärzte vor ganz neue, bisher unüberwindliche Hürden. Denn Prionen
sind möglicherweise die einfachste bisher bekannte Lebensform! ... Es
veranlaßt andere Eiweißbausteine, sich ebenfalls zu Prionen umzuformen -
eine verhängnisvolle Kettenreaktion.« Doch alle Vorbeugemaßnahmen sind
vergebens, denn Millionen von Prionen arbeiten längst auch außerhalb der
Nahrungskette, wie »Bild« weiß: »Werden Prionen möglicherweise auch
durch ärztliche Instrumente übertragen? Wahrscheinlich ja ... Droht auch
beim Zahnarzt oder HNO-Arzt Gefahr? Englische Ärzte warnen ...«
Menschen, die seit Jahren
nachweislich kein Fleisch mehr essen, können infiziert sein. Jeder
Auftritt von »Hillu« Schröder, Bärbel Höhn und Andrea Fischer erhärtete
den Verdacht der Gehirnerweichung. Ja, es scheint, als sei ganz
Deutschland verrückt geworden. Denn in Wirklichkeit ist kein Schwein
durch BSE bedroht, auch kein metaphorisches.
Die Fakten: In England gibt es
bis heute 170.000 nachgewiesene und 750.000 weitere vermutete BSE-Fälle,
hierzulande sind genau sechs Fälle bekannt, von denen vier schon vor
einigen Jahren auftraten. Der Zusammenhang zwischen der Tierseuche BSE
und der beim Menschen vorkommenden Creutzfeldt-Jakob-Krankheit ist in
der Fachwissenschaft umstritten. Aber selbst wenn es einen geben sollte,
ist er minimal: In England wurde die Tierseuche bereits 1985/86
festgestellt. In den seither vergangenen 15 Jahren wurden gerade 60
Creutzfeldt-Jakob-Erkrankungen registriert - und das, wie gesagt,
angesichts mehrerer hunderttausend erkrankter Tiere, die bis Anfang der
neunziger Jahre auch ungehindert verspeist wurden.
Warum also Massenhysterie, die ja
selten aus den Massen kommt, sondern über sie gebracht wird? Der
unverbesserliche Marxist tippt auf Interessen der Bourgeoisie:
Vielleicht will das deutsche Kapital den EU-Agrarmarkt zerstören, der
Mittel von den reichen Industriestaaten auf die ärmeren Agrarerzeuger
(Italien, Spanien usw.) umverteilt. Oder Deutschland und Frankreich
wollen die teure Osterweiterung der EU torpedieren (und damit en passant
ihren Knatsch um die Reform der EU-Institutionen entschärfen). Die
polnische Landwirtschaft etwa wird nie in der Lage sein, die
rinderwahnsinnig verschärften Standards der Fleischproduktion
einzuhalten. Bliebe Polen aber außerhalb der EU, könnten die deutschen
Lebensmittelketten von dort die Fleischprodukte zu Spottpreisen
importieren, die hierzulande nicht mehr hergestellt werden dürfen. Das
klappt ja schon beim Atomstrom ganz gut.
Näher als ein imperialistischer
Master-Plan liegen aber die bornierten Kasteninteressen der an die
Fleischtöpfe bzw. Sushi-Theken gelangten Achtundsechziger. Eine typische
Vertreterin dieser Lumpen-Intelligenz (KONKRET 6/99) ist die grüne
Gesundheitsministerin Andrea Fischer. Sie will die Bevölkerung zwingen,
»ihre Eßgewohnheiten zu ändern«, wobei eine strenge Diät zuvörderst ihr
selbst ganz gut täte. Weiterhin will sie erklärtermaßen das relativ
zuverlässige Gesundheitssystem zerschlagen, womit sie aber bei Ärzten
und Patienten auf so viel Widerstand stieß, daß ihr Kabinettsposten samt
Dienstwagen in Gefahr geriet - eine Lage, aus der sie sich jetzt mit
moralischem Overkill retten will, nach dem Vorbild ihres Kollegen
Scharping im Kosovo-Krieg. Auch diesmal hofft die Koalition, von der
Hysterie zu profitieren, denn der damals durch die humanitäre Mission
gewonnene Bombenvorsprung vor der Opposition ist durch die rotgrüne
Renten- und Steuerpolitik auf null geschrumpft.
Das hätte weder damals noch
dieses Mal geklappt, gäbe es nicht jene Lumpen-Intelligenz, die bei der
Lügenproduktion mithilft, abgebrochene Studenten, gescheiterte
Akademiker, frühvergreiste Straßenkämpfer, die mit den beiden Fischers
das eine gemeinsam haben: außer was werden wollen nix gelernt - bis auf
die Fähigkeit, Weltuntergänge und Holocausts aller Arten vorherzusehen,
seien es atomare, biologische oder serbische. Ihr Überleben hängt an der
Symbiose mit den grünen Staatsapparatschiks: als parlamentarische
Mitarbeiter, als sogenannte Sachverständige, als Festangestellte bei
regierungsnahen Nicht-Regierungsorganisationen, als Kostgänger der
rotgrünen Bildungsarbeit, als Hofschreiber (»Journalisten«) mit
bevorzugtem Zugang zu Ministerien. Hinzu kommen im aktuellen Fall noch
die Bio-Bauern, die von der Liquidierung der industrialisierten
Landwirtschaft profitieren und uns künftig das Fleisch zum dreifachen
Preis verkaufen werden.
Im Vergleich zu diesen
sympathischen Menschenkindern zeichnen sich Bevölkerungsgruppen, die in
der Linken lange Zeit als dumm, reaktionär und jedenfalls »typisch
deutsch« galten, wenigstens durch Realitätsbezug aus. Von deutschen
Polizisten erfährt man heute mehr über den Terror der Albaner im Kosovo
als von Reportern der »Taz«. Ausgerechnet deutsche Ärzte sind es, die an
der Seite der Gewerkschaften die Gesundheitsversorgung gegen Rotgrün
verteidigen. Mit Hilfe deutscher Bauern und dank deren zuverlässiger und
preisgünstiger Nahrungsmittelproduktion ist die durchschnittliche
Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten auch hierzulande immer weiter
gestiegen.
Vielleicht ist es ja wie in
Cronenbergs Film »ExistenZ«: Auf der einen Seite die Materiellen, die
irgendwie zum Stoffwechsel von Mensch und Natur, zur Produktion von
Reichtum und zum Austausch von Körperflüssigkeiten beitragen; auf der
anderen Seite die Virtuellen, die das Leben für ein Konstrukt halten,
auf ihren Laptops Kriege simulieren und beim Chatroom-Sex ganz
schwerelos Identität und Gender wechseln. Die Virtuellen hassen alles,
was den Kapitalismus erträglich macht - Vögeln ist Vergewaltigung,
Rauchen ist Körperverletzung, Fleisch ist Gift -, und träumen, gerade
weil in ihrem Dasein nichts los ist, von dessen unendlicher
Verlängerung: joggende Körnerfresser im Alter von Leni Riefenstahl.
Sind also Arbeiter und Bauern,
Polizisten und Ärzte die neue Zielgruppe für die »Partei der
Aufklärung«? Ziehen wir wieder vor die Fabriktore und hinaus zur
Landagitation, unterwandern wir wieder die Bundeswehr? Vor theoretischen
Schnellschüssen steht ein kulinarisches Experiment. Laden Sie Bekannte
aus ganz unterschiedlichen Schichten ein und setzen Sie ihnen ein
Hammelhirn-Odscha auf tunesische Art (mit Paprika, Tomaten, Knoblauch -
genaueres unter
k_schmidt/3/67/35676.htm) vor. Zur künftigen Zielgruppe gehört,
wer ordentlich zulangt. Guten Appetit!
Heft 03/2001
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